„GANZ PERSÖNLICH“

Ex-Cobra-Chef: „Der Terror schläft nie“

Hannes Gulnbrein, ehemaliger Chef des Einsatzkommandos Cobra, hat in seiner Dienstzeit viele gefährliche Einsätze erlebt. Er verhandelte in Mali mit Geiselnehmern und erlebte den Amoklauf von Annaberg. Im Interview mit noe.ORF.at betont er: „Der Terror schläft nie.“

Seit 2005 war Hannes Gulnbrein Kommandant des Einsatzkommandos (EKO) Cobra Wien, bereits 1983 trat er in die Bundespolizeidirektion Wien ein. In dieser Zeit war der begeisterte Sportler und Familienvater in viele „High-Level-Einsätze“ involviert und repräsentierte das Einsatzkommando mehrmals nach außen. Das EKO Cobra ist Teil der übergeordneten Direktion für Spezialeinheiten (DSE).

2013 forderte Gulnbrein beim Amoklauf des Wilderers von Annaberg mit vier Toten Panzer an. In seiner Laufbahn war er aber auch an vielen Auslandseinsätzen beteiligt. Unter anderem trat er in einem Entführungsfall von zwei österreichischen Staatsbürgern, die 2008 von der algerischen Al-Kaida nach Mali verschleppt worden waren, als Berater des Verhandlungsführers des Außenamtes auf und wirkte maßgeblich an der Freilassung der Geiseln mit.

Hannes Gulnbrein, Leiter des Einsatzkommandos (EKO) Cobra, aufgenommen am Montag, 25. Oktober 2021, im EKO-Hauptquartier in Wiener Neustadt.
APA/ROBERT JAEGER
Ende Februar legte Hannes Gulnbrein seine Funktion als Leiter des EKO Cobra zurück und ging in Pension

Jakobsweg statt Terroristen

Auch beim Terroranschlag 2020 in Wien spielte Gulnbrein als Mitglied des Einsatzstabs der Landespolizeidirektion Wien eine zentrale Rolle und leistete wesentliche Koordinierungsarbeit. Für seine Verdienste wurde er mit dem „Großen Ehrenzeichen“ ausgezeichnet. Ende Februar legte Gulnbrein seine Funktion als Leiter des EKO Cobra zurück und ging in Pension. Sein neues Ziel: der Jakobsweg.

noe.ORF.at: Vor einem Monat sind Sie in Pension gegangen, vor der Pensionierung sind Sie noch zum General befördert worden. Blicken Sie mit Wehmut zurück?

Hannes Gulnbrein: Natürlich blickt man mit Wehmut zurück. Nach so vielen Jahren beim Einsatzkommando und nach so vielen Jahren Action wäre es vermessen zu sagen, mit dem ersten März ist alles vorbei.

noe.ORF.at: Sie waren immer einer, der gesagt hat, die Arbeit am Schreibtisch sei nicht Ihres, Sie sind gern im Einsatz. War das Ihr ganzes Arbeitsleben so?

Gulnbrein: Das war mein ganzes Arbeitsleben so, ich habe damals schon in der Privatwirtschaft gearbeitet. Da bin ich draufgekommen, es ist nicht das, was ich mir vorstelle, hinter dem Schreibtisch zu sitzen. Ich brauche Abwechslung. Ich brauche im Prinzip das Erlebnis, jeden Tag was Neues kennenzulernen. Und ich habe mich entschieden, in den Polizeidienst zu gehen.

GP Cobra Hannes Gulnbrein
ORF
Im Interview mit Robert Friess (li.) im Hauptquartier des EKO Cobra blickt Hannes Gulnbrein auf seine Polzeikarriere zurück

noe.ORF.at: Sie haben 1983 bei der Polizei begonnen.

Gulnbrein: Ich habe als ganz normaler Streifenpolizist in Wien-Favoriten begonnen, habe dann in weiterer Folge die Offiziersausbildung gemacht, bin dann wieder zurück in den normalen Polizeidienst nach Wien und bin 1992 in die damalige Spezialeinheit Wega gewechselt. Seit damals bin ich eigentlich in Spezialeinheiten tätig.

noe.ORF.at: 1993 war eine spektakuläre Geiselnahme in Wien in einem Kindermodengeschäft. Chefverhandler Oberst Friedrich Maringer wurde damals angeschossen. Die Kugel blieb in seinem Handy stecken, was ihm das Leben rettete. Damals waren Sie auch im Einsatz, wie haben Sie diesen erlebt?

Gulnbrein: Ich war damals ein junger Polizeioffizier, war Kompaniekommandant und direkt am Ort des Geschehens. Ich bin unmittelbar daneben gestanden, als Mahringer angeschossen wurde, habe die Geiseln evakuiert und dann in weiterer Folge miterlebt, wie dieses Dauerfeuer eröffnet wurde.

noe.ORF.at: Das waren mehr als 1.700 Schüsse. War das notwendig?

Gulnbrein: Es war sicher nicht notwendig. Das muss man jetzt ganz offen und ehrlich zugeben. Es war damals die Dynamik des Geschehens. Wir waren da natürlich einsatztaktisch noch nicht so vorbereitet, solche Lagen auch dementsprechend professionell abzuarbeiten. Und im Nachhinein muss man natürlich sagen, die 1.700 Schüsse, die abgefeuert wurden, wären heute undenkbar.

noe.ORF.at: 2008 kam es in Mali zu einer Geiselnahme. Zwei Österreicher wurden von Al Kaida-Terroristen gefangen genommen, waren mehr als 250 Tage in Gefangenschaft. Sie waren bei den Verhandlungen dabei. Wie haben Sie es geschafft, beide Geiseln freizubekommen?

