Michael Takacs Flüchtlingskoordinator
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„GANZ PERSÖNLICH“

Takacs: Flüchtlingsmanagement als Balanceakt

Flüchtlingskoordinator Michael Takacs war zuletzt mit der Kritik konfrontiert, dass die Regierung in der Ukraine-Krise zu viel auf Freiwillige und private Initiativen abwälze. Im Interview spricht der 54-Jährige über Einzefälle und emotionale Ausnahmesituationen.

Michael Takacs ist seit 1988 bei der Polizei. Zuletzt war er Leiter der Wiener Verkehrsabteilung. Für den Job als Flüchtlingskoordinator wurde der Generalmajor freigestellt. Der 54-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Groß-Enzersdorf (Bezirk Gänserndorf).

noe.ORF.at: Wann erwarten Sie die nächste große Füchtlingsbewegung nach Österreich?

Michael Takacs: Ich bereite mich auf 150.000 bis 200.000 Schutzsuchende in Österreich vor. Je nachdem, wie der Kriegsverlauf ist, je nachdem, wie viele Städte regelrecht platt gemacht werden. Davon hängt ab, wie viele sich auf den Weg machen werden.

noe.ORF.at: Gibt es eine Prognose, wann das sein wird?

Takacs: Da haben sich schon die gescheitesten Militärstrategen heftig geirrt. Wenn die Kriegsverläufe weiter intensiviert werden und die Bevölkerung gezwungen ist, aus der Donbass-Region zu flüchten, dann bedeutet das, dass sich bis zu fünf Millionen Menschen auf den Weg machen könnten. Ungewiss ist, wohin sie gehen werden. In die EU? In die Nachbarländer? In den westlichen Teil der Ukraine? Wir können derzeit keine Prognose abgeben. Was wir aber machen können: Wir können uns vorbereiten und das machen wir.

Noch viele Unterkünfte frei

noe.ORF.at: Wie viele Unterkünfte gibt es schon?

Takacs: Grundsätzlich haben wir 48.000 Plätze eingemeldet bekommen, größtenteils von Privatpersonen. Diese sind zu 20 Prozent ausgelastet. Wir haben von der Bundesbetreuungsagentur rund 10.000 Plätze, übrigens bei weitem nicht ausgelastet und jedes Bundesland hat mit Ankunftszentren vorgesorgt, die jederzeit hochgefahren werden können. Und dann haben wir immer noch das worst-case-Szenario: Jede Turnhalle wird dann mit Betten ausgestattet.

noe.ORF.at: Es ist zuletzt Kritik am Flüchtlingsmanagement laut geworden. Die Rede ist von Bürokratiechaos oder, dass zu viel an Private und freiwillige Hilfsorganisationen abgewälzt wird. Was sagen Sie dazu?

Takacs: Da muss man unterscheiden. Es gibt die gesetzliche Verantwortung, die der Bund trägt, dann gibt es die gesetzliche Verantwortung, die das jeweilige Bundesland trägt und dann gibt es noch das Zusammenspiel mit den Hilfsorganisationen. Man sagt rasch, da hat die Regierung schuld, oft hat das aber gar nichts mit der Regierung zu tun. Sobald Personen Grundversorgung bekommen, ist es Landesangelegenheit.

noe.ORF.at: Aber wird zu viel auf die privaten Hilfsorganisationen abgewälzt?

Takacs: Wenn es Einzelfälle gibt, nehme ich die gerne mit. Da kann ich auch gerne mit den Verantwortlichen in den Bundesländern sprechen, aber im Normalfall ist das ein geordneter Ablauf.

noe.ORF.at: Es gibt auch den Vorwurf, dass es ein Bürokratie-Dschungel ist, in dem sich die Flüchtlinge nicht zurechtfinden. Müsste man das nicht vereinfachen?

Takacs: Grundsätzlich haben wir in den letzten Wochen das System nachjustiert. Es hat zu Beginn durchaus Eigenarten gegeben. Aber das System wurde aufgerüstet. Es wurden viele Erfassungsstellen geschaffen, auch mobile. Es hat am Beginn einige Zeitverzögerungen gegeben, aber ich habe mit so vielen Flüchtlingen gesprochen, das war nicht wirklich ihr Thema. Sie waren froh, dass sie in Sicherheit waren. Das Wichtigste für sie war, dass sie ein Bett haben, ein Dach über dem Kopf, eine Grundversorgung, eine medizinische Versorgung.

Michael Takacs Flüchtlingskoordinator Eva Steinkellner-Klein
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Flüchtlingskoordinator Michael Takacs weist den Vorwurf, dass es bei der Unterbringung der Flüchtlinge massive Probleme gebe, im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein zurück

noe.ORF.at: Wenn jetzt wirklich 200.000 Menschen kommen, ist das System dann bereit für so viele Flüchtlinge, wenn es jetzt schon hakt?

Takacs: Es hakt nicht. Es gibt keine Probleme. Wir haben ausreichend Quartiere, wir haben die Strukturen so aufgebaut, dass es funktioniert. Das System ist grundsätzlich so aufgestellt, dass wir 150.000 bis 200.000 aufnehmen können.

Garten und Hund als Ausgleich

noe.ORF.at: Sie haben täglich mit Flüchtlingen zu tun. Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie dieses Leid sehen?

Takacs: So wie es jeder macht, der in einem Extremberuf tätig ist, sei es jetzt bei der Feuerwehr oder bei der Rettung oder als Chirurg. Man hat den Drang zu helfen. Man darf es nicht an sich heranlassen, das funktioniert aber nicht immer. Wenn man eine emotionale Bindung zu einem speziellen Fall hat, so wie mir das in Moldau passiert ist, dann ist man natürlich sehr mitgenommen. Da spielt sich emotional viel ab, aber man versucht es trotzdem professionell weiterzuziehen. Es bringt nichts in der Sache, sich hängen zu lassen. Wenn man dann erreicht, was man wollte, dann ist das eine Wiedergutmachung für die Seele. Aber es ist ein Karussell, da muss man durch.

noe.ORF.at: Können Sie das alles am Abend, nach Feierabend, zurücklassen?

