Wirtschaft

In der Krise schlägt das Radio das Internet

Die kritische Infrastruktur ist zuletzt immer mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Dazu zählen auch Sendeanlagen, weil gerade im Krisenfall die Informationsweitergabe immens wichtig ist. Zwei besonders bedeutende Anlagen stehen in Niederösterreich.

Österreichs wichtigste Sendeanlage steht auf dem Kahlenberg an der Grenze zwischen Niederösterreich und Wien. Dort versorgt der Antennenturm 2,5 Millionen Menschen mit Radio- bzw. Fernsehsignalen – so viele wie kein anderer Sender Österreichs. Der charakteristische Turm am Kahlenberg ist ein markanter Punkt inmitten eines beliebten Ausflugsziels im Norden Wiens. Was sich dort genau abspielt, ist aber den wenigsten bekannt, die an dem abgezäunten Areal vorbeikommen.

Das Herzstück befindet sich im Senderraum, dem Zentrum der Anlage. Dort stehen die eigentlichen Sender, die die empfangenen Radio- und Fernsehprogramme so aufbereiten, dass sie von den Antennen verbreitet und in weiterer Folge von den jeweiligen Empfangsgeräten wiedergegeben werden können.

Jeder Radiosender und jeder TV-Sender hat ein eigenes Gerät. Jedes von ihnen erinnert an unscheinbare Spindschränke. Die Verarbeitung der Signale geschieht vollautomatisch. Menschen braucht es zur Programmierung, Kontrolle und Optimierung der Vorgänge bzw. dann, wenn ein Problem auftritt und schnell gelöst werden muss.

Sendeanlage Kahlenberg
ORF/Veronika Berger
Der fast 170 Meter hohe Sendeturm auf dem Kahlenberg

Sendeanlagen in mehr als 400 Orten

Gerade durch die enorme Bedeutung der Anlage gibt es aber „für jedes System und jede Komponente eine Reservemöglichkeit“, betont Markus Mangi, Terrestrikleiter der ORS, die zum ORF gehört und auch abseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Dienstleister für private Fernseh- und Radioanbieter tätig ist.

Österreichweit betreibt die ORS an mehr als 400 Orten Sendeanlagen. „Das bedeutet, dass ein einzelner Störfall zu keinem Komplettausfall führen kann – egal ob der Strom, eine Richtfunkantenne oder Sendeantenne ausfällt. Wir haben für alles vorgesorgt und können den Sendebetrieb weiter fortführen.“

Österreichs Topografie, die von teils großen Bergen geprägt ist, macht die Versorgung mit Rundfunkprogrammen zu einem nicht einfachen Unterfangen. Damit Radio und Fernsehen in jedem Tal Österreichs zu hören bzw. sehen ist, betreibt die ORS in jedem Bundesland eine Großsendeanlage, die dem Kahlenberg ähnlich ist – vom Sender am Jauerling in Niederösterreich bis zum Pfänder in Vorarlberg. Dazwischen stehen einige Mittelsendeanlagen, ergänzt werden diese von vielen weiteren Kleinsendeanlagen.

Garantiertes Programm auch im Blackout-Fall

Mangi zufolge sei die Versorgungssicherheit auch im Fall eines Blackouts, also bei einem länger dauernden und großflächigen Stromausfall, gesichert. In den Tiefen der Senderanlage auf dem Kahlenberg befindet sich ein leistungsstarkes Notstromaggregat, das die gesamte 165 Meter in den Himmel ragende Sendeanlage mit all ihren Antennen betreiben kann.

„Die Anlage funktioniert völlig autark. Durch das Notstromaggregat können wir den gesamten Betrieb ohne Einschränkungen für mindestens 72 Stunden sicherstellen“, so Mangi, „im Notfall auch länger.“ Würde ein Blackout länger andauern, „könnten wir einzelne Komponenten abschalten und so den Notstrombetrieb deutlich länger fortsetzen, indem wir nur noch die wichtigsten Sender betreiben.“ Für diesen Fall – alle hoffen, dass er nicht eintritt – sind am Kahlenberg große Vorräte an Diesel vorhanden.

