Der Acker, der in der St. Valentiner Katastralgemeinde Neu-Thurnsdorf derzeit die Gemüter erhitzt, ist etwa 53.000 Quadratmeter groß. Das Stück Land liegt direkt an der Westbahnstrecke, vereinzelt stehen neue Einfamilienhäuser am Rand der Fläche. In der Mitte der Fläche befindet sich ein Fensterbauer.
Er könnte demnächst auf drei Seiten einen großen Nachbarn bekommen: Das Onlineversandhaus Amazon will in Neu-Thurnsdorf einen weiteren Standort für ein Paketverteilzentrum. Errichtet werden soll das Zentrum von der Immobilienfirma Fraktal, die die Hallen dann an Amazon exklusiv vermieten möchte.
„Eingekesselt zwischen Westbahn und Amazon“
„Hier werden die Pakete sortiert und dann in weiterer Folge von den Partnern ausgeteilt. Es geht um ein hochmodernes Logistikgebäude mit einer Größe von circa 5.200 Quadratmetern“, erklärt Fraktal-Sprecher Kilian Dallwitz. Daneben, in unmittelbarer Nähe zu den Einfamilienhäusern, soll ein zweigeschossiges Parkhaus für die etwa 350 Lieferwagen entstehen.
Die Anrainerinnen und Anrainer sind von diesen Aussichten wenig angetan. Von bis zu 1.000 Lieferwagenfahrten pro Tag sei die Rede, heißt es. „Die Lärmbelästigung, die wir dadurch zukünftig haben werden, wird ein Wahnsinn“, glaubt Tanja Karlseder, die erst vor Kurzem das Elternhaus renoviert und ausgebaut hat. Schon jetzt sei die Lärmbelästigung durch die Westbahn hoch. „In Zukunft sind wir eingekesselt zwischen Westbahn und Amazon-Gebäude.“
Schlaflosigkeit durch Lichtverschmutzung befürchtet
Karlseder fürchtet nun um den Wertverlust ihrer Immobilie. „In Wahrheit ist das dann gar nichts mehr wert“, klagt sie. Ähnlich geht es den anderen Anrainern. Neben dem Lärm ist es auch die Lichtverschmutzung durch den Nachtbetrieb, die sie fürchten. „Wenn man sich anschaut, wo die Häuser, wo die Fenster sind, dann können Sie sich vorstellen, dass da die Leute nicht mehr schlafen können“, klagt Susanne Webersdorfer.
Die Vorstellung, dass in St. Valentin ein Amazon-Verteilzentrum entstehen könnte, bewog Webersdorfer, eine Bürgerinitiative gegen das Bauprojekt zu initiieren. Sie sei grundsätzlich eine Gegnerin des Geschäftsmodells des Onlineriesen, sagt sie, noch mehr aber, seit die Firma in der Stadt bauen möchte. Seit Monaten sammelt die Initiative Unterschriften. Enttäuscht ist die Gruppe vor allem von der Gemeinde.
Der Gemeinderat sprach sich im Herbst mit 18 zu 13 Stimmen für den Amazon-Standort aus. Bürgermeisterin Kerstin Suchan-Mayr (SPÖ) möchte sich im Gespräch mit noe.ORF.at weder dafür noch dagegen aussprechen: „Ich bin die Bürgermeisterin. Ich habe die Beschlüsse des Gemeinderates umzusetzen und dafür zu sorgen, dass das Beste für unsere Bürgerinnen und Bürger, für die Anrainer, für die Stadt herauskommt.“
100 zusätzliche Jobs erwartet
Noch liegen keine konkreten Unterlagen und keine Pläne für das Bauvorhaben vor. Man werde das Projekt aber eingehend prüfen, verspricht die Bürgermeisterin. Im Rathaus geht man jedenfalls von 100 zusätzlichen Arbeitsplätzen durch den Amazon-Standort aus.
Für Probleme könnte dabei unter anderem die Fläche selbst sorgen. Ein Teil gehört der Stadtgemeinde, ein Teil ist privat, und ein Teil gehört der Pfarre St. Valentin. Dort hat man sich bisher gegen den Verkauf ausgesprochen. Von Fraktal heißt es, man werde in den kommenden Wochen erneut das Gespräch suchen.
Widmung lässt nur „emissionsarmen Betrieb“ zu
Doch auch die Flächenwidmung könnte zum Problem werden. Die Fläche ist nämlich derzeit nur für „emissionsarmen Betrieb“ gewidmet. „Emissionsarmes Betriebsgebiet hätte geheißen, dass da kleine Betriebe herkommen“, argumentiert Webersdorfer. So wie der Fensterbauer in der Mitte des Feldes – darauf haben sich die Anrainer eingestellt.
Bürgermeisterin Suchan-Mayr verspricht, die Widmung auf „Punkt und Beistrich“ zu prüfen, sobald die entsprechenden Unterlagen bei der Stadtgemeinde eingereicht sind. Besonders werde man auf die Themen Lärm, Lichtbelastung und Verkehr eingehen.
Fraktal-Sprecher Dallwitz verteidigt dennoch die Standortwahl. Das Gewerbegebiet mit der betrieblichen Widmung sei schließlich bereits vorhanden. Als Plus nennt er außerdem die gute Anbindung an die Autobahn und die Lage außerhalb des Stadtzentrums.
Fraktal möchte Ombudsstelle schaffen
Doch auch die Verkehrssituation stößt den Bürgeraktivistinnen und -aktivisten bitter auf. Schon jetzt gebe es an den neuralgischen Knotenpunkten ständig Stau, klagt Webersdorfer. Unter der Bahnunterführung würden nicht einmal zwei Lastwagen gleichzeitig durchfahren können.
Fraktal möchte in Zukunft auf eine starke Einbindung der Anrainerinnen und Anrainer setzen. So haben die bisherigen Gespräche etwa bereits ergeben, dass man das Parkhaus um ein Geschoß kleiner planen werde, sagt Dallwitz. Sollte es zum Bau kommen, werde auch eine Ombudsstelle eingerichtet, verspricht er. Für die Bürgerinitiative ist das allerdings zu wenig: Sie wünscht sich, dass die Pläne für das Verteilzentrum ad acta gelegt werden.