Die leichten Themen sind definitiv nicht das Metier des Monsieur Haneke. In seinen Filmen geht es vielmehr um menschliches Leid, Gewalt und Tod. Wobei Gewalt nicht gleich Gewalt ist und Tod nicht gleich Tod. Das Blockbuster-Kino und seine Regeln des massenkompatiblen Films lehnt der gebürtige Münchner, der am Mittwoch seinen 80er begeht, entschieden ab. Er will nicht bloß die Kinoversion des Leids zeigen, sondern möglichst das Leid selbst.
„Die Matthäuspassion ist ja auch nicht lustig“, sagte Michael Haneke in einem ORF-Interview vor seinem runden Geburtstag. Warum man sie sich trotzdem anhöre? „Sie hat einen großen Trostcharakter.“ Mit seinen Werken sei es das Gleiche, meinte der Regisseur. Bilanz über seine Arbeit zog er bereits 2019: Wenn er einen gemeinsamen Nenner für all seine Filme finden müsste, „dann wäre es wahrscheinlich die Aggression gegen Heuchelei“. Damals konstatierte er zudem nüchtern: „Wir leben in einer heuchlerischen Gesellschaft, und zwar mich selber eingeschlossen.“
Für Aufsehen sorgten Hanekes Filme fast immer – gelegentlich auch für Empörung. Am meisten wohl bei „Funny Games“ (1997), jenem Film, in dem zwei psychopathische Jugendliche eine Familie in deren Haus überfallen. Während sie quälen und töten, bleiben sie im Tonfall höflich, das Grinsen bleibt ihnen erhalten. Eine Polemik.
Normalerweise gebe es in einem Thriller gewisse Regeln, die im Kino und im Fernsehen immer eingehalten würden, erklärte Haneke in der Dokumentation „Michael H. Profession: Director“ (2013). So gebe es aller übrigen Gewalt zum Trotz keine Gewalt gegenüber Kindern und Tieren, am Ende müsse außerdem das Unrecht gerächt werden. „Ich wollte all diese Regeln brechen.“ Dadurch führe er dem Zuschauer seine Erwartungen vor Augen, so Haneke: „Die Erwartungen in einem Thriller sind es, über die Realität betrogen zu werden. In Wirklichkeit wird das Unrecht nicht gerächt und in Wirklichkeit sterben die Kinder und die Tiere.“
Der humanistische Herr Haneke
Weiter gehen seine Ausführungen nicht, denn zu sehr erklären wollte Haneke seine Filme noch nie. Die Aufgabe der Interpretation überlässt er seinem Publikum, es geht um dessen möglichst eigenständige Perspektive als menschliche Individuen. Schließlich gebe es nicht eine einzige Realität, sondern tausende, betont der Niederösterreicher in Interviews immer wieder. Trotzdem müsse der Film dieser Realität bzw. diesen Realitäten so nah wie möglich kommen.
„Als ich die Premiere von ‚Funny Games‘ in Cannes hatte, war das ein Riesenskandal. Es gab nach der Vorstellung eine Schlacht zwischen Befürwortern und Gegnern“, erzählte Haneke. Nachsatz: „Ich habe das sehr genossen.“ Beide Seiten hätten sich schließlich eingebracht und argumentiert. Ganz anders hingegen die Premiere der „Klavierspielerin“ (2001), einer Verfilmung des gleichnamigen Romans von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. „Es gab einhelligen Jubel und – Sie werden es nicht glauben – ich war enttäuscht“, sagte der Filmemacher 2019.
Mit Anti-Mainstream-Filmen in den Mainstream
Seine größten Erfolge hat Haneke mit zwei anderen Filmen gefeiert: „Das weiße Band“ (2009) und „Liebe“ („Amour“, 2012) – eindrucksvoll belegt mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen. In ersterem Werk, in Schwarzweiß gefilmt, verarbeitet er die alltägliche Gewalt im oft verklärten früheren Landleben. In zweiterem wirft er einen schonungslosen Blick auf das Lebensende, auf den langsamen physischen und psychischen Abbau des Menschen und die Auswirkungen auf dessen Umfeld.