Notstromaggregat am Kahlenberg
ORF/Veronika Berger
Das Notstromaggregat im Keller der Anlage ist stark genug, um den gesamten Sendebetrieb mehrere Tage aufrechtzuerhalten

Im Krisenfall ist Radio Mittel der Wahl

Radio- und Fernsehprogramme werden also weiter gesendet – auch dann, wenn der Strom ausfällt und die Mobilfunknetze zusammenbrechen. Offline-Informationsbeschaffung über Antenne könnte dann plötzlich auch für jene an Bedeutung gewinnen, die sich sonst ausschließlich digital informieren. Der ORF ist als öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Krisenfall über seinen gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag verpflichtet, weiterhin Programme zu produzieren und über die Sendeanlagen zu verbreiten.

Während beim Sendeturm die Verbreitung von Radioprogramm in etwa gleich viel Energie wie das Verbreiten von Fernsehprogramm verbraucht, ist auf der Seite der Empfangsgeräte das Radio im Notfall das weitaus krisenfestere Medium. „Bei einem Blackout werden Fernseher und Computer schnell schwarz und still sein“, so Mangi, „deutlich mehr Leute haben dann aber noch die Möglichkeit, Radio zu hören – sei es im Auto, das über die Autobatterie noch relativ lange betrieben werden kann, oder über batterie- oder kurbelbetriebene Radios.“

Moosbrunn: Einer der letzten Kurzwellensender Europas

Dass Radio aber auch in anderen Krisenfällen besonders wichtig sein kann, zeigt Österreichs letzter Kurzwellensender in Moosbrunn (Bezirk Bruck an der Leitha) südlich von Wien. Wer die flache Gegend kennt, hat vermutlich auch schon einmal die vier Sendetürme entdeckt, die inmitten von Feldern weithin zu sehen sind. Zuletzt wurde von hier aus unter anderem die Ukraine mit Radionachrichten versorgt.

Aus dem kleinen Ort mit weniger als 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern wird analoges Radioprogramm für die weltweite Verbreitung ausgestrahlt. Im Vor-Internet-Zeitalter boomten einige Sendungen des Österreichischen Auslandsdienstes noch: von Radio Österreich International, das etwa bei Ausgewanderten besondere Beliebtheit genoss, bis zu Mittelmeer-Wetterprognosen, die für deutschsprachige Urlauberinnen und Urlauber selbst auf Segelschiffen noch zu empfangen waren.

Der heutige Nachfolger des österreichischen Auslandsdienstes ist Ö1 International. Seit 2010 wird über die verbliebene Kurzwellenfrequenz allerdings nur noch ein Nachrichtenblock des Inlandsprogramms ausgestrahlt, alle übrigen Sendungen wurden ersatzlos aus dem Kurzwellenprogramm gestrichen. Die Ö1-Journale sind seit diesem Jahr auch in der Ukraine empfangbar.

Übersicht über alte ORF-Auslandsprogramme
ORF/Veronika Berger
Tafeln im Inneren der Anlage erinnern an die Blütezeit der Kurzwelle, als aus Moosbrunn noch zahlreiche österreichische Sendungen ins Ausland übertragen wurden

Die Kurzwelle ist eine Übertragungstechnik, mit der grundsätzlich jeder Punkt der Erde erreicht werden kann. Mit der schwenkbaren logarithmisch-periodischen Antenne wurden Radionachrichten in die Ukraine gesendet – neben den Ö1-Journalen etwa auch Nachrichten eines deutschen Journalistenvereins.

Radiohören hinterlässt keine Spuren

„Weil Radiohören keine Spuren hinterlässt, kann man Information für die Leute bereitstellen, ohne dass das Konsumieren dieser Information nachvollzogen werden kann. Zudem unterliegt es keiner Zensur und bei der Kurzwelle sind auch keine Lizenzen vor Ort erforderlich“, erklärt Ernst Spitzbart, Leiter der Senderanlage Moosbrunn. „Wenige Tage nach Kriegsbeginn in der Ukraine haben wir begonnen zu senden.“

Programmschema Moosbrunn
ORF/Veronika Berger
Ein Sendeschema in Moosbrunn. Die Kürzel im gelben Kasten ganz rechts bei Sender 4 bezeichnen die Ausstrahlung des Ö1-Mittagsjournals in die Ukraine.

