„Eine Gruppe nicht mehr junger Frauen hat Kinder entführt, um sich um sie zu kümmern und mit ihnen zu spielen. Oder sind die Kinder einfach mitgegangen, unbemerkt von den Müttern, die rauchend auf den Balkonen standen und von dort die Kinder beobachteten? Das Verschwinden der Kinder äußert sich in Stille, die durch deren Abwesenheit entsteht – der Hof, in dessen Mitte die Kinder spielten, erlebt seinen stillsten Tag. Doch ist das die Wahrheit?“, heißt es auf der Website des Landestheaters Niederösterreich über das Stück, das am Samstag in der Theaterwerkstatt des Landestheaters Niederösterreich uraufgeführt wird.
Aus der Gruppe der Frauen treten drei hervor, die ihre Version der Geschichte wiedergeben. Befragt von einer Beamtin, die das Verschwinden aufklären möchte, verschiebt sich die Realität zunehmend und legt dabei die Lebenswelt der mit zunehmendem Alter aus der Gesellschaft entgleitenden Frauen offen. „Altersarmut und Einsamkeit sind ebenso Thema wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft im Allgemeinen. Kontrastiert wird diese situative Anordnung durch eine Mutter, deren Kind genommen wurde.“
Es geht um Frauen, die oft vergessen werden
Zusammen ergeben die fünf Personen ein Bild einer Vielzahl möglicher Versionen, wie die Geschichte sich zugetragen haben könnte. Alexandra Koch sagt über ihr Stück, dass es ihr darum ging, „mit diesem Text eine Sichtbarkeit für eine Gruppe zu schaffen, die sowohl in der Gesellschaft als auch auf der Bühne oft ausgespart wird: Frauen ab Mitte sechzig. Ich wollte ihre spezifischen Bedürfnisse und Sehnsüchte im weitgefassten und im sehr privaten Bereich zeigen.“
In der Regie von Sebastian Schimböck beleuchtet das Gewinnerstück des Peter-Turrini-Dramatiker*innen-Stipendiums das Rätsel um eine Gruppe Frauen, die mit den Zuschauerinnen und Zuschauern ein Spiel über die vermeintliche Realität spielen. Neben der sprachlichen Vielfalt sticht auch hervor, dass es in „oder der stillste Tag“ um die Geschichten von älteren Frauen geht, deren Lebensumstände selten Thema des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses sind. Alexandra Koch: „Besonders sollen die Themen Einsamkeit und Nähebedürfnis im Alter beleuchtet werden.“
Sehnsucht nach Freiheit und Anarchie
Alexandra Koch erhielt im Vorjahr das mit 12.000 Euro dotierte Peter-Turrini-Dramatiker*innenstipendiums des Landes Niederösterreich für ihren Text „oder der stillste Tag" – mehr dazu in Peter-Turrini-Stipendium an Alexandra Koch (noe.ORF.at, 11.6.2022). Der Text ist auch das Siegerstück des Stückefests 2022 des Landestheaters Niederösterreich. „Das Stück behandelt das Frau- und Muttersein auf überaus originelle Art und Weise“, hieß es damals in der Jurybegründung.
Alexandra Koch schaffe es, „mit einer klaren und präzisen Sprache und gleichzeitig mit absurd-humorvoller szenischer Fantasie heutige Projektionsbilder von Frauenleben zu vermitteln“. Und weiter: „Hinter den teils märchenhaften, teils archaischen Motiven taucht dabei eine starke Sehnsucht nach Freiheit und Anarchie auf und macht überraschende und vielschichtige gedankliche Räume auf.“
Alexandra Koch studierte Sprachkunst und Szenisches Schreiben an der Universität für angewandte Kunst in Wien und der Universität der Künste Berlin. Sie schreibt Drama, Prosa und Hörspiele für junges und erwachsenes Publikum und erhielt dafür einige Stipendien und Preise, unter anderem das Literaturstipendium der Stadt Wien, das Mira-Lobe-Stipendium für Kinder- und Jugendliteratur, das Dramatiker*innenstipendium der Stadt Wien und Peter-Turrini-Dramatiker*innenstipendiums des Landes Niederösterreich.
Erstmals auf der Bühne: „oder der stillste Tag“
Regisseur der Uraufführung in der Theaterwerkstatt des Landestheaters Niederösterreich in St. Pölten ist Sebastian Schimböck, Bühne und Kostüme stammen von Leonie Kohut, Dramaturg ist Thorben Meißner. Auf der Bühne zu sehen sind Tobias Artner, Caroline Baas, Doris Hindinger, Sven Kaschte und Katharina Rose. Die Premiere ist am 6. Mai 2023, weitere Vorstellungen am 10. und 26. Mai sowie am 1. und 10. Juni, Beginn jeweils um 19.30 Uhr. Im Anschluss an die Aufführung am 26. Mai gibt es ein Publikumsgespräch, am 10. Juni findet um 18.30 Uhr eine Stückeinführung statt.