Petra Brandl
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Chronik

20 Jahre Hochwasser: „Plötzlich war das Wasser da“

2002 erlebte Niederösterreich eine katastrophale Hochwasserflut. Ganze Dörfer standen unter Wasser, auch Teile von Zöbing bei Langenlois (Bezirk Krems). Petra Brandl harrte damals mit ihrem Mann und ihrem fünfjährigen Sohn im ersten Stock des Hauses aus.

Der Kamp hatte sich in der Nacht auf den 8. August zu einem reißenden Fluss entwickelt. Das Wasser schoss durch den Hof des Weingutes von Familie Brandl, die sich im ersten Stock des Hauses in Sicherheit gebracht hatte.

Im Interview mit Eva Steinkellner-Klein erzählt Petra Brandl 20 Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser, das vor allem im Kamptal und entlang der Donau schwere Schäden angerichtet hat, von den dramatischen Momenten, die sich in diesen Tagen abgespielt hatten. Ein Gespräch über Erinnerungen, Angst und Zusammenhalt.

noe.ORF.at: Am 7. August 2002 flutet der Kamp den Hof. Wie lebendig sind Ihre Erinnerungen?

Petra Brandl: Seit wieder darüber gesprochen wird, kommen die Bilder und Situationen wieder hoch. Es ist nicht so dramatisch, dass ich die ganze Zeit weine, aber es kommen so Gedanken, wie „Wahnsinn, dass wir das geschafft haben, dass das überhaupt passiert ist“.

noe.ORF.at: Sie haben damals eine Art Tagebuch geführt. Sie schreiben am Mittwoch, am 7. August, dass es seit Tagen regnet und dass Sie auf besseres Wetter hoffen, weil Sie am nächsten Tag auf Urlaub fahren wollen. Es ist ein beklemmender Bericht. Wie chaotisch war diese Zeit?

Brandl: Es war sehr chaotisch. Niemand wusste, was passieren wird. Der Kamp steigt und steigt in dieser Nacht. Wir haben wirklich nur von einer Minute oder Stunde auf die nächste gelebt. Plötzlich war das Wasser da. Wir haben versucht, es mit Latten aufzuhalten. Im Nachhinein war es gut, dass wir nicht wussten, was auf uns zukommt.

Ich weiß noch, als wir schon knöcheltief im Wasser gestanden sind, fuhr die Feuerwehr vorbei und meinte, wir erwarten 1,5 Meter Wasser. Ich habe damals zu meinem Mann gesagt „Ich bin 1,55 Meter groß. Dann ersaufen wir alle.“ Es ist unvorstellbar. Wir haben dann versucht, alle Sachen in den ersten Stock zu tragen. Und dann ist man mit der Situation konfrontiert, dass man nichts mehr machen kann.

Petra Brandl und Eva Steinkellner-Klein betrachten Foto vom Hochwasser 2002
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Petra Brandl mit Eva Steinkellner in jenem Hof, der beim Hochwasser 2002 völlig überflutet wurde

noe.ORF.at: Ihr Sohn war damals fünf Jahre alt. Er hat diese erste Nacht verschlafen.

Brandl: Ja, das war ein Geschenk. Wir wollten eigentlich am nächsten Tag auf Urlaub fahren. In den Nachrichten lief schon ein Hochwasserbeitrag aus Zwettl und mein Sohn fragte: „Kommt das auch zu uns?“ Ich habe ihn angeschaut und gemeint, dass zu uns kein Wasser kommt, er soll sich keine Sorgen machen. In der Früh wacht er auf und will auf Urlaub fahren, aber da ist das Wasser schon durch das Haus geronnen.

noe.ORF.at: Nach der ersten Welle kam die zweite. Wie war das?

Brandl: Ich bin sofort gegangen. Für mich war klar, ich bleibe kein zweites Mal. Wir waren zwei Tage eingesperrt. Wir sind dagesessen und haben geschaut, wie der Kamp vorbeifließt. Es hat nichts funktioniert, meine Mutter, meine Schwägerin wussten nicht, wie es uns ging. Es war auch noch die 80-jährige Großmutter da, es hätte sonst was passieren können.

