Wissenschaft

Die Geschichte „rassisch wertvoller“ Kinder

Das Lebensbornheim am Rande des Wienerwaldes war zu NS-Zeiten ein Entbindungsort für „erbbiologisch wertvolle“ Frauen. Ein Projekt des „Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung“ (BIK) arbeitet nun die Geschichte des Heimes auf.

Von Oktober 1938 bis Kriegsende 1945 wurden im Entbindungsheim „Wienerwald“ in Feichtenbach/Pernitz (Bezirk Wiener Neustadt) mindestens 1.188 Kinder geboren. Das ergaben die Recherchen des Forschungsteams rund um Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des BIK in Graz. Hinter dem Heim stand der Verein „Lebensborn“. Dieser wurde 1935 von „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler gegründet, um Geburten „rassisch wertvoller“ Kinder zu fördern.

Der Verein unterhielt insgesamt 24 Heime in Deutschland, Österreich, Luxemburg, Belgien, Frankreich und Norwegen, in denen nur Frauen entbinden durften, die die „rassischen“ Vorstellungen der SS erfüllten, wie Stelzl-Marx im APA-Gespräch erklärte.

„Lebensborn“-Entbindungsheim im Wienerwald
Helga S., Wien

Während dieser Teil der Geschichte bekannt ist, waren etwa die Lebensumstände der Frauen und die Schicksale der dort geborenen Kinder bisher nicht näher erforscht. Das Projektteam des BIK widmete sich diesem Ziel, gefördert vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, vom Land Niederösterreich und vom Zukunftsfonds der Republik Österreich.

Archive und persönliche Interviews

Einerseits wurden dabei Archivunterlagen wie etwa Akten der im Heim geborenen Kinder analysiert. Zum anderen führte das Team persönliche Interviews mit Zeitzeugen, die in Beziehung mit dem Heim standen, aber auch mit den Lebensborn-Kindern selbst, in denen diese über die Auswirkungen erzählten, die die Geburt im „Wienerwald“-Heim auf ihre Familien und auf sie selbst hatte.

„Wir stehen noch am Beginn der Auswertung“, so Projektkoordinator Lukas Schretter. Schon jetzt zeige sich aber die große Bandbreite im Umgang mit der Familiengeschichte. Stelzl-Marx ergänzt: „Manche Menschen hat es nicht besonders in ihrer Biografie beschäftigt, für andere wurde es zum zentralen Lebensthema. Zum Teil war es ein Familiengeheimnis, zum Teil wurde offen damit umgegangen.“

„Lebensborn-Kinder“ erzählen

Am Dienstag sprechen zum ersten Mal vier ehemalige „Lebensborn-Kinder“ in einer Podiumsdiskussion im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich über die Bedeutung, die das Heim „Wienerwald“ für sie hat. Bei den Betroffenen im Alter zwischen 77 und 84 Jahren zeige sich auch die Verschiedenheit der Lebensläufe.

Karin Termes hatte bereits als Jugendliche mit der Auseinandersetzung mit „Lebensborn“ und der Suche nach ihren leiblichen Eltern begonnen, der Architekt Klaus Steiner beschäftigte sich auch beruflich mit der NS-Geschichte. Valentin Erben beschrieb die Umstände seiner Geburt als „Knödel in seiner Biografie“, Helga S. kam als außereheliches Kind im Heim zur Welt und verbrachte dort ihre ersten zwei Lebensjahre.

Lebensborn-Heim Wienerwald, Juli 1943
Helga S., Wien
Das „Lebensborn“-Heim Wienerwald im Juli 1943

Am Dienstag wird es auch erstmals eine private Veranstaltung für Lebensborn-Kinder geben, auf der sich diese kennenlernen und untereinander austauschen können. Um 18.00 Uhr folgen dann ein Vortrag von Schretter und die Diskussion unter Moderation von Sabine Nachbaur, die ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Organisiert wurde die Veranstaltung in Kooperation mit dem Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich und dem Institut für Geschichte der Universität Graz.

Anonym entbunden

Nachbaur beschreibt die Lebenssituation der Frauen, die ins Heim kamen: Etwa die Hälfte von ihnen sei verheiratet gewesen, häufig mit SS-Männern oder deutschen Polizisten. Unverheiratete Frauen hätten das „Lebensborn“-Heim meist gewählt, weil sie dort die Möglichkeit gehabt hätten, anonym zu entbinden und ihre Kinder auch unbemerkt im Heim großzuziehen. Dieses sei jedoch nicht „hermetisch abgeschlossen“ gewesen, so Stelzl-Marx. Personen aus der Umgebung hätten dort gearbeitet, die Mütter wären zur Post gegangen.

Parallel zu den Geburten wären jedoch auch einzelne Kinder, die nicht den Vorstellungen der NS entsprachen, Opfer der NS-„Kindereuthanasie“ geworden. Diese seien Nachbaur zufolge in die Wiener NS-Anstalt „Am Spiegelgrund“ überwiesen und dort ermordet worden.

Vier Verantwortliche für den Verein „Lebensborn“ seien bei den Nürnberger Prozessen angeklagt, später aber freigesprochen worden, weil sie glaubhaft machen konnten, es sei eine humanitäre Einrichtung gewesen, so Stelzl-Marx. Dem widerspricht die Historikerin aber vehement: „‚Lebensborn‘ war ein Instrument der NS-Rassenpolitik.“