Zwölf Stunden Konzert wider Gewalt und Vergessen in Melk
Daniela Matejschek
Daniela Matejschek
Kultur

Zwölf Stunden Musik gegen Vergessen und Gewalt

Am Sonntag veranstaltet der Verein MERKwürdig ein zwölfstündiges Gedenkkonzert für die Opfer des KZ-Außenlagers in Melk. 26 Live-Acts unterschiedlicher Genres sind ab 10.00 Uhr an vier Orten in Melk bei freiem Eintritt zwölf Stunden lang zu sehen.

In der Melker Birago-Kaserne befand sich während des Zweiten Weltkrieges das drittgrößte Außenlager des KZ Mauthausen. Von 21. April 1944 bis 15. April 1945 wurden dort Inhaftierte aus mehr als 20 Ländern unter unwürdigsten Bedingungen zur Arbeit gezwungen.

Das Zwölf-Stunden-Konzert wider Gewalt und Vergessen widmet den etwa 14.400 Gefangenen des KZ-Außenlagers jeweils drei Sekunden Musik. Für jeweils drei Sekunden sind auf Bildschirmen neben den Bühnen auch die einzelnen Namen der Häftlinge zu lesen, so die Veranstalter.

Ein Konzert als lautstarker Appell für Zivilcourage

Alexander Hauer, Obmann von MERKwürdig, über die Idee zu diesem Konzert: „Drei Sekunden entsprechen etwa der Zeit, die es benötigt, einen Namen auszusprechen. In Summe kommen wir so auf rund zwölf Stunden. Wir möchten den Opfern auf diese Weise ihre Namen ein Stück weit zurückgeben. Gleichzeitig ist das Zwölf-Stunden-Konzert ein lautstarker Appell für Zivilcourage und vor allem in Zeiten, in denen wieder Krieg in Europa herrscht, hochaktuell!“ Das Konzert findet bereits zum dritten Mal statt, zuletzt 2020 (siehe Bild oben).

Vorschau auf das Konzert Zwölf Stunden Konzert wider Gewalt und Vergessen in Melk
Daniela Matejschek
Am Sonntag beginnt um 10.00 Uhr in Melk der zwölfstündige Konzertmarathon wider Gewalt und Vergessen

Das Programm versammelt bei freiem Eintritt Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Musikrichtungen – von Pop über Jazz und Weltmusik bis hin zur Klassik und Volksmusik. Sowohl bekannte Größen wie Ina Regen, Harri Stojka, Erika Pluhar, Georg Breinschmid und Kyrre Kvam als auch junge Bands und Newcomer, darunter der Starmania-Finalist Mert Cosmus, sowie regional in Melk verankerte Musiker und Ensembles finden sich auf den Konzertplakaten.

Erika Pluhar: „Unprätentiöses Wachrütteln“

Von 10.00 bis 22.00 Uhr werden am Sonntag fünf Bühnen an vier verschiedenen Veranstaltungsorten bespielt. Der Großteil des Programms findet am Melker Hauptplatz statt. Dort wird ab 10.30 Uhr ohne Pause jede halbe Stunde ein neuer Act auf einer der beiden Bühnen stehen. Auf Reden und Moderation zwischen den Auftritten verzichten die Veranstalter komplett.

Ankünfte im Konzentrationslager Melk
Häftlinge bei der Ankunft im Konzentrationslager Melk, das von 21. April 1944 bis 15. April 1945 bestand

In der Pfarrkirche Melk sind mit Florian Boesch, Christian Altenburger und Cornelia Hermann Vertreter der Klassik zu erleben. Bei der Gedenkstätte (ehemaliges Krematorium) und dem Objekt 10 (erstes Häftlingsquartier) werden vor allem meditative Klänge zu hören sein. Zur Gedenkstätte wird ein Shuttleservice geführt, jeweils 30 und 15 Minuten vor dem jeweiligen Beginn sowie nach dem Auftritt. Haltestellen sind in der Kremserstraße/Tourismusinfo sowie beim Eingang Objekt 10.

„Opportune Wohltätigkeit und publicityträchtige Charity sind mir sehr unlieb. Auch ‚wider‘ etwas zu sein, weil es zum guten Ton eines Künstlers gehört, meide ich. Das 12h-Konzert in Melk jedoch – dieses sich 30 Minuten lang musikalisch Einfügen ohne Moderation und ohne Gage – ist für mich unprätentiöses Wachrütteln, ein Schärfen des erinnernden Bewusstseins ohne Eigennutz. Deshalb mache ich da mit“, so Erika Pluhar, die um 18.00 Uhr am Hauptplatz zu hören sein wird.

Das Ziel: Das Gedenken an die Opfer wach zu halten

Seit 27 Jahren ist der Verein MERKwürdig – Zeithistorisches Zentrum Melk darum bemüht, „das Gedenken an die Opfer des Melker Konzentrationslagers mit einer in der Gegenwart verankerten Erinnerungsarbeit wach zu halten und gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen mit künstlerischen Arbeiten zu beleuchten“, heißt es auf der Website.

Der KZ-Überlebende Andrew Sternberg
ORF
Die „Wand der Namen“ in der KZ-Gedenkstätte Melk

So erinnert seit 2018 die „Wand der Namen“ in der Gedenkstätte (Melk Memorial) – dem ehemaligen Krematorium – an jene 4.884 Menschen, die hier ermordet wurden. Mit Unterstützung einer Studierenden des Instituts für Zeitgeschichte und in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen gelang in weiterer Folge eine fast lückenlose Recherche sämtlicher Namen der rund 14.400 ehemaligen Melker KZ-Häftlinge. 2019 wurde diesen das erste Zwölf-Stunden-Konzert wider Gewalt und Vergessen gewidmet.

Das KZ Melk war eines der größten Außenlager des KZ Mauthausen und das größte Lager auf niederösterreichischem Boden. Die KZ-Häftlinge waren aus politischen, religiösen, sexuellen oder rassischen Gründen ins KZ eingewiesen worden. Sie kamen aus über 30 verschiedenen Ländern und hatten – nach heutiger Lesart – mindestens 37 unterschiedliche Muttersprachen. Die Zwangsarbeit erfolgte hauptsächlich bei der Errichtung einer unterirdischen Stollenanlage im „Wachberg“ an der Westbahnstrecke zwischen Melk und Loosdorf.

In den Stollen wurden ab Spätherbst 1944 Rüstungsgüter (hauptsächlich Wälzlager) für die Steyr-Daimler-Puch AG hergestellt. Fast 5.000 KZ-Häftlinge wurden im Lager, am Arbeitsweg oder direkt bei der Baustelle zu Tode gebracht. Sie wurden entweder Opfer direkter Gewalt durch Waffen-SS, Luftwaffensoldaten, Zivilisten und „Funktionshäftlinge“ oder starben an schweren Erkrankungen infolge struktureller Gewalt – wie bspw. schwere körperliche Arbeit, mangelhafte Ernährung, Bekleidung und Ausrüstung. Aufgrund der hohen Sterblichkeit ließ die SS im Herbst 1944 ein lagereigenes Krematorium errichten, in dem ab Dezember 1944 rund 3.500 Leichen verbrannt wurden. Das frühere Krematoriumsgebäude wurde 1962 zum öffentlichen Denkmal erklärt.