Ernst Geiger
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„GANZ PERSÖNLICH“

Topermittler über „faszinierende“ Abgründe

Ernst Geiger war Chefermittler der Wiener Kriminalpolizei, ist aber ein echter Niederösterreicher. Im noe.ORF.at-Interview erzählt er über seine schwierigsten Fälle und größten Erfolge, aber auch darüber, wie er unter Anklage stand und suspendiert wurde.

Ernst Geiger war Ermittler bei den spektakulärsten Kriminalfällen der vergangenen Jahrzehnte. Der heute 67-Jährige ermittelte etwa in den Fällen Natascha Kampusch oder Jack Unterweger und konnte des Verschwinden der „Saliera“ aufklären – jene einzige erhaltene gesicherte Goldschmiedearbeit des italienischen Bildhauers Benvenuto Cellini, die im Mai 2003 aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien geraubt und im Jänner 2006 schließlich in einem Waldstück bei Zwettl gefunden wurde.

Seine ersten Mordfälle behandelte Geiger nun in einem Buch. Aufgewachsen ist er im Schneebergdörfl in Puchberg am Schneeberg (Bezirk Neunkirchen). Dort traf auch ORF-NÖ-Redakteur Robert Friess den ehemaligen Chefermittler zum Interview.

noe.ORF.at: Sie gelten für viele als der typische Wiener Ermittler. Wir sind hier bei Ihnen aber im Schneebergdörfl zu Gast.

Ernst Geiger: Ich habe die ersten 20 Jahre meines Lebens hier verbracht, bin in die einklassige Volkschule gegangen, in die Hauptschule in Puchberg und dann ins Gymnasium Wiener Neustadt. Danach habe ich in Wien Jus studiert, bin immer wieder zurückgekehrt und auch die Wochenenden war ich immer wieder in Puchberg. Ich habe mein Elternhaus immer behalten, es später ausgebaut und habe es heute noch.

noe.ORF.at: Was waren Ihre Motive, Chefermittler zu werden?

Geiger: Das war ein langer Weg, der sich so nicht planen lassen konnte. Als ich früher von Puchberg nach Wiener Neustadt mit der Bahn gefahren bin, habe ich immer Kriminalberichte gelesen. Es waren Schundhefte, die ich dennoch verschlungen habe, das hat sich bei mir eingeprägt.

Als ich dann das Jusstudium abgeschlossen habe, wollte ich die Richterlaufbahn einschlagen, hatte als Rechtspraktikant zunächst am Bezirksgericht lauter langweilige Fälle und dann hat die Polizei Juristen gesucht. Ich habe mich an die Kriminalromane erinnert und dachte, das könnte spannender sein als Bezirksgerichtsachen in Handelsangelegenheiten. Ich habe mich beworben und wurde genommen.

noe.ORF.at: Einer Ihrer ersten großen Fälle waren die Frauenmorde in Wien-Favoriten in den 1980er-Jahren. Darüber haben Sie jetzt auch das Buch „Heimweg“ geschrieben. Ist es eine Art Vergangenheitsbewältigung?

Geiger: Das kann man so sagen. Es war mein erster großer Mordfall, an dem ich fast gescheitert wäre. Damals war die Kriminalpolizei kriminaltechnisch noch in den Kinderschuhen. Es gab keine DNA-Auswertung, keine Kommunikationsdatenauswertung, Alibis musste man mühsam überprüfen. Wir sind an dem am Anfang auch tatsächlich gescheitert. Die Morde wurden erst im Jahr 2000 geklärt, als eine große Entwicklung geschehen ist mit dem Fall Unterweger und der ersten DNA-Datenbank. Ab diesem Zeitpunkt ging es dann erfolgreich weiter.

