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David Visnjic/donaufestival
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Kultur

Zerstörung und Anbetung am donaufestival

Ein Planet, der zerstört wird, Künstliche Intelligenz, die Menschen in immer mehr Bereichen ablöst und die Anbetung von Müll – leichte Kost bietet das donaufestival auch heuer nicht. Unter dem Motto „Beyond human“ soll es aufrütteln und zum Handeln bewegen.

„Meine lieben Heidinnen und Heiden, der Toxic Temple ist eröffnet!“ Es war ein herzliches Willkommen, das den Besuchern am Eröffnungstag des diesjährigen donaufestivals in Krems entgegenschallte. Gewandet in reichlich Plastik, luden die Performer des Toxic Temple im Forum Frohner nicht nur zu gemeinschaftlichen Müllmesse, sondern boten zudem Gelegenheit zur Beichte.

Der Minoritenplatz in Krems-Stein wirkt dieser Tage etwas unaufgeräumt. Kein Wunder, hat doch der Toxic Temple seine Müllcontainer aufgebaut, reichlich Absperrband verteilt (das allerdings eher zum Umwickeln denn zum Aussperren gedacht ist) und seine Gottesdienstordnung an die Tür geschlagen. So erhalten Ungläubige einen ersten Eindruck davon, was sie erwartet: Beichtmöglichkeiten, Messzeiten und Soundmeditation stehen im Angebot. Noch Fragen?

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Im Toxic Temple wird Müll angebetet
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Nur in Plastik gehüllt dürfen Besucherinnen und Besucher eintreten
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Absperrband, Elektroschrott, Plastik – all das findet sich im Toxic Temple
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Begleitet wird das Ganze von rituell anmutender Musik

Wahrscheinlich schon. Dabei ist der Sukkus der Arbeit „Mess“ schnell erfasst: In einer Zeit, in der Klimakatastrophe und schwimmende Müllberge aufeinandertreffen, wird ganz einfach dem Abfall gehuldigt. Wieso bekämpfen, wenn man sich dem auch ergeben kann? „Wir waren gemeinsam in Indien und dort hat uns besonders inspiriert, dass wir in den Tempeln bemerkt haben, dass sich Gerüche von verbranntem Plastik mit Incense Sticks (Räucherstäbchen, Anm.) verbinden, und die Zerstörung wird auch angebetet. Und das fehlt bei uns in der Religion“, erklärt Künstlerin Anna Lerchbaumer das Konzept.

Enttabuisierung von Problemen

Insofern logisch, dass das Publikum beim Eintritt in den Tempel in blaue Plastiksäcke gehüllt wird, bevor man eintaucht in eine knallig-absurde Welt aus Kabeln, Windmaschinen, Altären aus Kühltruhen und in Eis gefasste Plastikansammlungen, die Tropfen für Tropfen freigesetzt werden. Über all dem schwebt eine mäandernde Soundcollage, die durchaus rituellen Charakter hat.

Wer sich in das Beichtzelt wagt, wird wiederum auf liebenswürdige Weise nach seinen Sünden befragt. Dass man zu viel Müll hinterlasse, wird da schnell ins Gegenteil verkehrt. „Überfluss schafft Neues“, so die bestärkende Antwort. Entlassen wird man mit der Aussicht, dass der eigene Körper eines Tages, ganz von Plastik eingehüllt, zum Antrieb für eine neue Generation von Verbrennungsmotoren werden könnte. Eine nicht gerade wünschenswerte Vorstellung.

„Uns geht es darum, die Verschwendung zu kultivieren, statt zu tabuisieren. Wir leben in einem Regime, wo wir den CO2-Fußabdruck als schlecht werten und das stimmt natürlich auch, aber diese ganze Tabuisierung und die Schuldkomplexe glaube ich verstärken das Problem nur“, erklärt Künstler und Philosoph Kilian Jörg.

Schmerzhafte Bilder zur Klimakrise

Nicht zur Anbetung, sondern zum Handeln will hingegen der Künstler Oliver Ressler mit seiner Kunstinstallation „climate feedback loops“ motivieren. Dabei zeigt er Aufnahmen von Spitzbergen, einer Inselgruppe zwischen Nordpol und Norwegen. Das Eis dort schmilzt schnell. Es sind Bilder, die wehtun sollen, unterlegt mit lautem, unangenehmem Krachen und Klirren.

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Oliver Ressler zeigt mit seiner Kunstinstallation an einem konkreten Beispiel die Folgen der Erderwärmung

„Es ist ganz zentral, dass hier das ganze Eis aufbricht. Und das ist ein Vorgang, der nicht im Stillen vor sich geht, sondern der extrem laut sein kann und extrem vielfältige Geräusche herstellt“, erklärt Ressler. Seine Kunstinstallation zeigt die Folgen der Erderwärmung in all ihrer Dramatik. „Das ist eines der Gebiete auf dem Planeten, wo es die höchste Erwärmung gibt, fünf bis sieben Grad mehr im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten hat die Temperatur dort zugenommen. Das führt zu einem Kollaps des ganzen Systems dort.“

Musik, Tanz und Bienen

Das Motto des Festivals ist dieses Jahr „Beyond human“. „Das zielt ein bisschen darauf ab, sich vorzustellen, was passiert, wenn einerseits wir vielleicht nicht mehr sind und andererseits auch eine Zustandsbeschreibung abzugeben von dem, was man eine postnatürliche Welt nennen könnte – eine Welt, in der Adler Drohnen jagen, in der Steaks aus dem Labor kommen und Menschen voller Implantate stecken. Das ist eine Welt, in der wir bereits jetzt leben und die versuchen wir künstlerisch zu beschreiben, zu reflektieren, zu spiegeln“, so der künstlerische Leiter Thomas Edlinger.

Neben Kunstinstallationen und dem Toxic Temple präsentiert das donaufestival aber auch heuer wieder viel Musik, Tanz und Performances. So bot das Duo Rojin Sharafi und Epong am Eröffnungstag etwa eine traumwandlerische Reise von laut nach leise. Hektische Gestik und Klänge der Britin Petronn Sphene luden zum kollektiven Dampfablassen. Dröhnende Gitarren, massive Drumbeats und mal melodiöse, dann wieder harsche Vocals gab es von der kanadischen Gruppe Big Brave. Und bei der britischen Industriallegende Godflesh konnte dann nach ein paar anfänglichen Problemen das Haupthaar eifrig geschüttelt werden.

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Godflesh heizte dem Publikum ordentlich ein

Nach einem langen Tag, an dem man auch akustisch von 250 Bienen von Felix Blumes Installation „Swarm“ berieselt wurde, oder bei einer Ausstellung die Auslöschung der Grenze zwischen organischen und synthetischen Körpern bestaunte, gab es schließlich dank Nihiloxica noch Gelegenheit, ausgelassen zu Tanzen. Die aus Uganda stammende Band verschmolz treibende Rhythmen mit elektronischen Einsprengseln zu einer gut verdaulichen, dabei nie abgestandenen Mischung. Von so einem Programm lässt man sich gerne bekehren.