„Menschen im Blickpunkt“

Die Frau mit den 196 Kinderwägen

Ilse Bayer aus Scharndorf (Bezirk Bruck an der Leitha) hatte schon als Mutter für ihre fünf Kinder mehr als 30 verschiedene Kinderwägen. Mittlerweile finden sich in ihrer Sammlung seltene Exemplare aus ganz Europa sowie die ältesten Kinderwägen Österreichs.

Im Mittelalter sind Kinder in Schubkarren, Leiterwagen und Körben transportiert worden. Eigens konstruierte Kinderwägen gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert: „1848 hat ein Engländer Räder an einem Sessel montiert, um sein Kind durch einen Park zu schieben. Das hat wie ein Rollstuhl ausgeschaut“, weiß Ilse Bayer. „Die ersten Liegewagen für Babys sind dann ein paar Jahre später entstanden. Das waren Weidenkörbe, die man auf Rädern montiert hat – damals schon mit drei oder vier Rädern, einige zum Schieben, andere zum Ziehen, manche bereits mit lenkbarer Achse.“

Das private Kinderwagenmuseum von Ilse Bayer im ehemaligen Kindergarten von Scharndorf zeigt einen guten Überblick über die Geschichte der Kinderwägen: „In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die meisten Kinderwägen noch von Autofirmen gebaut worden. In meiner Sammlung habe ich zwei Wägen von Opel. Einer hat zusätzlich auch Kufen, damit man auch auf Schnee unterwegs sein kann.“

Sportkinderwagen mit Schiebedach und Seitenfenster

Die Kinderwägen wurden immer eleganter und sportlicher. Ein Modell aus Polen hat sogar versenkbare Seitenfenster und ein Schiebedach. Eine Besonderheit im Museum ist ein Stufengeher: „Bei diesem Kinderwagen kann man die Radachsen in unterschiedliche Höhen stellen. Damit kann man über Treppen oder eine steile Bergstraße hinunter fahren und das Kind sitzt trotzdem waagrecht im Wagerl“, erklärt Ilse Bayer.

Kinderwagen
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Die Sammlung umfasst viele „Spezialitäten“ – unter anderem einen Kinderwagen mit Schiebedach und versenkbarem Seitenfenster

Ihre Leidenschaft für Kinderwägen habe schon als junges Mädchen begonnen: „Damals habe ich einen Puppenwagen geschenkt bekommen, der mir aber nicht so gut gefallen hat. Ich habe dann begonnen, selbst Wägen zu bauen“, erzählt die Sammlerin. „Wir hatten zu Hause eine Holzhandlung und ich hab mit Holzresten Wagen gebaut. Allerdings hatte meine Mutter dafür kein Verständnis. Meine Basteleien wurden regelmäßig im Ofen verbrannt.“

„Habe die Kinder nach dem Kinderwagen ausgesucht“

Als Teenagerin fand Ilse Bayer einen neuen Weg, ihre Kinderwagenleidenschaft aufzuleben: „Ich hab auf die Babys in der Nachbarschaft aufgepasst. Allerdings nur auf die, die einen tollen Kinderwagen hatten.“ Als junge Mutter hatte sie bald fünf gute Gründe, eigene Kinderwagen zu kaufen.

„Pro Kind hab ich sechs bis acht verschiedene Kinderwägen gehabt. Natürlich keine neuen, sondern gebrauchte, die ich dann selbst wieder auf den neusten Stand gebracht habe“, freut sich Ilse Bayer. „Ich habe jetzt einmal auf alten Fotos nachgezählt: Insgesamt waren es 32 verschiedene Kinderwägen, in denen meine fünf Kinder gesessen sind.“

Kinderwagenmuseum
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Einige der besonderen Kinderwägen werden ab Mai als Leihgaben in der Schallaburg zu besichtigen sein

Heute entdeckt Ilse Bayer Kinderwägen auf Flohmärkten und Internettauschplattformen: „Im eigenen Haus wurde es bald zu eng. Mein Mann hat sich geärgert, dass man nicht einmal mehr das Fenster öffnen konnte, ohne einen Kinderwagen zur Seite zu schieben.“ Jetzt ist im ehemaligen Kindergarten von Scharndorf genug Platz für ihre Sammlung. Dort findet man Modelle aus England genauso wie aus Polen oder Frankreich. Zudem besitzt Bayer die ältesten Kinderwägen Österreichs, die mehr als 150 Jahre alt sind.

Zwischen den Kinderwägen findet man auch Puppenwägen und andere historische Kinder- und Babyutensilien, wie Puppenhäuser, eine Pferdetretkutsche und ein mobiles Reisetöpfchen. Einige besonders schöne Exemplare des Scharndorfer Kinderwagenmuseums werden ab Mitte Mai bei der Ausstellung „Kind sein“ auf der Schallaburg zu sehen sein.