Ernst Geiger und Robert Friess beim Interview
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Ernst Geiger beim Interview mit Robert Friess

noe.ORF.at: Der Fall des Jack Unterweger war wohl der größte Mordfall. Er wurde wegen elf Morden angeklagt, in neun Fällen wurde er verurteilt. Sie haben ihn damals verhört. Wie war Jack Unterweger?

Geiger: Jack Unterweger war eine Ausnahmegestalt. Er hat schon in jungen Jahren einen Mord begangen, wurde lebenslänglich verurteilt, hat es dann geschafft, nach 15 Jahren aus dem Gefängnis zu kommen. Er war der gefeierte Star, der Liebling der Society, der Schriftsteller. Als wir dann gegen ihn ermittelt haben, war es zu Beginn sehr schwer, weil niemand an seine Schuld geglaubt hat.

Ich habe ihn mehrmals einvernommen, er hat nie ein Geständnis abgelegt, er war sehr herablassend. Er hat geglaubt, dass er alles kontrollieren kann, das war bis zum Schluss so – auch im Prozess. Er ist sehr selbstbewusst aufgetreten und wollte manipulieren. Wie er es immer getan hat, wollte er auch die Geschworenen manipulieren, was ihm aber nicht gelungen ist.

noe.ORF.at: Ein weiterer großer Fall war der Fall Kampusch. Sie ist 1998 verschwunden, auch hier haben Sie ermittelt und waren eigentlich dem Täter schon auf der Spur.

Geiger: Wir waren dem Täter sehr nahe. Er war bei den Überprüften, aber er konnte uns täuschen und so war es nicht möglich, Natascha aus dem Verlies zu befreien. Sie hat sich dann selbst befreit. Später war ich auch mit dem Fall befasst. Es ist Natascha Kampusch viel Unrecht geschehen. Man hat ihr unterstellt, dass sie mit dem Täter zusammengearbeitet hat, nicht vorzeitig geflüchtet ist und hat sie eigentlich ein zweites Mal kriminalisiert.

noe.ORF.at: Wie war für Sie die Situation, als es 2006 plötzlich geheißen hat, dass sich ein Mädchen bei der Polizei gemeldet und angegeben hat, sie sei Natascha Kampusch?

Geiger: Das war eine Sensation. Ehrlich gesagt, habe ich nicht geglaubt, dass sie noch lebt. Wir hatten keinen vergleichbaren Fall, in dem ein Mädchen in der Gefangenschaft so lange überlebte. Wir waren der Meinung, sie wurde getötet.

noe.ORF.at: 2006 hat sich in Ihrem Leben plötzlich einiges geändert. Sie hatten damals gerade den Diebstahl der Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum geklärt, plötzlich wurden Sie selbst angeklagt. In der sogenannten Sauna-Affäre wurden Sie beschuldigt, Informationen über eine Razzia weitergegeben zu haben. Sie wurden zunächst verurteilt, suspendiert und dann in einem weiteren Prozess freigesprochen.

Geiger: Vorher war ich der gefeierte Held, der „Kopf des Tages“ im Standard, dann plötzlich der Arsch der Woche und des Jahres. Das war ganz fürchterlich und auch mit Existenzängsten verbunden. Ich dachte nur: ,Wie soll das Ganze weitergehen?’ Geholfen hat mir dann Frank Stronach. Er hat mir einen Posten als Security-Manager angeboten. Ich war bei Magna drei Jahre tätig – in Russland und China – und musste mich neu behaupten. Ich hatte dann die Kraft, die Prozesse weiterzuführen, wurde freigesprochen und rehabilitiert und bin dann ins Bundeskriminalamt gekommen.

noe.ORF.at.: Was war für Sie die Faszination bzw. die Triebfeder, Morde aufzuklären?

Geiger: Die Faszination war, im Grenzbereich der menschlichen Erfahrung tätig zu sein. Wenn man jahrzehntelang Mordermittler ist, dann blickt man viel tiefer in die menschlichen Abgründe als in jedem anderen Beruf. Und das ist faszinierend.