Julian Schutting im August 2022
APA/Helmut Fohringer
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Kultur

Der Dichter Julian Schutting wird gefeiert

Zwei kommende Ereignisse rücken den Schriftsteller Julian Schutting derzeit in den Blickpunkt: Am Montagabend erhält der Dichter den H.C.-Artmann-Preis, am 25. Oktober feiert der in Amstetten Geborene seinen 85. Geburtstag.

„Der Geburtstag ist mir grauenvoll. Der Preis freut mich, obwohl ich ihn reichlich spät bekomme. Viele werden sagen: Was, der lebt noch? Ich nehme ihn aber gerne an, weil ich voll in der Arbeit bin. Ich publiziere mehr denn je. Das kostet mich sehr viel Geld – weil ich nicht selber auf Computer schreibe.“

Für die Erfassung seiner Texte mittels Computer bezahle er. „Das ist ein Luxus, den ich mir leiste. Ich habe noch an keinem Buch nur einen Groschen verdient.“ Geschrieben wird mit der Hand oder mit einer Schreibmaschine – an einem kleinen Schreibpult in einer 23-Quadratmeter-Schreibklause. Dort darf man sich den Dichter vorstellen, tagaus, tagein an seinen Texten feilend, Worte abwägend, austauschend, verschiebend – „wie in einem Verschubbahnhof“. Und regelmäßig die Wanderschuhe anziehend, aufbrechend, das Weite suchend.

Schutting sammelt Beobachtungen und Begebenheiten

Jeden Tag gehe er mindestens zweieinhalb bis drei Stunden, sagt Schutting, „mit Schrittzähler“, – weniger der Gesundheit zuliebe als seiner Unstetigkeit geschuldet. „Ich sitze nicht gerne. Die Herumhockerei halte ich nicht aus. Ich gehe auch nach wie vor auf Stehplatz in die Oper. Früher dachte ich, nicht mehr schreiben zu können, wäre mein größtes Unglück. Heute denke ich: Nicht mehr flott gehen zu können, wird für mich am ärgsten sein.“ Bedauernd muss er feststellen, dass es bzw. er nicht mehr so geht wie früher: „Vor vier Jahren war ich von meiner Wohnung in 50 Minuten auf dem Kahlenberg. Heute brauche ich eineinviertel Stunden.“

Julian Schutting im August 2022
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Julian Schutting: „Ich wäre froh, wenn ich mehr Ruhe hätte“

Beim Gehen ist Schutting – eine weitere Parallele zu Nobelpreisträger Peter Handke, der demnächst 80 wird – ein Sammler. Er sammelt jedoch keine Pilze oder andere Waldfrüchte, sondern Eindrücke, Beobachtungen, Begebenheiten, die ihm auffallen. Wie neulich, als er in der Skodagasse eines parkenden Autos der Marke Skoda ansichtig wurde.

Diese Auffindungen des Alltags bieten den Ausgangspunkt seiner literarischen Arbeit, nicht die dichterische Fantasie. Den Autor als Erzähler erfundener Dinge lehnt er aus ganzem Herzen ab. Mit seiner Fantasie Gott zu spielen, halte er „für total langweilig. Ein Gedicht ist eine Momentaufnahme. Ein lyrisches Gedicht hat keine Handlung.“

Buchhinweis

Julian Schutting: Das Los der Irdischen. Szenen und Dialoge. Literaturedition Niederösterreich, 188 Seiten, 24 Euro.

Lesung am 13.9., 17.00 Uhr, Österreichische Gesellschaft für Literatur, Wien, Herrengasse 5.

Neues Buch „Das Los der Irdischen“

Auch in „Das Los der Irdischen“, dem dieser Tage erscheinenden Band mit szenisch-dramatischen Werken, finden sich keine Theaterstücke, in denen Handlung oder Figurenentwicklung eine Rolle spielen. „Nichts davon ist für die Bühne gedacht. Das sind Lesedramen, eines davon gab es als Hörspiel“, sagt Schutting im Gespräch mit der Austria Presse Agentur.

Das Theater funktioniere doch nach wie vor im Wesentlichen wie im Barock. Das interessiere ihn nicht. Daher geht es in dem neuen Buch vor allem um Sprache und Dialog, um Lese- und Sprechtexte. Das nächste, für Herbst 2023 geplante Buch soll dann „Datierte Blätter“ heißen und seine Beobachtungen in Art von Tagebuchnotizen und Miniaturen versammeln, Merkwürdigkeiten aus Natur, Kunst und Politik – etwa Betrachtungen darüber, „was unsere Politiker oft Unlogisches im Radio daherreden“.

Julian Schutting im August 2022
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Er sei nur mit ungefähr jedem zehnten Gedicht zufrieden, sagt Schutting. „Was zählt, ist nur das Resultat, nicht die Intention.“

An die 60 Bücher hat er bereits publiziert, die ersten erschienen unter dem Namen Jutta Schutting, seit einer in „Übereinstimmung mit meinem lebenslangen Selbstgefühl“ 1989 vorgenommenen Namensänderung publiziert er als Julian Schutting. Er scheint unermüdlich. Wie schafft man so ein riesiges Werk? „Ich kann nichts dafür. Ich wäre froh, wenn’s nicht so wäre. Ich wäre froh, wenn ich mehr Ruhe hätte.“ Aber auch im Urlaub treibe es ihn immer wieder an das Schreibpult zurück.

„Ich würde ja auch lieber Krimis lesen“

Ein Band wie „Zu jeder Tageszeit“ (2007), auf dem als Gattungsbezeichnung Roman steht (Schutting: „Das war ein Gag. Ich hab’ das witzig gefunden.“), ist die absolute Ausnahme in seinem Oeuvre, das, so die Einschätzung der H.C.-Artmann-Preis-Jury, „in höchstem Maß geprägt (ist) von einem poetischen Grundgestus“. Zuletzt bewies er im Vorjahr mit einer souveränen „Winterreise“-Fortschreibung, zu welcher Meisterschaft er es dabei gebracht hat. Auf einem schmalen Grat balanciert er da zwischen tiefen Abgründen; witzige Schlenker und brutale Schläge gleichermaßen drohen den Leser immer wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Lyrik gilt zwar immer noch als Königsdisziplin, ist aber ein Minderheitenprogramm. Stimmt es ihn nicht traurig, dass die Gedichtbände in den Buchhandlungen meist in einer kleinen Lyrik-Ecke verräumt sind, während etwa Krimis Regalmeter um Regalmeter füllen? „Ich würde ja auch lieber Krimis lesen“, meint er schmunzelnd. „Ich versteh’ das völlig. Ich weiß auch nicht, ob ich mir ein Buch von mir kaufen würde.“