Gulnbrein: Es war natürlich ein sehr langer Weg, um die Geiseln freizubekommen. Begonnen hatte das Ganze in Tunesien, und es hat sich dann über Algerien nach Mali verlagert. In Mali hat es dann monatelange Verhandlungen mit den Entführern gegeben, Ende Oktober haben wir das Okay bekommen, dass die Geiseln freikommen. Und dann bei der Übergabe war es so, dass ich vom Head of Mission verständigt wurde und dann mit Außenministerin Ursula Plassnik nach Bamako geflogen bin. Dort wurden wir von den Tuareg zu den Geiseln gebracht und wir konnten uns überzeugen, dass die Geiseln gesund und auch transportfähig.

noe.ORF.at: Einsatzleiter waren Sie auch beim Amoklauf am Annaberg 2013, bei dem vier Menschen getötet wurden. Damals wurde das Haus des Amokläufers gestürmt. Sie mussten das Bundesheer anfordern und forderten Panzer. Warum?

Gulnbrein: Das war notwendig, weil unsere Fahrzeuge zum damaligen Zeitpunkt die entsprechende Sicherheit nicht hatten und ich wusste, dass in Melk ein Panzerbataillon stationiert ist. Daher war es für mich eigentlich naheliegend, entsprechende Unterstützung mit gepanzerten Fahrzeugen vom Bundesheer anzufordern, die ich dann auch relativ rasch bekommen habe.

APA14687252 – 18092013 – GROSSPRIEL – …STERREICH: Jener Mann, der drei Polizisten und einen SanitŠter in Niederšsterreich erschossen haben soll, ist in der Nacht auf Mittwoch von den EinsatzkrŠften tot in einem Geheimversteck aufgefunden worden. Im Bild: Ein Panzerfahrzeug verlŠ§t am Mittwoch, 18. September 2013, den gesperrten Bereich um ein Gehšft auf dem sich ein mutma§licher Wilderer verschanzt hatte, APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
APA
Zum Schutz der Einsatzkräfte forderte Gulnbrein 2013 beim Amoklauf von Annaberg Panzer des Bundesheeres an

noe.ORF.at War das Sondereinsatzkommando damals zu schlecht ausgerüstet?

Gulnbrein: Es hat einigen Nachholbedarf gegeben. Solche Einsätze haben auch unsere Grenzen aufgezeigt und in kürzester Zeit hat dann das Innenministerium auch dementsprechend reagiert. Wir sind dann auch mit entsprechenden Fahrzeugen bzw. entsprechender Ausrüstung nachgerüstet worden.

noe.ORF.at: Wie geht man selbst als Einsatzleiter mit solchen Extremsituationen um?

Gulnbrein: Ich bin ein Typ, der mit Extremsituationen entsprechend umgehen kann. Weil ich Jahre, Jahrzehnte lang in diesem Bereich gearbeitet habe. Je schwieriger die Situation wird, desto ruhiger werde ich und desto strukturierter gehe ich auch in meinen Entscheidungen vor.

noe.ORF.at: 2020 folgte der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt. Da hat es auch Kritik gegeben, dass der Einsatz so lange gedauert hat. Wie sehen Sie das jetzt?

Gulnbrein: Die Kritik, dass der Einsatz zu lange gedauert hat, kann ich nicht gelten lassen. Ich habe mich ja sehr oft mit ausländischen Kommandanten der Spezialeinheiten der Antiterroreinheit getroffen und alle haben uns gratuliert für diese sensationelle Zeit, innerhalb von neun Minuten einen Terroristen ausgeschaltet zu haben.

Und natürlich hat es dann länger gedauert, weil ja auch der Umkreis des Terroristen, nachdem die Identität bekannt war, durchforstet wurde. Und wir haben dann natürlich bis in den nächsten Tag hinein noch Hausdurchsuchungen und Festnahmen durchgeführt, aber die waren einfach notwendig. Aber es war sensationell, in neun Minuten diesen Terroranschlag in Wien beendet zu haben.

Polizei im Bereich des Tatorts
APA/Roland Schlager
Bei einem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt 2020 kamen fünf Menschen ums Leben

noe.ORF.at: Erst vor wenigen Wochen hat es in Wien eine Terrorwarnung gegeben. Man hat Anschläge auf Kirchen befürchtet. Wie beurteilen Sie die derzeitige Bedrohungssituation?

Gulnbrein: Ich denke, der Terrorismus schläft nie. Es hat sich natürlich im Laufe der Jahre, Jahrzehnte die Art des Terrorismus gewandelt. Das heißt, wir müssen uns immer wieder auf neue Szenarien einstellen. Daher ist es auch notwendig, Einheiten zu haben, die topfit sind, die vorbereitet sind für mögliche Anschlagsszenarien. Ich glaube auch, dass die österreichische Exekutive dementsprechend vorbereitet ist.

noe.ORF.at: Sie sind jetzt in Pension. Gibt es da noch etwas, was Sie unbedingt machen wollen?

Gulnbrein: Man setzt sich natürlich ein paar Ziele. Ich möchte jetzt noch mal ein bisschen mein Leben Revue passieren lassen und habe mir vorgenommen, den Jakobsweg zu gehen, die ganzen 720 Kilometer. Den möchte ich alleine durchschreiten und hier die Zeit finden, ein bisschen mein Leben Revue passieren zu lassen und vorausblicken auf die Jahre, die noch kommen werden.