Tobias, Marthe Lola Deutschmann, Matěj Šumbera (v.l.)
Alexi Pelekanos
Alexi Pelekanos
Kultur

„Die Reise“: Theater jenseits der Scheinheiligkeit

„Die Reise“ zeigt Gemeinsamkeiten, Klischees und Konflikte zwischen Österreich und Tschechien auf – eine wechselhafte Geschichte zweier Nachbarstaaten. Das Stück hat in St. Pölten Premiere gefeiert und holt kulturpolitisch einiges Versäumtes nach.

Auf eine veritable Reise durch die komplizierten und historisch belasteten bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien nimmt eine Koproduktion zwischen dem Landestheater Niederösterreich in St. Pölten und der Performanceplattform „Teren – Zentrum für experimentelles Theater Brünn“ die Besucher mit. Bei der Premiere am Samstagabend in der Landeshauptstadt gab es in der Theaterwerkstatt viel Beifall für alle Mitwirkenden. Am 19. und 20. Juni ist „Die Reise“ auch in Brünn zu sehen.

Viel ist in den vergangenen Jahrzehnten seit der sogenannten Ostöffnung vom Fall der Grenzen die Rede gewesen. In Wirklichkeit hat sich die Annäherung – speziell im kulturellen Bereich – durchaus in Grenzen gehalten. In St. Pölten sind diese Grenzen nun nicht nur überschritten, sondern auch thematisiert worden.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Matěj Šumbera, Marthe Lola Deutschmann, Tobias Artner
Alexi Pelekanos
Marthe Lola Deutschmann (liegend), Matěj Šumbera (1.v.l.) und Tobias Artner in „Die Reise"
Tobias Artner, Matěj Šumbera, Marthe Lola Deutschmann (v.l.) vor und hinter einem Fußballtor
Alexi Pelekanos
Eine Reise an die österreichisch-tschechische Grenze: Welche Geschichten liegen in den Wäldern und Ortschaften zwischen Brünn und St. Pölten verborgen?
Szenenbild aus „Die Reise“, Fußballmatch
Alexi Pelekanos
Eine wilde Mischung: Zu Texten von Franz Kafka, W.G. Sebald, Adalbert Stifter oder Hans Watzlik wird Fußball gespielt.
Milada Vyhnálková, Matěj Šumbera, Marthe Lola Deutschmann,,Tobias Artner in „Die Reise“ am Landestheater NÖ
Alexi Pelekanos
Die Inszenierung ist zweisprachig

„Die Reise“ ist ein ziemlich schräges Konglomerat aus Texten von Kafka bis Sebald, aus geschichtlichen Mythen und kaleidoskopischen Klischees, grotesken Szenen und absurden Konstellationen, topografischen und ikonografischen Stereotypen.

Falco, Kaiser Franz Joseph und ein Fußballspiel

Regisseurin Anna Klimešová hat gemeinsam mit den tschechischen Schauspielern Matěj Šumbera und Milada Vyhnálková sowie den Landestheater-Mitgliedern Tobias Artner und Marthe Lola Deutschmann eine irisierende und irritierende, passagenweise zweisprachige Collage entwickelt.

„Die Reise“

  • Regie: Anna Klimešová
  • Mit: Matěj Šumbera, Milada Vyhnálková, Tobias Artner und Marthe Lola Deutschmann
  • Vorstellungen bis 3. Juni

Da tritt anfangs ein Skelett auf, ein Sprachkurs wird buchstäblich pantomimisch dargestellt, mährische Folklore trifft auf österreichisches Kolorit, ein Fußballspiel wird zum Kriegsschauplatz, der Fußball mutiert zum Totenkopf, Kaiser Franz Joseph hat einen Auftritt, Falco und Karel Gott kommen akustisch vor, immer wieder grüßen Legende und Geschichte, und im Hintergrund tickt permanent die Wanduhr.

Was im scheinbar kleinen Rahmen gelungen ist, kann nicht hoch genug geschätzt werden: Die Einbeziehung tschechischer Theaterkultur auf heimischen Bühnen kommt seit jeher viel zu kurz. Und eben jener Aspekt wird hier behandelt: die Schwierigkeit, miteinander jenseits scheinheiliger Grinserei auszukommen. Diese enorm wichtige Zusammenarbeit konkret fortzusetzen ist kulturpolitischer Nachholbedarf par excellence.