Gerade einmal acht Stunden ruhen die Soldatinnen und Soldaten der in Korneuburg stationierten Bundesheer-Katastrophenhilfegruppe „Austrian Forces Disaster Relief Unit“ (AFDRU) während ihres Erdbebeneinsatzes pro Tag. Sie schlafen in Zelten in einem Basislager außerhalb der zerstörten Stadt Antakya.
Die Aufgabe von Heerespsychologe Wolfgang Prinz ist es, unter anderem darauf zu achten, dass die Einsatzkräfte diese acht Stunden Schlaf einhalten, denn Schlaf sei ein Grundbedürfnis, sagt Prinz. „Im Einsatz ist meine Aufgabe zu beobachten: Wie geht es den Leuten im Kontingent?“
„Auf das eigene Bauchgefühl hören“
Beobachten bedeutet für Prinz im Alltag im Basislager mitzuarbeiten, Unterkünfte aufzubauen und zu helfen, wo bedarf ist. So komme man automatisch ins Gespräch, sagt er gegenüber noe.ORF.at. „Meine Aufgabe ist es dabei die Soldatinnen und Soldaten zu ermutigen, auf das eigene Bauchgefühl zu hören und sich auch in so einer Ausnahmesituation das Leben so leicht wie möglich zu machen.“
Aufmerksam wird Prinz dann, wenn sich jemand zurückzieht, nichts mehr redet. Dann sucht der Psychologe proaktiv das Gespräch. Häufig sei die emotionale Betroffenheit besonders stark, wenn eine Parallele zum eigenen Leben besteht: „Zum Beispiel wenn ein Kind unter den Katastrophenopfern ist und der Helfer gerade ein Kind in ähnlichem Alter hat.“
100-Stunden-Zeitfenster schließt sich am Freitag
Mit jeder Stunde, die vergeht, steigt der Druck auf die Einsatzkräfte. Statistisch besteht eine Chance, Überlebende aus den Trümmern zu retten, nur innerhalb der ersten hundert Stunden nach der Katastrophe. Im Laufe des Freitags wird sich dieses Zeitfenster schließen.
„Die wesentlichste Strategie ist, das Gelernte anzuwenden. Deswegen ist die Ausbildung im Vorfeld so wichtig, damit Verfahren so oft geübt werden, dass sie in Fleisch und Blut übergehen. Genau auf diese Verfahren kann man unter solchen Druck- und Stresssituationen zurückgreifen und sie umsetzen“, erklärt Prinz.
Strategien, um mit Bildern umzugehen
In den Trainings am Stützpunkt in Korneuburg werde der Umgang mit Tod, Leid und Chaos intensiv vorbereitet, sagt der Heerespsychologe. Der Großteil der Einsatzkräfte habe allerdings bereits langjährige Hilfseinsatzerfahrung, entweder beim Bundesheer oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. „Das heißt, die Konfrontation mit Verwundeten und mit Toten passiert nicht unbedingt das erste Mal und das ist eine ganz wesentliche Ressource“, so Prinz.
Die meisten hätten bereits in der Vergangenheit Strategien entwickelt, um mit diesen Bildern umzugehen. Die Einsatzkräfte müssen aber auch mit dem anderen Extrem des emotionalen Spannungsfeldes umgehen können: Erfolg. Stand Freitagfrüh konnten die Helferinnen und Helfer neun Personen aus den Trümmern retten.
Erdbeben: Bundesheer sucht nach Verschütteten
Die Spezialeinheit des österreichischen Bundesheeres, die in der Türkei nach Verschütteten suchen, konnten bislang drei Personen aus den Trümmern befreien. Doch nicht immer bringt die Suche nach Überlebenden gute Nachrichten.
Diese Erfolge seien sehr wichtig, sagt Prinz, denn es bestätige die freiwilligen Helfer im Sinn und Zweck ihrer Arbeit. „Ich würde nicht sagen, dass man dann in Euphorie ausbricht, aber das Gefühl ist sicher ein gutes, wenn man weiß, dass man unmittelbar das tun kann, warum man hier ist“, so Prinz.