Im Landesklinikum Amstetten wurde im April 2008 ein schwerkrankes 19-jähriges Mädchen namens Kerstin behandelt, das angeblich plötzlich aufgetaucht war. Der Großvater des Mädchens, Josef Fritzl, behauptete, seine vor 24 Jahren verschwundene Tochter Elisabeth habe ihm Kerstin gewissermaßen vor die Tür gelegt, so wie sie es schon bei drei anderen Kindern in der Vergangenheit gemacht habe. Die Geschichte landete in den Printmedien.
ORF-Niederösterreich-Reporter Otto Stangel wurde auf den dubiosen Fall aufmerksam, rief Josef Fritzl an und bekam ihn tatsächlich ans Telefon. „Josef Fritzl hat gesagt, er könne mir überhaupt nicht helfen, seine Tochter sei vor vielen Jahren verschwunden, möglicherweise sei sie bei einer Sekte und er werde immer nur damit konfrontiert, dass sie ihm Kinder vor die Tür legt“, erzählt Stangel heute.
Der Reporter erinnert sich auch daran, dass Fritzl bemüht war, den besorgten Großvater zu mimen. „Josef Fritzl hat eigentlich auf alle Fragen Antworten gehabt. Ich denke, dass er sich auf dieses Gespräch möglicherweise schon sehr lange vorbereitet hatte“, ist Otto Stangel rückblickend überzeugt.
Elisabeth sah Aufruf in „NÖ heute“ im Kellerverließ
Der ORF-NÖ-Reporter ließ sich nicht abwimmeln, fuhr trotzdem mit einem Kamerateam nach Amstetten und klingelte bei Josef Fritzl. Als niemand öffnete, recherchierte Stangel im Landesklinikum Amstetten weiter, wo die kranke Kerstin behandelt wurde. Stangel sprach auch mit den behandelnden Ärzten, die von Anfang an skeptisch waren, weil es zu dem Mädchen keinerlei Angaben gab. In einem medialen Aufruf suchte man nach der Mutter der 19-jährigen Kerstin. Die war seit 24 Jahren in einem Kellerverließ gefangen, wo sie auch über einen Fernseher verfügte und den Bericht in „Niederösterreich heute“ sah.
Diese mediale Suche dürfte die entscheidende Wende gebracht haben. Elisabeth drängte ihren Vater daraufhin sie frei zulassen. Sie versicherte ihm vorher noch, dass sie von ihrer Gefangenschaft nichts erzählen werde. Im Spital wurden Josef Fritzl und seine angeblich verschwundene Tochter Elisabeth schon von der Polizei erwartet und getrennt einvernommen.
Erst als die Polizei ihr zusicherte, dass sie ihren Vater nie wieder sehen müsse, brach Elisabeth ihr Schweigen und erzählte von dem unglaublichen Martyrium, das 1984 begonnen hatte. Fritzl hatte seine Tochter damals in den Keller gelockt, sie dort eingesperrt, 24 Jahre gefangen gehalten und mit ihr sieben Kinder gezeugt.
Enormer Medienansturm auf Amstetten
ORF-NÖ-Moderator Werner Fetz hatte den Aufruf in „Niederösterreich heute“ gemacht. Welche Bedeutung dieser Aufruf später haben würde, war ihm zum Zeitpunkt der Ausstrahlung freilich nicht klar. „Der Aufruf war durchaus üblich, etwas skeptisch waren wir, weil es kein aktuelles Foto von der gesuchten Frau gegeben hat, aber als sich dann die Dimension und auch die Hintergründe der Geschichte erschlossen haben, war das natürlich wahnsinnig berührend für uns alle“, erinnert sich Werner Fetz.
Dann überschlugen sich die Ereignisse: Josef Fritzl wurde festgenommen, die Opfer im Landesklinikum Mauer abgeschottet. Über Amstetten brach gewissermaßen über Nacht ein nie dagewesener Medienansturm herein. Auch internationale Boulevardmedien berichteten. „Manche wollten Hintergründe recherchieren, es gab die klassischen Sensationsreporter, jeder hat natürlich eigene Zugänge zu dem Thema gesucht, ist mehr oder weniger respektvoll mit den Anrainerinnen und Anrainern umgegangen, für die das natürlich auch in den ersten Tagen nach diesem Fall eine sehr sehr große Belastung war“, erinnert sich Werner Fetz.
Ein Prozess von weltweitem Interesse
Ein Jahr später kam es am Landesgericht in St. Pölten zum Prozess gegen Josef Fritzl. Wieder war der Medienansturm enorm groß. Der ORF Niederösterreich fungierte als sogenannter Host-Broadcaster, lieferte also Bilder für alle anderen Rundfunkanstalten. ORF-NÖ-Regisseur Bernhard Hieger war damals Mitglied der Technik-Mannschaft. „Der Aufwand war enorm, aber gleichzeitig war es eine sehr spannende Aufgabe für uns. Es waren etwa 20 Personen aus unserem Technikbereich involviert, die dafür verantwortlich waren, das Videosignal zu verteilen. Dafür gab es sogar eine eigenen Richtfunkstrecke, vom Gericht zum ORF-NÖ-Funkhaus in St. Pölten.“
Nur 90 Journalisten waren im großen Schwurgerichtssaal zugelassen, alle anderen mussten auf die Pressekonferenzen im Medienzelt warten, das für den aufsehenerregenden Prozess extra aufgebaut worden war. „Ich selbst war im Medienzelt dafür verantwortlich die Reporterfragen mit der Tonangel einzufangen. Das war schon eine sehr spannende Aufgabe für mich“, erinnert sich Regisseur Bernhard Hieger.
Bild von Fritzl und blauem Ordner ging um die Welt
Im Gerichtssaal waren nur zwei Kameraleute zugelassen, ORF-NÖ-Kameramann Helmut Muttenthaler war einer von ihnen. Er lieferte die ersten Fernsehbilder von Josef Fritzl. „Es gab ja bis zu diesem Zeitpunkt noch keine bewegten Bilder von Josef Fritzl. Der entscheidende Augenblick war, als Fritzl das erste Mal aus der Justizanstalt vorgeführt wurde. Ich bin als erster dort im Gang mit der Kamera gestanden und er war umringt von zahlreichen Justizwachebeamten. Das war also der erste Blick auf ihn, damals noch mit dem berühmten blauen Ordner vor dem Gesicht“, erzählt Helmut Muttenthaler.
Zur Urteilsverkündung kam Fritzl dann ohne blauen Ordner vor dem Gesicht. Auch diese Bilder gingen um die Welt. Fritzl wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Er verbüßt seine Strafe in der Justizanstalt Stein (Bezirk Krems). „Dieser Prozess war natürlich einzigartig und man hat schon eine gewisse Anspannung gehabt, dass die Bilder etwas werden, weil ja die ganze Welt darauf geblickt hat“, so Muttenthaler.