Umwelt & Klima

Ein Wienerwald-Prozess mit positiven Folgen

1872, vor 150 Jahren, ist der Geologe Josef Schöffel in einem Prozess von einem Schöffensenat in Wien freigesprochen worden. Es war das Ende eines zweijährigen öffentlichen Kampfes gegen Bodenspekulanten und der Beginn des Biosphärenparks Wienerwald.

Andreas Weiß, der Direktor des Biosphärenparks Wienerwald, stand beim Gespräch mit noe.ORF.at auf der Aussichtsplattform der Buchbergwarte an der Schnittstelle der drei Gemeinden Maria Anzbach, Asperhofen und Neulengbach (alle Bezirk St. Pölten) und blickte über weite Wiesen und dichte Wälder, weit hinein in den Wienerwald – selbst der Sender Kahlenberg ist auszumachen. Neulengbach bildet einen der Grenzpunkte am westlichen Rand des Biosphärenparks. Der westlichste Ort ist Hainfeld (Bezirk Lilienfeld).

„Der Biosphärenpark umfasst heute 110.000 Hektar, das entspricht 105.000 Fußballfeldern“, erklärt Weiß: „Im Norden begrenzt ihn die Donau bei Klosterneuburg, im Osten etwa Mödling und im Süden das Triestingtal. Selbst sieben Wiener Bezirke gehören dazu.“ 2005 wurde dieses Gebiet von der UNESCO zum Biosphärenpark ernannt, auch auf Wunsch der Wienerwaldgemeinden, damit man rechtliche Möglichkeiten habe im Kampf um Boden und Nutzfläche, so Weiß. Denn Josef Schöffels Kampf ist wohl noch nicht ganz zu Ende.

„Man sieht hier vor sich den größten zusammenhängenden Laub-Mischwald Mitteleuropas, am Rande einer Millionenstadt, das gibt es fast nur hier in Österreich. Schöffel hat damals erkannt, dass der Wienerwald eine einzigartige Ressource ist. Er hat die Wohlfühlfaktoren und die Klimawirkungen dieser Region richtig eingeschätzt. Allein, dass der Wein rund um Wien und in der Thermenregion so gut wächst, ist diesem Klima und den Windströmungen aus dem Wienerwald mit zu verdanken“, zeigt sich Weiß überzeugt.

Schöffels Kampf mit Beamten und Spekulanten

Josef Schöffel (1832-1910) wohnte mit seiner Familie in der Hinterbrühl bei Mödling und war ein pensionierter Offizier. Als solcher studierte er Geologie und arbeitete an der damaligen „kaiserlich-königlichen geologischen Reichsanstalt“ mit. So dürfte er vom geplanten Verkauf von rund zehn Prozent des Wienerwaldes erfahren haben.

Schöffel
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Josef Schöffel (1832-1910)

Er startete eine Artikelserie im „Neuen Wiener Tagblatt“ und nannte die Vorgänge „Staatsgüter-Verschleuderung“. Aufgrund seiner genauen Recherchen wurde eine parlamentarische Voruntersuchung eingeleitet. „In dieser Voruntersuchung wurden sämtliche Insider-Informationen, die Schöffel in die Öffentlichkeit gebracht hatte, über die Bodenpreise, die Holzpreise, möglicherweise über Bestechungen der Beamten, der Kommissionen und der Forstmitarbeiter, analysiert. In dem folgenden Prozess wurden alle Beschuldigten freigesprochen“, führte Christian Matzner vom Bezirksmuseum Mödling aus. Er hatte sich intensiv mit dem Fall Schöffel beschäftigt.

Der Verfahrensrichter hatte die beschuldigten Beamten darauf hingewiesen, dass sie Amtsgeheimnisse verraten würden. Daraufhin konnten sich die Beteiligten entweder nicht erinnern oder schwiegen zu den Vorwürfen. So manche Parallele zu heutigen Szenarien in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen dränge sich da auf, sagte Christian Matzner.

Gegen Öffentlichkeit waren Schöffels Gegner machtlos

Schöffel warf den Richtern Parteilichkeit vor und wurde selbst wegen Schmähung des Gerichts angeklagt, aber 1872 freigesprochen. Das war vor genau 150 Jahren das Ende des Verfahrens vom geplanten Verkauf der Waldgebiete. Indem er Fakten allgemein bekannt machte, beschritt er neue Wege der Auseinandersetzung.

„Schöffel ist etwas gelungen, das wir heute als Facebook-Community oder Instagram-Blogwriter bezeichnen würden, indem er das Medium Zeitung als Öffentlichkeit nutzte. Weder die Beamten noch die Spekulanten und Investoren hatten damit gerechnet und waren gegen diese Kampagne völlig machtlos“, ist Weiß auch ein wenig erstaunt, gab es doch die „allmächtige“ Zensur in der Habsburger-Monarchie.

Wiener Wald mit Blick auf Wien
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Blick aus dem Wienerwald auf Wien

Wienerwald wurde als Naherholungsgebiet erschlossen

War Schöffel bei Industriellen und Politikern sehr unbeliebt, beim Volk hatte er sich bald einen Namen gemacht. Er wurde ein Jahr nach dem Prozess zum Mödlinger Bürgermeister bestimmt und als parteiunabhängiger Parlamentarier in den Reichsrat entsandt.

Die Bürger entdeckten – auf Schöffels Spuren – langsam den Wienerwald als Erholungs- und Vergnügungsgebiet. „Sie wollten wissen, woher kommt unser Trinkwasser, wie sieht das aus, wofür Schöffel so gekämpft hat und so entstanden nach und nach Wege, Aussichtplattformen, Wandergruppen und Schöffel-Vereine“, sagt Christian Matzner abschließend .

Der Biosphärenpark Wienerwald ist heute in drei unterschiedliche Zonen gegliedert: Die „Entwicklungszone“, hier werden neue Ideen zur Nachhaltigkeit verwirklicht, die „Pflegezone“ mit der verantwortlichen Nutzung der wertvollen Kulturlandschaft und die „Kernzone“. In der Kernzone wird der Wald sich selbst überlassen, hier wird nicht in die Geschehnisse eingegriffen. In diesen fünf Prozent des Wienerwalds soll der Urwald der Zukunft entstehen.