Einmal mehr keine leichten Themen und doch umso erfolgreicher. Am meisten glänzen seine zwei Goldenen Palmen aus Cannes und natürlich sein Oscar. Dazu kommt eine weitere Nominierung als bester fremdsprachiger Film bei den Academy Awards in Hollywood.
„Es ist immer schwer, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat und bestimmte Erfolge hat“, sagte der österreichische Filmemacher einmal in der für ihn typischen, trockenen Art. Rückwirkend werde man interpretiert und interpretiere sich auch selbst: „In Wirklichkeit spielt aber der Zufall eine riesige Rolle.“
Der Zufall sorgte jedenfalls dafür, dass aus dem jungen Haneke in Niederösterreich ein älterer Regisseur mit großem französischen Faible wurde. Geboren am 23. März 1942 in München, wuchs er in Wiener Neustadt auf. Dort ging er auch in der Gröhrmühlgasse in die Schule. „Im Unterrichtsgegenstand Französisch hat er brilliert und auch französische Filme waren das seine“, erinnerte sich ein Schulkollege ein halbes Jahrhundert später.
Musik und Schauspiel als Traumberufe
Dass er sein Geld mit der Kunst verdienen würde, war für Haneke schon früh klar. Womit genau, wusste er damals weniger. Zuerst zog es ihn zur Musik, im Alter von 15 Jahren wollte er unbedingt Pianist werden. Zum anderen faszinierte ihn von Anfang an die Filmkunst. Wie konnte es anders sein – sein Vater war Schauspieler und Regisseur aus Deutschland, seine Mutter Burgschauspielerin in Wien.
Dass Haneke schließlich am Regiestuhl Platz nehmen würde, war dennoch alles andere als ausgemacht. Schauspieler wollte Haneke werden, doch seine Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien scheiterte. Es war ein Zufall mit Folgen, denn so kam er stattdessen zu jener Rolle, für die er offenbar berufen war und die sein Leben von nun an prägen sollte.
Dabei ist die Filmemacherei für Haneke weniger Kunstform als in erster Linie Handwerk. Dieses erforderte auch bei einem späteren Star-Regisseur lange Lehrjahre, im konkreten Fall im Theater- und später im TV-Geschäft. Als sein erster Kinofilm, „Der siebente Kontinent“, erschien, näherte er sich bereits seinem 50. Geburtstag.
Erst in dieser Phase seines Lebens wurde er schließlich einem breiteren Publikum bekannt – insbesondere, als er ab dem Jahr 2000 mit „Code: unbekannt“ („Code inconnu“) anfing, Filme auf Französisch zu drehen. Darauf folgten die Jelinek-Adaption „Die Klavierspielerin“ („La Pianiste“, 2001), „Wolfzeit“ („Le temps du loup“, 2003) und „Caché“ (2005). Zuletzt erschien 2017 mit „Happy End“ eine De-Facto-Fortsetzung von „Liebe“.
Sympathischer „Kontrollfreak“ bei der Arbeit
Am Set entwickelte Haneke längst seinen eigenen Stil. Er habe ein großes Selbstbewusstsein, wisse, was er wolle, könne nicht still sitzen und sage klar und deutlich, wenn ihm etwas nicht passe – so beschreiben ihn Schauspielerinnen und Schauspieler, die mit Haneke arbeiteten. Sich selbst beschreibt der Regisseur durchaus auch als „Kontrollfreak“. Zu den großen Cholerikern auf den Regiestühlen dieser Welt zählt er aber dennoch nicht. Zu humor- und respektvoll agiert er gegenüber seinen Mitmenschen, zu oft findet er im entscheidenden Moment seinen österreichischen Schmäh.
Eine gewisse Komik ist auch all seinen Filmen anzumerken, den schweren Themen zum Trotz. Haneke mag seine Figuren, auch wenn er sie oft leiden lässt. Eine Prise Humor, das sei österreichische Tradition, sagte Schauspielerin Isabelle Huppert einst. Hier werde die Düsterheit mit Humor und Komik vereint, nicht zuletzt in der Tradition Thomas Bernhards. „Es gibt in jedem Film Szenen, die so zugespitzt sind, dass sie komisch sind“, meinte Haneke dazu. Es gebe in seinen Filmen immerhin viele Lacher, „auch falsche Lacher“, wie er betonte. Denn: „Wenn etwas zu krass ist, dann lachen die Leute.“