Nachrichten in Ukraine und Russland gefragt

Spitzbart zufolge seien in der Ukraine – und teils auch in Russland – Nachrichten aus dem Ausland gefragt. „In der Ukraine zum Beispiel gibt es nicht wenige Menschen, die Fremdsprachen beherrschen – auch Deutsch. Und diese Leute schätzen unzensuriertes Programm, um sich zu informieren, auch um die empfangenen Nachrichten an andere weitergeben zu können.“

Früher hatte so gut wie jedes europäische Land einen eigenen Kurzwellensender. Durch den technischen Fortschritt gilt die Kurzwelle als veraltet, viele Länder leisten sich diesen „Luxus“ nicht mehr. Spitzbart erlebte in mehr als 40 Dienstjahren sowohl die Höhen der Kurzwelle als auch deren sukzessiven Abschwung mit, als sie von anderen Technologien überholt wurde.

Europaweit nur noch fünf Kurzwellensender

Europaweit gibt es heute nur noch wenige weitere vergleichbare Kurzwellensender. Laut Spitzbart sind es neben Moosbrunn vier: Nauen bei Berlin, Wooferton bei London, Issoudun in Zentralfrankreich und Radio Vatikan bei Rom. Doch nicht alle Sendestationen sind gleich ausgestattet. So kommt es, dass Moosbrunn von Radiosendern weltweit gebucht wird, um Sendungen auszustrahlen – von den Radionachrichten bis zu religiösen Gruppen, die Sendungen in Afrika oder Asien verfügbar machen wollen.

Zu diesem Zweck stehen in Moosbrunn vier verschiedene Antennen, zwei von ihnen sind schwenkbar, jede erreicht andere Zielgebiete. „Wir senden von Nordamerika bis Japan und auch in Neuseeland sind unsere Signale zu hören“, erzählt Spitzbart hörbar stolz.

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Unterschiedliche Antennenanlagen in Moosbrunn
ORF/Veronika Berger
Ganz links sieht man eine fixe Vorhangantenne, die von Amerika bis Tokio sendet, in der Mitte eine Rundstrahlantenne für die Europaversorgung und rechts steht die drehbare logarithmisch-periodische Antenne, die in Europas Randgebiete und damit unter anderem in die Ukraine sendet
Drehbare Vorhangantenne in Moosbrunn
ORF/Veronika Berger
Ebenfalls in Moosbrunn steht diese drehbare Vorhangantenne. Sie kann zur Ausrichtung um 360 Grad rotieren. Von dieser Art gibt es neben Moosbrunn weltweit nur ganz wenige.
Kontrollraum in Moosbrunn
ORF/Veronika Berger
Im Kontrollraum der Anlage erinnert vieles noch an frühere Jahrzehnte. Anders als damals läuft hier mittlerweile alles vollautomatisch.
Das Innere eines Senders in Moosbrunn
ORF/Veronika Berger

Weiterbetrieb der Anlage hat schon mehrfach gewackelt

Dass die Kurzwelle Herzen von jenen Menschen hochschlagen lässt, die gerne in Radionostalgie schwelgen, ist verständlich. Allein der Ausflug nach Moosbrunn gleicht einer Zeitreise in vergangene Jahrzehnte: Die alten Sender im Inneren der Station sind das Herzstück der Anlage.

In ihnen entstehen beispielsweise die jeweiligen Frequenzen. Vergleicht man sie mit den Sendern am Kahlenberg, so ist der technische Fortschritt selbst für Laiinnen und Laien erkennbar. Zwischen all den Geräten erinnern Schilder mit einer Übersicht über ehemalige Auslandsprogramme an die Blüte der Kurzwelle.

Im Krisenfall sei „Internet zu unsicher“

Gerade weil die Anlagen schon mehrmals totgesagt wurden und ihr Weiterbetrieb mehr als einmal wackelte, setzt Spitzbart heute auf die weltweiten Entwicklungen, um auf den Stellenwert der Sendeanlage hinzuweisen – und „um sich die Bedeutung der guten alten Technik wieder vor Augen zu führen“.

Im Krisenfall sei jede zusätzliche Informationsinfrastruktur wertvoll. „Durch den Angriffskrieg in der Ukraine haben wir alle gesehen, wie schnell völlig andere Voraussetzungen eintreten können, die eine andere Technik erfordern, weil das Internet zu unsicher ist, und da ist es sicher gut, wenn man die Kurzwelle noch möglichst lange im Ärmel hat.“