Julia Lacherstorfer Künstlerin Intendantin Wellenklänge Festival Lunz am See
ORF
ORF
„GANZ PERSÖNLICH“

Intendantin kämpft für Gleichberechtigung

Die 33-jährige Intendantin des Wellenklänge Festivals in Lunz am See (Bezirk Scheibbs) Julia Lacherstorfer gilt als durchaus umtriebig. Zuletzt sorge sie mit einem Solo-Album für Furore. Warum ihr Gleichberechtigung so wichtig ist, das erzählt sie im Interview.

Die Musikerin Julia Lacherstorfer versucht altem Liedgut neue Facetten abzugewinnen. Die 33-Jährige interpretiert Volkslieder neu und erzählt Geschichten, die man normalerweise nicht hört. Das Hauptthema ihrer Arbeit sind dabei Gleichberechtigung und Frauenrechte. In ihrem Solo-Album „Spinnerin“ erzählt sie über Geschichten von Bäuerinnen, die keine Rechte hatten und deren Leben wenig mit der romantischen Idylle zu tun hatten, die oft mit dem Landleben in Verbindung gebracht wird.

Lacherstorfers Volkslieder handeln deshalb auch nicht von Stereotypen und Frauen, die erobert werden. Stattdessen gehört sie zu einer Generation von Musikerinnen und Musikern, die einen kitschfreien Zugang zur Volksmusik haben. Julia Lacherstorfer – Violinistin, Sängerin und Komponistin – wuchs in Bad Hall im Traunviertel (OÖ) in einer (volks)musikalischen Familie auf. 2018 übernahm sie gemeinsam mit ihrem Ehemann die Intendanz des Festivals Wellenklänge in Lunz am See. Zudem hat sie die Band „Alma“.

noe.orf.at: Sie haben einen kitschfreien Zugang zur Volksmusik und sind in der Tradition von Hubert von Goisern einzuordnen, könnte man sagen. Wieso Volksmusik? Wer hat Sie zu dieser Musik gebracht?

Julia Lacherstorfer: Eigentlich so ziemlich alle meine Familienmitglieder. Meine Großaltern haben ganz viel gesungen mit uns als wir klein waren. Auch meine Eltern sind Hobbymusiker. Es war für mich und meine Schwester ganz ein großer Teil unseren Alltags, also zu Konzerten mitzufahren oder Musikwochen zu besuchen, das war ganz wichtig für uns.

noe.orf.at: War ein anderer Beruf je Thema oder war immer klar, es wird Musikerin sein?

Lacherstorfer: Klar war’s nicht. Eigentlich war es der Mama wichtig, dass es für es für uns ein Hobby ist. Sie hat uns da überhaupt nicht gepusht. Aber im Laufe der Jahre war dann klar, dass ich Musik studieren will. Im ersten Anlauf auf Lehramt, weil meine Eltern Lehrer waren. Aber ich habe bemerkt, dass ich mich eigentlich auf der Bühne zu Hause fühle und mir überhaupt nicht vorstellen kann in einen Lehrberuf zu gehen. Weil ich auch nicht das Gefühl hatte, dass das meine größte Stärke ist. Ich bin jetzt kein wahnsinnig geduldiger Mensch. Ich habe mich dann dazu entschieden das Studium zu wechseln.

Julia Lacherstorfer Künstlerin Intendantin Wellenklänge Festival Lunz am See
ORF
Julia Lacherstorfer (li.) im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein

noe.orf.at: Keine Nervosität auf der Bühne?

Lacherstorfer: Ich würde nicht sagen, dass ich niemals nervös bin. Aber es ist auf jeden Fall ein Tätigkeitsfeld, wo ich immer wieder neu Energie schöpfen kann und wo ich nicht das Gefühl habe, dass ich wahnsinnig viel Energie verliere.

noe.orf.at: Wie war das dann im Lockdown? Haben Sie die Bühne vermisst?

Lacherstorfer: Die ersten acht Wochen nicht. Es war halt so ein Gefühl wie Sommerferien in der Volksschule. Wirklich so eine Zeit, wo kein einziger Termin möglich ist. Aber es war natürlich extrem arg und ich will es auch nicht abschwächen. Ich kann auch nur aus meiner Erfahrung sprechen. Es war im ersten Moment eine große Erleichterung. Aber dann so dieses Gefühl zu haben, dass diese Perspektive nicht mehr zurückkommt, das war schon arg einfach. Finanziell hat es eine riesige Unsicherheit bedeutet. Wir, also mein engeres Umfeld, sind ja alle freischaffend.

noe.orf.at: Kommen wir noch einmal zu Ihrer Musik zurück. In Mundart zu singen und Volkslieder sind momentan sehr populär. Das ist im weitesten Sinne auch Ihr musikalischer Bereich. Sehen Sie diesen Boom positiv?

Lacherstorfer: Das kommt ganz darauf an über welches Genre wir sprechen, wie der Bezug zur traditionellen Musik oder Dialekt eingesetzt wird, ob es etwas Verbindendes oder ob das was Ausgrenzendes hat. Ich kann das so pauschal gar nicht beantworten. Die Abgrenzung zwischen traditioneller und volkstümlicher Musik, da war für uns immer schon klar, wo die Grenze liegt.

noe.orf.at: Letztes Jahr haben Sie Ihr erstes Solo-Album rausgebracht: „Spinnerin“. Da lassen Sie Frauen aus dem bäuerlichen Umfeld von ihrem Leben erzählen und das sind nicht immer die schönsten Geschichten – von Gleichberechtigung etwa keine Rede. Diese Perspektive ist Ihnen ja besonders wichtig. Warum?

