Wild Cat – Szene
Aude Arago
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Kultur

Festspielhaus bietet Breakdance eine Bühne

Im Festspielhaus St. Pölten hat am Samstag Breakdancer Saïdo Lehlouh mit seiner Tanzcompagnie gastiert. Seine Choreografie „Wild Cat“ räumt mit stereotyper Männlichkeit auf. In ihrer ersten Saison als künstlerische Leiterin lädt Bettina Masuch viel zum Mitmachen ein.

Wie Katzen fließen die Körper in ihren Bewegungen knapp über den Bühnenboden. Das weiße Licht der Scheinwerfer ist gedämpft. Auf den ersten Blick lässt sich nicht erkennen, ob Frauen oder Männer tanzen. Es sind ausschließlich Männer. In „Wild Cat" will Choreograf Saïdo Lehlouh mit Hilfe von Breakdance, in der Tanzszene selbst Breaking genannt, eine Männlichkeit zeigen, die frei von Stereotypen ist.

„Die Breaking-Szene hat viele Stereotype – die Battles (Kämpfe, Anm.), die bösen Jungs, viel Wettkampf, Aggressivität in der Performance“, sagt er im Gespräch mit noe.ORF.at, „aber bei meinem Stil und bei den Menschen auf der Bühne ist Breaking ganz anders – da geht es um Finesse und Intimität.“ Die Choreografie zu „Wild Cat“ entwickelt sich ständig weiter. Die Inspiration bekomme er beim Beobachten von Menschen im täglichen Leben: wie sie kochen, essen, gehen oder miteinander reden, sagt Lehlouh.

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Wild Cat – Szene
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Choreograf Saïdo Lehlouh spielt auf die Pariser Breakdance-Szene der 1990er an
Wild Cat – Szene
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Die Bewegungen sollen an Katzen erinnern
Wild Cat – Szene
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Ein ausschließliches männliches Ensemble tanzt bei „Wild Cat"

Festspielhaus-Chefin Bettina Masuch holte mit „Wild Cat“ eine Österreich-Premiere nach St. Pölten. Zur „Umarmung“ lädt ihr Saisonprogramm ein. Viele Veranstaltungen kommen mit Workshops oder auch „Bewegten Einführungen“, bei denen Besucherinnen und Besucher an diesem Abend etwa Grundschritte aus „Wild Cat“ nachtanzen.

Bettina Masuch kommt ursprünglich aus der Theaterdramaturgie, ab 2002 widmete sie sich verstärkt dem Tanz. Sie war Produktionsdramaturgin am Schauspielhaus Zürich, leitete u.a. das Springdance Festival in Utrecht und das Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Seit Herbst 2022 ist die 58-Jährige künstlerische Leiterin am Festspielhaus St. Pölten.

noe.ORF.at: Frau Masuch, Breakdance auf der Bühne im Festspielhaus – wollen Sie damit verstärkt junge Menschen ansprechen?

Masuch: Eigentlich richtet es sich an alle Menschen, die gerne Tanz schauen. Natürlich muss man sagen, dass Hip-Hop, Breakdance, urbaner Tanz etwas ist, was aus der Jugendkultur kommt. Ein Tanz, der zuerst auf der Straße getanzt wurde und so langsam die Bühnen dieser Welt erobert. Es gibt Länder, in denen es schon feste urbane Hip-Hop-Kompanien an großen Tanzhäusern gibt. Es gibt urbane Tänzer, die in Ballettkompanien sind. Also das ist sozusagen eine neue Einstiegsdroge in den Tanz.

„Bewegte Einführung" vor „Wild Cats“ im Festspielhaus
ORF/Nina Pöchhacker
Bei der „Bewegten Einführung“ vor einem Stück gibt es Infos sowie Tanzschritte zum Ausprobieren

noe.ORF.at: Für diese Veranstaltung gibt es eine bewegte Einführung und einen eigenen Workshop. Wird sich das durch die ganze Saison ziehen, dass man das Publikum zum Mitmachen einlädt?

