Walter Deutsch, April 2023
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Wissenschaft

Volksmusik-Doyen Walter Deutsch ist 100

Der Doyen der Volksmusikforschung in Österreich, Walter Deutsch, feiert am 29. April seinen 100. Geburtstag. Er ist nicht nur Verfasser und Herausgeber vieler Bücher, sondern war auch Radio- und Fernsehmoderator vieler Sendungen im ORF.

Der Volksmusikforscher Walter Deutsch wurde 1923 in Bozen geboren. Er war Gründer und von 1965 bis 1993 Leiter des Instituts für Volksmusikforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst (vormals Hochschule für Musik und darstellende Kunst) in Wien. Für den ORF Niederösterreich gestaltete er unter anderem die Radiosendung „aufhOHRchen“ über Jahrzehnte mit.

Walter Deutsch ist Autor und Herausgeber zahlreicher Werke, Schriften und ORF-Sendungen zur Volksmusik in Österreich. Von 1992 bis 1999 war er Präsident des Österreichischen Volksliedwerkes, seit 1999 ist er dessen Ehrenpräsident. Sein Leben widmete er der Komposition, der Sammlung und Aufzeichnung von Liedern und Tänzen, sowie der Erforschung und Publizierung der traditionellen, regionalen Musik in Österreich.

Walter Deutsch übergab im März 2023 dem Österreichischen Volksliedwerk seinen Vorlass. Die umfangreiche Sammlung beträgt rund 105 Laufmeter, bestehend aus Feldforschungen, Handschriften, Manuskripten, Sachbüchern und Noten.

noe.ORF.at: Herr Professor Deutsch, Sie sind mittlerweile emeritiert, sie unterrichten nicht mehr an der Musik-Universität in Wien, aber das Forschen und Publizieren haben sie selbst im Alter von 100 Jahren nicht beendet, oder?

Walter Deutsch: Das ist wahr. Ich forsche nach wie vor, wenn auch in reduzierter Form, weil mir der Weg von meinem Haus zum Archiv mittlerweile doch schwerer fällt. Ich bin eben doch auch mit Problemen behaftet, die das Alter so mit sich bringt.

noe.ORF.at: Dennoch, Sie erwecken mir den Eindruck eines unermüdlichen Forschers.

Deutsch: Das könnte man so sagen., auch wenn das Wort „unermüdlich“ doch ein wenig übertrieben scheint. Müde wird der Körper, weil er alt ist. Aber das Denken altert bei mir merkwürdigerweise nicht. Das ist so erstaunlich für mich, dass ich nach wie vor so frisch denken kann.

Walter Deutsch, April 2023
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Walter Deutsch war mit seinen 100 Jahren Live-Gast auf Radio Niederösterreich diese Woche

noe.ORF.at: Wie lautet das Thema, der Forschungsgegenstand, mit dem Sie sich gerade befassen?

Deutsch: Eigentlich ist das momentane Thema gerade wieder vorbei: „Die Geschichte der Gebrüder Schrammel und ihre Musik“. Da ist vor kurzem der zweite und abschließende Band zu den Walzern erschienen, mit Unterstützung des Waldviertler Verlegers Richard Pils.

Das ist schon ein besonderer Moment, wenn man etwas verwirklichen kann, auf das die Musikszene in Wien schon so lange wartet. Es ist schon verblüffend, dass man immer wieder von den Schrammel-Brüdern spricht, Festivals veranstaltet, aber deren Werke sind wenig bekannt. Und so habe ich die Märsche und Walzer zusammengetragen und in den Bibliotheken dazu geforscht.

noe.ORF.at: Neben uns steht ein historisches Aufnahmegerät. Erkennen Sie es wieder?

Deutsch: Ja, das ist ein so genanntes „Nagra“. Mit einem solchen mobilen Aufnahmegerät sind wir, Herr Ingenieur Leonsberger und ich, durch das Land gezogen und haben Ton-Aufzeichnungen von Volksmusik-Gruppen gemacht. Ich habe damit 1967 begonnen. Und wenn ich so nachdenken, werden es wohl an die 800 Musikstücke sein, die wir im Laufe der Jahrzehnte für den ORF Niederösterreich aufgenommen haben.

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Walter Deutsch beim Landesmaifest 1983
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1983 beim Landesmaifest
Walter Deutsch
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Auch in Farbe moderierte Deutsch
Walter Deutsch, Landesmaifest 1983
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Als Moderator beim Landesmaifest 1983
Walter Deutsch, 1983 Hollabrunn
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1983 in Hollabrunn
Walter Deutsch, 1974
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„Fein sein, beinander bleibn" moderierte Deutsch 1974

noe.ORF.at: Ist Ihnen damals klar gewesen, dass Ihre Aufnahmen einmal unwiederbringliche Kulturschätze, wertvolle Klangdokumente sein können oder werden?

Deutsch: Ihr Wort „unwiederbringlich“ ist das wichtigste in Ihrer Frage. Denn jene Musiker und Musikerinnen, Sänger und Sängerinnen, die ich bei diesen Ausfahrten in Niederösterreich kennenlernen durfte, waren die letzten ihrer Kunst, die aus der Tradition heraus gesungen oder musiziert haben, ohne den Einfluss von städtischen Musizier- oder Gesangsformen. Das war das höchste Glück für mich als Forscher.

noe.ORF.at: Sie haben in Ihrem langen Leben sehr viele gesellschaftliche Umbrüche erlebt, allein vier verschiedenen Währungen. Woran denken Sie, wenn Sie zurückblicken? Sind Sie zuversichtlich gestimmt, bezüglich der Zukunft oder düster?

Deutsch: Das Merkwürdige ist, dass man gar nicht spürt, dass es 100 Jahre sind, das ist das erste. Die jeweilige Zeit prägt die Menschen, und da es so viele Faktoren gibt, die die Zukunft beeinflussen, kann ich diese Frage nur schlecht beantworten.

noe.ORF.at: Hätten Sie in Ihrem Leben, jetzt in groben Linien rückwirkend betrachtet, etwas anders machen wollen?

Deutsch: Nein, das ist mir nie in den Sinn gekommen. Der Weg, den ich gegangen bin, der ist auch immer in Beziehung zu meiner Umwelt gestanden. Mein Umfeld hat mich sehr bestimmt, vor allem Personen: wichtige Lehrer, Freunde und Freundinnen und natürlich die Partnerschaften. Es war herrlich, ich bin einfach gegangen und habe mein Werk getan.