Lacherstorfer: Weil ich eine Feministin bin. Es war aber für mich auch so erschütternd, wie spät mir aufgefallen ist, dass es so ein wahnsinniges Ungleichgewicht gibt. Das beginnt schon in den Liederbüchern. Natürlich habe ich gemerkt, dass es viele Lieder gibt, die ich mag, aber nicht so viele Lieder, die ich auf der Bühne singen würde. Aber warum das so ist, habe ich erst vor ein paar Jahren verstanden. Es spiegelt meine Lebensrealität nicht wider. Das liegt daran, dass die meisten aus einer männlichen Perspektive sind. Und auch daran, dass sie aus einer anderen Zeit sind, aber das kann ich für mich adaptieren, die männliche Perspektive nicht.

Das Faktum, dass diese Geschichten nicht so fröhlich sind, hat einfach damit zu tun, dass die meisten Lebensgeschichten von Frauen in den letzten 100 bis 400 Jahren einfach nicht erfreulich waren, weil sie keine Recht hatten.

noe.orf.at: In der Volksmusik wird oft über die Liebe gesungen, darüber Frauen zu erobern. Sehen Sie das kritisch?

Lacherstorfer: Da wird halt einfach ein sehr passives liebliches Bild von Frauen gezeichnet, die anscheinend tagtäglich darauf warten, umworben zu werden. Das kann man schon machen, das ist auch mal schön sowas einzustreuen, aber es ist fernab von einer Lebensrealität, die mich als Künstlerin interessiert.

noe.orf.at: In der Coronakrise sind immer wieder Stimmen laut geworden, die einen Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung kritisieren. Teilen Sie diese Ansicht?

Lacherstorfer: Ja, ich teile das absolut. Ich kann das jetzt nicht aus meiner persönlichen Erfahrung sagen, weil wir keine Kinder haben und einfach ein sehr gleichberechtigtes Leben führen, aber ich habe das im Bekanntenkreis und im Freundeskreis ganz stark mitbekommen. Es ist für mich ganz offensichtlich so, dass diese Care-Arbeit immer noch automatisch Frauen zugesprochen wird. Es ist noch immer so, dass es zu großer Überraschung führt, wenn Väter gleich viel Elternzeit nehmen. Wir sind einfach weit weg davon, dass es für alle normal ist, Pflegearbeit für Kinder und Verwandte zu teilen. Aber es geht nicht nur darum, es geht auch darum, was brauchen die Kinder, was braucht die Familie, was muss eingekauft werden, all das muss gerecht aufgeteilt werden.

noe.orf.at: Sie arbeiten eng mit Ihrem Ehemann, Sebastian Zöchbauer, zusammen. Wie ist das? Gibt es da auch Reiberein?

Lacherstorfer: (lacht) Es gibt absolut Reibereien. Wir sind seit zehn Jahren zusammen. Wir waren viel auf Tour, aber da haben wir irgendwann gemerkt, dass das nicht gut geht. Es ist toll unterwegs zu sein, aber es kostet wahnsinnig viel Energie. Man muss sich sehr fokussieren. Man kommt irgendwann an, muss sich einspielen, kommt auf die Bühne, trinkt dann noch was und geht schlafen. Da ist man nicht in so einem Beziehungsmodus.

noe.orf.at: Ihr Ehemann ist aus Niederösterreich. Sie kennen diese Gegend ja ganz gut. Fühlen Sie sich hier auch schon ein bisschen zuhause?

Lacherstorfer: Zuhause vielleicht nicht, aber ich habe es immer schon sehr gern gehabt hier. Die Wachau ist sowieso wunderschön. Wir waren hier in Krems ganz viel im Salzstadl (Anm.: Lokal in Krems). Hier gab es viele Volksmusikabende, hier haben wir uns oft getroffen. Die Oma meines Mannes lebt in Mautern und die Familie ist hier verstreut im Traisental. Ich bin also immer wieder da und finde es immer wahnsinnig schön.

noe.orf.at: Wie darf man sich denn einen Arbeitstag von Ihnen vorstellen? Warten Sie auf die Muse, die Sie küsst, oder stehen Sie um 8.00 Uhr auf und gehen Ihrer Arbeit nach?

Lacherstorfer: Realistischerweise muss man sagen, dass meine Arbeitstage eher nüchtern sind. Ich stehe auf um 8.00 Uhr auf und mache Büroarbeit oder was auch immer, üben, Konzerte vorbereiten. Anders sind die Phasen, wenn ich an einem Projekt arbeite. Ich habe zum Beispiel eine Auftragskomposition aufgegeben. Das ist eher entkoppelt von meinem Alltag. Ich fahre dann eine Woche in das Bauernhaus meiner Familie, das leer steht. Das ist schon gut für mich einen Zeitraum am Stück zu haben, ohne andere Termine oder Büroarbeit. Das ist einfach ein ganz anderer Bereich in meinem Gehirn (lacht).

noe.orf.at: Was sind denn die nächsten Projekte?

Lacherstorfer: Jetzt gerade beginne ich an einem Folgeprojekt von „Spinnerin“ mit dem Titel „Nachbarin“. Es geht darum Menschen zu interviewen, die örtliche Nachbaren sind oder aus anderen Ländern hierhergekommen sind. Es ist mehr so eine Metapher. Es ist mir wichtig, dass die Geschichten, die wir erzählen, auch in der Musik diverser werden. Es ist in der Popmusik so, dass die größten Hits Lovesongs sind, aber das ist nicht das, was mich interessiert. Mich interessiert einfach was Menschen erlebt haben, früher wie heute.