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Soziales

Psychologische Hilfe für Gesundheitspersonal

Seit nun fast zwei Jahren arbeitet das Gesundheitspersonal am Limit: Viele Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte leiden unter der psychischen Belastung. Anonyme und unbürokratische Hilfe bietet seit dem Frühjahr ein neuer Verein an.

„Wenn wir erlauben, dass jemand einen Covid-Patienten besuchen darf, ist das nie etwas Gutes“, sagt Intensivmedizinerin Barbara Sitter. Als Leiterin einer Covid-Intensivstation hat die Ärztin schon viele berührende wie belastende Momente erlebt, wenn Angehörige sich von geliebten Menschen verabschieden: „Da war eine Frau, die darum gebeten hat, sich die Handschuhe ausziehen zu dürfen, um sich von ihrem Mann zumindest Haut an Haut verabschieden zu dürfen. Und wir konnten ihr das nicht erlauben. Das hat das gesamte Team sehr mitgenommen.“

Zusammen mit dem hohem Arbeitspensum, der körperlichen Belastung durch die Schutzanzüge und der sozialen Distanz in der Pandemie werden solche Momente manchmal einfach zu viel. Fast jeder und jede Zweite im Pflegebereich denkt immer wieder an einen Berufsausstieg, knapp 80 Prozent des Gesundheitspersonals zeigen laut einer Studie zumindest geringe depressive Symptome.

Zusätzlich zu Hilfsangeboten bei Arbeitgeber

Manche Spitäler bieten psychologische Unterstützung im Haus an – doch nicht immer wird diese Hilfe auch angenommen. Die Hemmschwelle bei Kollegen, die man persönlich kennt, Hilfe zu holen, ist bei manchen groß, dazu kommt die „Angst, dass es jeder mitbekommt“, schildert Sitter gegenüber noe.ORF.at, „daher glauben wir, dass es eine zusätzliche Unterstützung braucht“.

Deshalb wurde vor einigen Monaten der Verein Second Victim (Deutsch: zweites Opfer) von einer Intensivmedizinerin aus Niederösterreich gegründet. Durch eine Krisensituation, wie derzeit die Pandemie, oder durch ein traumatisches Erlebnis, wie etwa einen medizinischen Fehler, wird nicht nur der Patient geschädigt, der oder die Behandelnde ist das „zweite Opfer“, das „second victim“. Wird nicht geholfen, kann das am Ende auch wieder auf Patienten zurückfallen, erklärt Vorstandsmitglied Sitter: „Wenn ich es nicht schaffe, die Situation, die ich erlebt habe, zu verarbeiten, Schlafstörungen entwickle, nicht mehr konzentriert bin, Flashbacks habe, kann ich natürlich nicht mehr so gut arbeiten und mich nicht mehr so gut um meine Patienten kümmern.“

Präventionsarbeit und Akuthilfe

Der Verein will das Problem sichtbar machen, durch Vorträge Präventionsarbeit leisten und auch Akuthilfe anbieten. Letzteres geschieht derzeit durch Psychologinnen und Sozialberater, die sich für den Verein engagieren. Die psychosoziale Beraterin Stephanie Niederhuber beispielsweise bietet einmal wöchentlich eine telefonische Sprechstunde, „wo jeder einfach unverbindlich anrufen kann und einfach mal reden kann“, wenn nötig übernimmt sie in weiterer Folge auch die persönliche Beratung der Betroffenen.

Intensivmedizinerin Barbara Sitter, Verein Second Victim
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Barbara Sitter leitet eine Covid-Intensivstation und ist Vorstandsmitglied des Vereins Second Victim

Die Kosten für die ersten zehn Stunden übernimmt der Verein, dieser finanziert sich wiederum aus Spendengeldern. Dass der Bedarf groß ist, zeigen die Erfahrungen der ersten Monate. Es würden sich sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Pflegerinnen und Pfleger melden, schildert Niederhuber, sowohl jene, „die schon wirklich lange dabei sind, und die jetzt durch die Pandemie noch einmal so einen Knick bekommen haben, aber es sind auch manche dabei, die erst frisch dabei sind, und die einfach noch nicht so ‚diese Haut‘ aufgebaut haben.“

Intensivmedizinerin Barbara Sitter ergänzt, man sei es grundsätzlich gewohnt, in Akutsituationen zu arbeiten und schnelle Entscheidungen treffen zu müssen, „aber wir sind es nicht gewohnt, dass wir teilweise jeden Tag ein bis zwei unserer Patienten sterben sehen und das zehrt an uns.“ Zusätzlich würde auch das Gesundheitspersonal natürlich „genauso wie alle anderen“ unter den sozialen Einschränkungen während der Pandemie leiden.