Prozess gegen den mutmaßlichen Drahtzieher des „Ibiza-Videos“, Julian Hessenthaler
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Chronik

„Ibiza-Detektiv“ muss erneut vor Gericht

Unter großem Medieninteresse hat am Mittwoch in St. Pölten der Drogenprozess gegen den mutmaßlichen Drahtzieher des „Ibiza-Videos“, Julian Hessenthaler, begonnen. Er soll mehr als ein Kilo Kokain weitergegeben haben. Der Prozess wurde jedoch vertagt.

Zahlreiche Medienvertreter und Kamerateams hatten sich zum Start der Schöffenverhandlung in St. Pölten eingefunden. Der Beschuldigte wurde von Justizwachebeamten aus der U-Haft in den Schwurgerichtssaal geführt. Belastet wird er von Zeugen. Der 40-Jährige soll mehr als ein Kilo Kokain weitergegeben haben, belastet wird er von Zeugen. Weil laut Gericht weitere Zeugen befragt werden müssen, wird die Schöffenverhandlung am 13. Oktober fortgesetzt.

Der Angeklagte bekannte sich zuvor nicht schuldig: „Ich weiß, dass ich es nicht war.“ Die Verteidigung sprach von konstruierten Vorwürfen. Die Verteidigung sprach von konstruierten Vorwürfen. „Nach diesem Verfahren wissen wir, ob es in Österreich möglich ist, Aufdecker von Korruption in der Politik mit konstruierten Anschuldigungen aus dem Verkehr zu ziehen“, sagte Anwalt Oliver Scherbaum. Bei einer Verurteilung drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Anklage: Mit Drogen Schulden beglichen

Staatsanwalt Bernd Schneider hielt zu Verhandlungsbeginn mit Blick auf das „Ibiza-Video“ fest: „In diesem Prozess hier geht es nicht um dieses Video, es geht um gänzlich andere Vorwürfe.“ Die insgesamt 1,25 Kilo Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 70 Prozent sollen 2017 und 2018 nahe der niederösterreichischen Stadt Haag (Bezirk Amstetten), in Salzburg und Oberösterreich zu einem Grammpreis von 40 Euro übergeben worden sein. Damit soll Hessenthaler laut Anklage der Staatsanwaltschaft Wien Schulden beglichen bzw. seine triste finanzielle Situation aufgebessert haben.

Der Privatdetektiv soll das Kokain an einen suchtgiftabhängigen Bekannten weitergegeben haben. Dieser soll die Drogen teilweise gemeinsam mit seiner Geliebten für den Eigenbedarf verwendet haben, ein Teil soll gestreckt und weiterverkauft worden sein. Beide wurden laut Anklagebehörde vor rund einem Jahr wegen Suchtgiftdelikten verurteilt, sie sollen am Mittwoch als Zeugen aussagen.

Prozess gegen den mutmaßlichen Drahtzieher des „Ibiza-Videos“, Julian Hessenthaler
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Seit März sitzt der Beschuldigte in Wien wegen Tatbegehungs- und Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Im Oktober wird sein Prozess fortgesetzt

Angeklagter und Zeugen widersprechen sich

Der Angeklagte äußerte in seiner Befragung die Vermutung, dass sein vermeintlicher Kokain-Abnehmer für falsche Vorwürfe gegen ihn Geld bzw. geldwerte Sachleistungen in Form von Anwaltshonorar bzw. nach der Verurteilung wegen Drogendelikten eine Fußfessel erhalten habe. Der Zeuge erklärte, dass er Hessenthaler beschuldige, weil er von der Polizei unter Druck gesetzt worden sei bzw. um eine Fußfessel erhalten, „stimmt nicht“. Dass er vom „EU-Infothek“-Betreiber Geld für seine belastenden Angaben bekommen habe, sei auch nicht richtig.

Der Zeuge berichtete von drei Übergaben durch den Angeklagten. Zu davon abweichenden Angaben der Frau – etwa über die Kokainmenge, den Zeitpunkt der Tathandlungen und Bezahlung – meinte er, sie „dürfte etwas verwechselt haben“. Nach den Übergaben habe er gemeinsam mit seiner Begleiterin das Kokain abgewogen. Auch nach dem Strecken soll das Suchtmittel noch von guter Qualität gewesen sein. Getestet habe er den Reinheitsgehalt nicht.