Mein Mann ist allerdings bis zum letzten Augenblick geblieben. Sie haben noch alles gesichert, was möglich war, und dann ist die Feuerwehr gekommen und hat alle rausgeholt. Die Bausubstanz war bei unserem Haus zu beschädigt, dass wir nicht wussten, ob es die zweite Welle standhalten wird. Für meinen Mann war das ganz schlimm. Da kommen ihm heute noch die Tränen. Es war eine gruslige Situation. Die Leute waren wie paralysiert. Es war überhaupt nicht mehr greifbar, was hier gerade passiert.

Ein Foto vom Hochwasser 2002 in Zöbing
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Teile von Zöbing standen bei der Flut 2002 völlig unter Wasser

noe.ORF.at: Wenn es jetzt regnet, haben Sie dann Angst? Wie geht es Ihnen mit der Katastrophe, die hinter Ihnen liegt?

Brandl: Nein, ich habe keine Angst. Ich hätte auch keine Angst, hier weiter zu wohnen. Wir sind dann umgezogen, aber nicht wegen des Hochwassers, sondern weil dieses Haus das Haus der Schwiegereltern ist und wir vor ein paar Jahren ein eigenes gebaut haben. Eigentlich ist Zöbing hochwassersicher. Das war einfach unvorstellbar.

Begleiten wird uns das Erlebte immer. Es ist noch heute so, dass wir in irgendwelchen Schuppen ein Häufchen verkrusteten Schlamm finden. Ich habe das auch sehr intensiv aufgearbeitet. Ich habe angefangen, Gedichte zu schreiben. Ich habe es oft Revue passieren lassen.

noe.ORF.at: Wie lange hat es gedauert, alles wieder aufzubauen?

Brandl: Jahre. Es dauert Jahre. Du fängst mit dem Groben an, mit dem Schlamm, der weggeräumt werden muss, die kaputten Geräte müssen entsorgt werden, die Bausubstanz musste inspiziert werden. Und dann geht es los: wieder die Mauern aufbauen. Es war ein Projekt über Jahre.

noe.ORF.at: Was hat das Hochwasser damals mit der Gemeinde gemacht? Mit der Gemeinschaft im Ort?

Brandl: Es war ein unglaublicher Zusammenhalt. Wenn man rausgegangen ist, wenn man jemanden getroffen hat, war da dieser Zusammenhalt. Das kann man gar nicht beschreiben. Man geht anders auf die Leute zu, wir sind uns anders begegnet. Jeder hat gefragt, wie es dem anderen geht.

Ich kann mich erinnern, unser Sohn hat mit dem Nachbarskind dann sehr gut spielen können, weil das Hochwasser die Gartenmauer weggerissen hat (lacht). Ja, es war ein unglaublicher Zusammenhalt.

Petra Brandl und Eva Steinkellner-Klein
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Petra Brandl (l.) im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein: „Es war ein unglaublicher Zusammenhalt“

noe.ORF.at: Wie ist das heute? Ist das geblieben?

Brandl: Jein. Es schleicht sich wieder Alltag ein. Aber wir haben sowieso einen guten Zusammenhalt in Zöbing. Wir haben ein gutes Vereinsleben hier. Die Feuerwehr war unglaublich engagiert, sie (die Helferinnen und Helfer; Anm.) haben Tag und Nacht gearbeitet. Aber ja, es hat den Ort schon auch verändert.

noe.ORF.at: Zöbing hat nach der Katastrophe einen mobilen Hochwasserschutz bekommen. Fühlen Sie sich sicherer?

Brandl: Ja, schon, aber ich habe die Hoffnung, dass wir den nicht brauchen, dass so ein Hochwasser nicht mehr kommt. Für Leute, die direkt am Kamp leben, ist das sicher eine große Hilfe, vor allem für den Kopf. Ich glaube schon, dass das eine gute Investition war.

noe.ORF.at: Sie glauben nicht, dass so etwas wieder passieren kann? Die Natur wird immer unberechenbarer, Naturkatastrophen wahrscheinlicher.

Brandl: Ich will mir keine Sorgen machen. Egal, was passiert, wir werden diese Situation meistern. Wenn etwas passiert, dann werden wir das schaffen.