Zimmer auf der Intensivstation im Landesklinkum Melk
ORF/Helmut Muttenthaler
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Chronik

„Belastung für Pflegepersonal ist enorm“

Angespannt ist die CoV-Lage in den Mostviertler Bezirken Melk, Amstetten, Scheibbs und Lilienfeld sowie in der Statutarstadt Waidhofen an der Ybbs. Als bundesweiter Hotspot gilt der Bezirk Melk. Das spiegelt sich bereits im Landesklinikum wider.

Die Covid-Station im Landesklinikum Melk ist mit 19 Patientinnen und Patienten voll belegt. Man ist gerade dabei, eine zweite CoV-Station aufzumachen. Walter Fuchs, der Abteilungsleiter Anästhesiologie und Intensivmedizin am Landesklinikum Melk, sagt gegenüber noe.ORF.at: „Wir haben erst gestern aufgrund der aktuellen Situation Routine-Operationen auf die Hälfte reduzieren müssen.“

Die Planung in Zeiten der Pandemie ist sehr schwierig. Lagen die Coronavirus-Patienten früher vier bis acht Tage auf der Intensivstation, so sind es mittlerweile zwei, drei, oft sogar vier Wochen. „Die Dauer ist eine wahnsinnige Belastung, vor allem für die Pflege. Die Pflege trägt die Hauptlast der Behandlung und das schon mehr als eineinhalb Jahre lang. Jetzt stellt sich die Frage, wie lange die Pflege das noch aushalten wird“, berichtet Fuchs.

Deutlich mehr Intensivpatienten erwartet

Entspannung ist nicht in Sicht. Denn eine volle Covid-Station bedeutet, dass es bald auch mehr Intensivpatientinnen und -patienten geben wird. Erfahrungsgemäß werden zehn bis 15 Prozent der CoV-Patienten intensivpflichtig. Auf der Melker Intensivstation mit ihren sechs Betten werden momentan zwei an Covid-19 erkrankte Patienten behandelt. Während des ersten Lockdowns stand praktisch die gesamte Station für diese zur Verfügung.

Jetzt müssen die Patienten nicht nur länger intensivmedizininsch betreut werden, sie sind auch deutlich jünger als zu Beginn der Pandemie, die schon seit dem Frühjahr des Vorjahres das medizinische Personal fordert. „Die Belastung ist geblieben, mit kurzen Pausen. Sie ist wirklich enorm und fast unmenschlich“, so Fuchs.

Stingl: „Können normale Arbeit nicht mehr machen“

Dieser Meinung ist auch Harald Stingl, Leiter der Abteilung für Innere Medizin im Landesklinikum Melk. „Die Spitäler können ihre normale Arbeit nicht mehr machen“, sagt er am Mittwoch in „Niederösterreich heute“ im Interview mit Claudia Schubert. Stingl spricht von „Grenzbedingungen“, unter denen das Personal arbeitet.

noe.ORF.at: Herr Primar, wir sind wieder mitten in einer angespannten Situation, die sich wohl in den nächsten Wochen noch zuspitzen wird. Womit rechnen Sie denn?

Harald Stingl: Es ist ganz schwer zu sagen. Man fühlt sich natürlich an die Situation im vergangenen Jahr erinnert und da sind wir wirklich fast zusammengebrochen. Wir sehen jetzt aber schon auch, dass durch die vielen geimpften Menschen so mancher Anstieg ein bisschen langsamer geht.

Das heißt, das Prinzip Hoffnung regiert noch. Wir können nur hoffen, dass der Anstieg in den Spitälern langsamer geht und wir es schaffen. Wenn aber eines sicher ist, dann dass die Zahlen steigen.

noe.ORF.at: Wenn man sich vor diesem Hintergrund die Zahlen anschaut, finden Sie, dass wir strengere Maßnahmen bräuchten?