Masuch: Uns ist die Vermittlung des Tanzes sehr wichtig. Und da gibt es sehr unterschiedliche Zugänge. Es gibt Tanzveranstaltungen, die auf Geschichten basieren. Da bietet es sich natürlich an, eine Einführung zu machen, die zum Beispiel etwas zum Hintergrund von den Choreografinnen und Choreografen erzählt.

Breakdance, Breaking

Wurde auf der Straße getanzt und ist Teil der Hip-Hop-Bewegung. Getanzt wird zu Pop, Funk oder Hip-Hop. Breakdance ist weltweit verbreitet. Die Breakdance-Kultur begreift sich als frei von Grenzen der Abstammung, des Geschlechts oder des Alters.

Und es gibt Choreografien, die bewegungsbasiert sind, die neue Körpersprachen erfinden. Unsere Erfahrung ist, dass man das am besten versteht, wenn man das einmal am eigenen Körper gespürt hat. Es geht darum, über den Körper zu verstehen, was da auf der Bühne passiert. Und das ist sehr aufregend.

noe.ORF.at: Saïdo Lehlouh ist ein junger Choreograf mit einem jungen Tanzstil. Will man sich da als Haus so positionieren, dass man Junge fördert, ihnen eine große Bühne bietet?

Masuch: Mir geht es darum ein Spektrum zu zeigen von dem, was Tanz heutzutage sein kann. Da geht es einerseits natürlich darum, die großen Meister mit Stücken zu präsentieren, über die schon jeder Mann und jede Frau spricht. Aber natürlich geht es auch immer darum, neue Künstler vorzustellen, wobei neue natürlich immer relativ ist, weil Saïdo Lehlouh kennt man vielleicht in Österreich noch nicht, aber in Frankreich ist er schon ein kleiner Star.

noe.ORF.at: War es schwer, ihn nach St. Pölten zu bekommen?

Masuch: Nein, wir kannten uns. Ich habe seine Arbeit schon in Düsseldorf präsentiert. Man muss auch sagen, dass das Haus hier natürlich etwas bietet, was viele Tanzhäuser eben nicht haben, nämlich die große Bühne, das große Auditorium. Und natürlich ist das für viele Künstlerinnen und Künstler eine enorme Herausforderung, ihre Arbeit hier zu präsentieren.

Bettina Masuch
APA/GEORG HOCHMUTH
Das Festspielhaus als Ort „an den man sich begibt, wenn man einen schönen Abend haben will, wenn man Freunde treffen will“ – so sieht Masuch die Zukunft

noe.ORF.at: Wo sehen Sie denn das Festspielhaus in drei, vier Jahren?

Masuch: Eigentlich da, wo wir jetzt schon stehen. Ich hoffe, dass es brummt vor Leben, dass die Menschen zurückkommen ins Haus, dass das ein Ort ist, an den man sich begibt, wenn man Kunst sehen will, die auch ein bisschen bei einem bleibt, wenn man nach Hause geht.

Das soll ein weltoffener, freier Raum sein, der sozusagen viele Menschen umarmt. Und die Umarmung ist unser Motto diese Saison. Das ist das, was wir hier praktizieren wollen – nämlich viele Menschen einladen und diese Liebe, die wir zum Tanz, zur Musik haben, mit ihnen zu teilen.

noe.ORF.at: Also eher weg von diesem passiven Ansehen? Nicht kommen, zusehen und nach Hause gehen, sondern aktiv etwas Mitmachen oder sich an einer Vorstellung beteiligen?

Masuch: Das durchaus. Aber es geht auch darum, durch Kunst berührt zu werden. Etwas, was wir ja über die Pandemie vermisst haben, weil wir im kleinen Kreis waren, weil wir vor den Bildschirmen waren. Ich bin der festen Überzeugung, dass es etwas sehr anderes ist, wenn man in einem Saal sitzt mit Menschen und auf Menschen schaut und dieser Funke überspringt. Ein körperliches Erlebnis, Teil eines Kunstgenusses zu sein – das ist wirklich was anderes. Und das bedeutet eigentlich diese Umarmung.