Takacs: Vorteil und Nachteil an dieser Situation ist, dass ich einen circa 18-Stunden-Tag habe. Das heißt, wenn ich nach Hause komme, schläft meine Familie. Dann habe ich Zeit für mich. Das Einzige, was ich wirklich zelebriere, ist das tägliche Frühstück mit meinem Sohn. Und ich bringe ihn jeden Tag in die Schule, egal wann ich am Abend heimgekommen bin. Wenn man in solchen Berufen tätig ist, dann findet man immer einen Weg, wie man sich kurzfristig Energie holt. Ich hole mir die Energie zum Beispiel im Garten. Meine Leidenschaft ist der Rasen. Jedes Unkraut muss bekämpft werden, aber ökologisch. Unkraut wird also herausgerissen. Ich bin auch gerne im Wald, am liebsten mit meinem Hund. Ich bin einfach manchmal froh, wenn ich nichts mehr reden muss.

Hilfsorganisationen sind „ganz wichtige Partner“

noe.ORF.at: Flüchtlingsthematiken polarisieren, das wissen wir spätestens seit 2015. Da war die Stimmung zunächst positiv, dann ist sie aber umgeschlagen. Rechnen Sie dieses Mal auch mit so einem Verlauf?

Takacs: Nein, das glaube ich nicht. 2015 und 2016 hatten wir eine andere Situation. Es sind Tausende, vor allem junge Männer, ungeordnet über die Grenze gekommen. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wurde dadurch geschmälert. Das passiert dieses Mal nicht. Es läuft alles geordnet ab. Außerdem darf man nicht vergessen, es kommen aktuell vor allem Frauen und Kinder.

noe.ORF.at: Sie gelten als empathisch, gradlinig, als Mann mit wenig Befindlichkeiten. Sehen Sie sich auch so?

Takacs: Über sich selbst redet man nicht gerne, aber ich würde einmal sagen, wenn ich etwas mache, dann mache ich das aus Überzeugung und ich will meine Ziele erreichen. Das haben viele Leute oft unterschätzt bei mir. Wenn ich also eine Vereinbarung eingehe, dann möchte ich das auch abarbeiten. Ich kann sehr lästig sein, wenn etwas nicht funktioniert. Aber natürlich gehe ich auf jeden Menschen ein. Ich bin sehr kommunikativ, das war ich immer schon. Ich versuche immer, aus einer neutralen Position heraus Gespräche zu führen. Deshalb gibt es auch keine Probleme mit Hilfsorganisationen. Das sind ganz wichtige Partner für mich.

Vorwurf ÖVP-Nähe „ärgert mich nicht“

noe.ORF.at: Ärgert es Sie dann nicht besonders, dass Ihnen Ihre ÖVP-Nähe mitunter zum Vorwurf gemacht wird? Dass Sie der ÖVP nahestehen, ist ja bekannt. Sie sind für die ÖVP im Gemeinderat in Groß-Enzersdorf und haben für ÖVP-Innenminister gearbeitet.

Takacs: Nein, das ärgert mich nicht. Mich berührt das nicht so, weil ich weiß ja ganz genau, was ich gemacht habe. Ich habe immer für die Sache gekämpft und da ist die Parteipolitik nicht erforderlich. Da geht es darum, ob ich etwas umsetzen kann.

noe.ORF.at: Da schwingt ja immer der Vorwurf mit, dass Sie Ihre Jobs deshalb bekommen haben, weil Sie so gute Kontakte zur ÖVP haben und nicht, weil Sie gut sind. Das ärgert Sie nicht?

Takacs: Überhaupt nicht, weil es nicht stimmt. Es ist ja ganz leicht zu erklären. Ich bin erst seit 2017 Parteimitglied und ich war ja auch vorher in Führungspositionen. Dann wäre das ja nicht schlüssig. Ich kann Ihnen versichern, ich habe keinen einzigen meiner Jobs durch Parteizugehörigkeit bekommen. Und dafür bin ich auch bekannt.

Geflüchtete sollen guten Eindruck von Österreich haben

noe.ORF.at: Sie sind seit 1988 bei der Polizei. Sie sagen, es sei Ihr Traumberuf. Warum?

Takacs: Weil man nie entscheiden kann, wie der Tag verlaufen wird. Es passiert immer etwas Neues, man möchte immer helfen. Das unterschätzt man. Der Polizist ist nicht dafür da, dass er belehrt oder bestraft, sondern um zu helfen. Die meisten Amtshandlungen sind ja Hilfeleistungen und das ist das Schöne. Der Tag vergeht unheimlich schnell. Und vor allem hat man immer eine Gemeinschaft, die zueinander hält.

noe.ORF.at: Wann ist Ihr Job als Flüchtlingskoordinator beendet?

Takacs: Ich hoffe, dass der Krieg bald vorbei ist. Dann muss es zu neuen Maßnahmen kommen, wie man den Wiederaufbau und die Heimreise unterstützen kann. Das ist keine Aufgabe von Österreich allein, aber das ist ein Punkt, der geordnet ablaufen muss. In erster Linie ist mein Job erledigt, wenn wir alle Vertriebenen in Österreich ordentlich untergebracht und ihnen eine Zukunftsperspektive gegeben haben. Und wenn sie wieder in die Ukraine zurückkehren, dann sollen sie einen guten Eindruck von Österreich haben. Dann ist mein Job erledigt.