Stingl: Ich fürchte, ja. Und zwar immer auf Boden dessen, dass wir ja sehen, dass die Spitäler ihre normale Arbeit nicht mehr machen können. Wir haben ja jetzt schon die Situation in vielen Häusern, auch bei uns ins Melk, dass Operationen verschoben werden müssen, die OP-Kapazitäten gestrichen werden müssen, um Personal für die Intensivstation oder auch die Normalstation wieder freizuspielen.

Angesichts dessen muss man sich schon fragen, ob simple Ausreisekontrollen wirklich ausreichend sind. Ich fürchte, wir werden strengere Maßnahmen brauchen, einfach, weil zu viele Ungeimpfte die Infektionen weitertragen und somit dann natürlich auch Geimpfte wieder angesteckt werden können.

Harald Stingl
ORF
Primar Stingl im Gespräch mit „NÖ heute“-Moderatorin Claudia Schubert

noe.ORF.at: Wie ist denn bei Ihnen in Melk das Verhältnis derer, die geimpft sind, und derer, die nicht geimpft sind?

Stingl: Die Patienten auf der Normalstation müssen wir da von den Patienten auf der Intensivstation unterscheiden. Um es kurz zu machen: Auf der Intensivstation sind die, die wirklich schwere Verläufe haben, also auch intubiert und beatmet werden müssen, praktisch ausschließlich Ungeimpfte. Auf der Normalstation ist es so: Würde man auf den ersten Blick draufschauen, würde man meinen, dass die Hälfte der Patienten je nach Tag und Aufnahmesituation Geimpfte sind.

Das täuscht aber ein bisschen, denn die Geimpften können wir üblicherweise früher entlassen, sie haben leichtere Verläufe, sie brauchen uns vielleicht ein paar wenige Tage und können dann in deutlich besserem Zustand nachhause gehen, während die Ungeimpften einfach deutlich länger bleiben.

noe.ORF.at: Sie haben es schon gesagt: Die Situation erinnert Sie an das vergangene Jahr. Die Zahlen sind teilweise noch dramatischer, wir sind nämlich früher dran. Inwiefern mischt sich bei Ihnen als Arzt zur Sorge auch Ärger?

Stingl: Der mischt sich schon dazu, das muss ich ehrlich zugeben, nicht nur bei mir. Es geht ganz vielen Kollegen so. Wenn ich mit anderen Abteilungen in Niederösterreich oder auch im eigenen Team telefoniere, sind die Leute zunehmend müde und denken sich: Jetzt machen wir das eineinhalb Jahre, stehen mehr als eineinhalb Jahr schon an der Front, teilweise unter wirklichen Grenzbedingungen – warum immer noch?

Und jetzt hat man die Leute wieder Halloween feiern lassen. Das ist zwar schön, aber die Zahlen werden einfach steigen, weil es dann zu Ansteckungen kommt, weil unter den Feiernden und unter den sozialen Kontakten doch immer wieder der ein oder andere Positive ist. Wir tun uns dann manchmal in der täglichen Behandlung der Patienten schwer, den Ärger runterzuschlucken, aber wir müssen so professionell sein, dass wir die Kranken behandeln.

Wie schafft es das Personal nach mehr als eineinhalb Jahren noch, rein von seinen Kräften her?

Stingl: Es wundert mich auch manchmal, dass das noch geht. Sie sind immer noch motiviert, aber müde. Wir merken das in den Besprechungen, wir merken das bei den Diensteinteilungen, sie kommen alle an ihre Grenzen, sowohl Pflege als auch Ärzte. Es nicht lustig, sich dauernd anzuziehen, zu den Patienten hineinzugehen, bei den Visiten teilweise auch dramatische Schicksale von teilweise jungen Patienten mitzuerleben, deren Zustand sich ganz schnell verschlechtert, die schnell auf die Intensivstation müssen. Das ist sowohl körperlich als auch psychisch belastend und man merkt die Müdigkeit zunehmend stärker.