„Wollte einfach auspacken“

Weiters erklärte der Zeuge: „Ich wollte die ganze Wahrheit bei meiner Hauptverhandlung ans Tageslicht bringen. Ich konnte das nicht mehr aushalten. Ich wollte einfach auspacken.“ Weil seine in Serbien wohnende Mutter kurz vor seinem Prozess von zwei Männern bedroht worden sei, habe er dann aber anders entschieden. „Die haben gesagt, dass ich gar nichts bei meiner Hauptverhandlung sagen soll, sonst passiert etwas“, sagte der Mann: „Ich habe vermutet, dass das von Julian Hessenthaler kommt.“ Als dieser verhaftet wurde, habe er schließlich ausgesagt.

Zum Ibiza-Video-Komplex meinte der Zeuge, es sei mit ihm wegen eines angeblichen Investors aus dem Umfeld von Strache Kontakt aufgenommen worden. Im Zuge dessen sei der Name „Felix Baumgartner“ gefallen. Schließlich sei es zu einem Treffen mit Ex-FPÖ-Obmann und -Vizekanzler Heinz-Christian Strache, dessen Frau Philippa und zwei Anwälten gekommen. Die Einvernahme der Belastungszeugin soll Mitte Oktober mithilfe eines Dolmetschers durchgeführt werden. „Ich habe einfach nur Angst, dass mir etwas passiert“, sagte die Frau unter Schluchzen.

Menschenrechtler zeigen sich „besorgt“

Menschenrechtsorganisationen zeigten sich vor dem Prozess in St. Pölten „besorgt“ über die Folgen der „ausufernden Strafverfolgung“ gegen den mutmaßlichen Drahtzieher des „Ibiza-Videos“ für künftige Aufdecker. Sie äußerten auch „erhebliche Bedenken, dass die Ermittlungen auf teils konstruierten Vorwürfen basieren, die dazu genutzt wurden, den Aufdecker zu diskreditieren und seiner Person habhaft zu werden“. Die Strafverfolgung Hessenthalers lese sich ein wenig wie ein „dramatischer Krimi“, heißt es in der unter anderem von Amnesty International Österreich und epicenter.works unterzeichneten Aussendung.

Hessenthaler wurde Mitte Dezember 2020 in Berlin mit Europäischem Haftbefehl festgenommen und in der Folge nach Österreich ausgeliefert. Seit März sitzt er in Wien wegen Tatbegehungs- und Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Im April hatte er als Auskunftsperson im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss gesagt, dass er sich als Opfer voreingenommener und befangener Ermittlungen sehe. Es werde versucht, ihn mundtot zu machen. Mit dem Video habe er nur ein Sittenbild des österreichischen politischen Systems zeichnen wollen.

Hessenthaler soll eine Schlüsselrolle im Zusammenhang mit dem Video gespielt haben, das den damaligen FPÖ-Obmann und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und den damaligen FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus in einer Villa auf Ibiza im Gespräch mit einer vermeintlichen Oligarchennichte zeigt. Die Veröffentlichung des Videos im Mai 2019 brachte nicht nur Strache und Gudenus um ihre Jobs, sondern erschütterte die österreichische Politik: Die türkis-blaue Regierung zerbrach, es kam zur Neuwahl. Die Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuss zur „mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“ wurde im Juli abgeschlossen.

Neben Suchtgifthandel werden Hessenthaler die Fälschung besonders geschützter Urkunden sowie Annahme, Weitergabe oder Besitz falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden vorgeworfen. Er soll einen gefälschten slowenischen Führerschein und Personalausweis, die auf den Namen einer Bekannten lauteten, besessen und übergeben sowie bei einer Polizeikontrolle am 7. Mai 2019 in Wien eine gefälschte slowenische Lenkberechtigung vorgewiesen haben. Ob es beim nächsten Verhandlungstermin ein Urteil geben wird, steht nicht fest.