„Menschen im Blickpunkt“

Oberwaltersdorf: Hauptstadt der Narren

Schabernack und Narretei sind in Oberwaltersdorf (Bezirk Baden) Männersache. Die Herrengilde organisiert seit mehr als 50 Jahren den Fasching in der diesjährigen Landesnarrenhauptstadt. Der Unsinn finanziert aber auch sinnvolle Projekte.

„Juppi, Juppi! Owado!“ Das ist der Faschingsruf von Oberwaltersdorf. „Juppi, Juppi!“ sei ein Lockruf aus der Vogeljagd, erklärt Sepp Auer, der 1972 schon bei der Gründung der Herrengilde dabei war: „Mit dem Juppi-Juppi-Ruf kann man Großtrappen anlocken!“ „Owado!“, als Abkürzung für Oberwaltersdorf, ist die Antwort darauf. Neben dem angeblichen Großtrappen-Lockruf spielt auch ein anderer Vogel eine wichtige Rolle in der Geschichte der Herrengilde: der Wellensittich.

Einladung zum „Wellensittich-Pastetenessen“

In Oberwaltersdorf gab es früher einen Burschenverein, der am Faschingsdienstag gern für Unruhe im Ort sorgte. 1972 wurde ein legendärer Streich durchgeführt: Auf der Anschlagtafel des Greißlers wurde zu einem „Wellensittich-Pastetenessen“ eingeladen. „Der Greißler hat Vögel gezüchtet. Einige Oberwaltersdorfer haben tatsächlich geglaubt, dass es Wellensittich-Pastete gibt und dann beim Greißler danach gefragt“, weiß Archivar Günter Kepe. „In den kommenden Jahres gab es regelmäßig solche Aktionen. Weil die Herren, die dafür verantwortlich waren, aber eigentlich schon zu alt für den Burschenverein waren, wurde die Herrengilde gegründet.“

87 Männer sind heute Mitglied der Gilde, die ganzjährig als Kulturverein tätig ist. „Das Wichtigste sind aber die Herrensitzungen im Fasching“, erklärt Präsident Karl Mayerhofer: „Die Vorbereitungen dafür beginnen traditionell am 11. November genau um 11.11 Uhr. Da werden die Narren geweckt.“ Sketche, Musik- und Tanzeinlagen wechseln einander ab. Vier Stunden lang dauert das Programm, bei dem tatsächlich nur Herren auf der Bühne zu sehen sind – oft allerdings als Frauen verkleidet. Eine Ausnahme gibt es heuer aber: Auch eine Herta darf auftreten.

Herrengilde Oberwaltersdorf
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Ein besonderer Hingucker ist die Herrengilde bei Auftritten in Damenkleidung

87 Herren und eine Herta

Herta Kraus kümmert sich seit vielen Jahren um die Choreografie des Männerballetts. Heuer hat sie eine zusätzliche Aufgabe: Weil Oberwaltersdorf zur Landesnarrenhauptstadt gekürt worden ist, brauchte man ein Landesfaschingsfürstenpaar. Zwei Herren wollten die Herren der Gilde nicht nehmen, so musste Herta Kraus einspringen. Sie repräsentiert als „Fürstin Herta, Edle der Sangeslust“ neben Michael Holzer als „Fürst Michael, Edler vom Ziegelstein“ die Gilde bei Faschingsveranstaltungen in ganz Niederösterreich.

„Wir sind seit Jahresbeginn an jedem Wochenende auf mehren Bällen, Umzügen und Narrensitzungen“, berichten die beiden, „dort verleihen wir Orden und tragen unsere Proklamation vor.“ Die Proklamation des Landesfaschingsfürstenpaars ist eine Art Büttenrede, einer der Höhepunkte des heurigen Programms.

Herrengilde Oberwaltersdorf
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Ausnahmsweise findet sich heuer eine Frau inmitten der Herrengilde

Hinter der Bühne der Bettfedernfabrik, in der die Herrensitzungen stattfinden, findet man noch weitere Damen, die den Herren sagen, wo es lang geht: „Das ist jedes Jahr eine wirklich gute und lustige Zusammenarbeit“, sagt Martina Kornfeld, die sich um das Schminken der auftretenden Herren kümmert, „das wirklich Beste ist aber, dass wir sehen, was die Männer unter ihren Kostümen tragen.“ „Da sind durchaus gewagte Wäschestücke dabei“, ergänzt Kostümmeisterin Andrea Tlapak und zeigt ein Negligé, das nicht vorhandene weibliche Rundungen erst möglich macht.

Unsinn finanziert Sinnvolles

Mit den Einnahmen der Faschingsveranstaltungen finanziert die Herrengilde zahlreiche soziale und kulturelle Projekte. „Das hat vor 50 Jahren schon begonnen. Damals haben wir Bälle für den Kindergarten gekauft“, weiß Gerhard Graf, der Vizepräsident der Gilde: „Wir haben mehrmals Renovierungen von Marterln, Kapellen und Kirchen unterstützt, Marksteine gesetzt, einen Zunftbaum errichtet und sogar ein Kleinkraftwerk in Peru finanziert.“

Europabrunnen Oberwaltersdorf
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Der Europabrunnen in Oberwaltersdorf wurde mithilfe der Einnahmen aus der Herrengilde finanziert

Auffälligstes Bauwerk der Herrengilde ist der Europabrunnen in Oberwaltersdorf. Für den Brunnen wurden Steine aus allen Staaten der Europäischen Union mit Klammern verbunden. „Das soll die Einheit demonstrieren und das Wasser zeigt die Lebendigkeit der Gemeinschaft“, erklärt Gerhard Graf. Bei der Eröffnung des Brunnens im Jahr 1997 waren alle damals in Österreich stationierten Botschafter der EU-Länder dabei, ebenso wie der damalige Landeshauptmann sowie mehrere Minister.

Laa an der Thaya folgt Oberwaltersdorf

Die Amtszeit von Oberwaltersdorf als Landesnarrenhauptstadt endet am Faschingsdienstag um 24 Uhr. Knapp neun Monate später, am 11. November 2023 um 11.11 Uhr werden die Narren wieder geweckt. Dann allerdings in Laa an der Thaya, das als Landesnarrenhauptstadt 2024 die Nachfolge von Oberwaltersdorf antreten wird. In Laa regieren die „Faschingsfreunde“, ihr Narrenruf lautet: „He-He! Laa-Laa!“