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Ein Dorf stellt sich seiner unrühmlichen Geschichte

Nationalsozialisten haben in den letzten Kriegstagen 1945 in Schwarzau im Gebirge Standgerichte gehalten – mit Hilfe von Denunzianten aus dem Dorf. Eine Ausstellung befasst sich nun mit den Verbrechen, ausgehend von der Familiengeschichte einer Bewohnerin.

„Ich kannte die Geschichte meiner eigenen Familie nicht, weil nie darüber gesprochen worden ist. Erst heute verstehe ich, wie die Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkriegs mich und mein ganzes Heimatdorf beeinflusst haben“, sagt Sabine Luger. Die Landschaftsarchitektin und Künstlerin lebt in Schwarzau im Gebirge (Bezirk Neunkirchen), wo sie auch aufwuchs.

Luger erzählt im Gespräch mit dem ORF-Magazin „Thema“ von einer „durchschnittlichen“ Kindheit mit viel Natur. Doch je älter sie wurde, desto mehr bemerkte sie, dass ihr Leben nicht so stabil verläuft, wie sie sich das wünschen würde. Sie vermutet, dass ein Familiengeheimnis etwas mit ihrer Unruhe zu tun haben könnte.

Bilder aus dem Krieg

Als Sabine Luger u. a. den Suizid ihres Großvaters und die Verschlossenheit ihrer Mutter erforschte, tauchten immer wieder Bilder aus dem Krieg auf, „und ich habe nicht gewusst, warum“. Doch in ihrer Familie wollte mit ihr keiner über die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg sprechen. Deshalb machte sie sich auf die Suche nach Menschen aus dem Ort, die die Zeit miterlebten und stieß auf ein Kriegsverbrechen, das bis heute wirkt.

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Die Künstlerin Sabine Luger mit einem Bild ihrer Ausstellung vor der Linde auf der Wiese vor Elternhaus in Schwarzau, wo in den letzten Kriegswochen Gewaltverbrechen geschehen sind

Nationalsozialisten hielten in den letzten Kriegstagen, mit Hilfe von Denunzianten aus dem Dorf, Standgericht über angebliche Deserteure und Fahnenflüchtige und ermordeten sie. Die Täter wurden später als Kriegsverbrecher verurteilt. Die heute 91-jährige Johanna Schweiger ist Zeitzeugin, erzählt von „schlimmen Sachen“: „Ein Pfosten war oben im Ort, gleich beim Marktplatz. Da sind vier, fünf gehängt.“

Tatorte quer durch das Dorf

Die Tatorte waren aber durch das ganze Dorf verstreut, erinnert sich die Zeitzeugin, die damals gerade einmal 13 Jahre alt war. Drei oder vier andere Menschen wurden auf einem Baum aufgehängt, auch zwischen Post und Pfarrhof war „ein Balken, und da sind vier Menschen gehängt“, ebenso in der Nähe eines Gasthauses, schildert Schweiger.

TV-Hinweis

„Ein Kriegsverbrechen, das bis heute wirkt“ ist am 8. Mai um 21.10 Uhr in „Thema“ in ORF2 zu sehen – mehr dazu in tv.ORF.at.

Luger fand außerdem heraus, dass auch auf dem Baum vor dem Haus ihrer Eltern – einer alte Linde – ein Mann aufgehängt wurde. „Der dürfte vor der Hinrichtung ziemlich malträtiert worden sein. Anscheinend ist er nackt oder halb nackt aufgehängt worden. Und in seine Lippen hat man ein Schild reingenäht.“ Die Aufschrift: „Ich war ein fahnenflüchtiges Schwein.“

Jahrzehntelanges Schweigen

Anstatt ein Familiengeheimnis aufzudecken, entdeckte Luger, worüber das ganze Tal jahrzehntelang schwieg. Das bestätigt auch Bürgermeister Michael Streif (SPÖ), der sich an seine Schulzeit Ende der 1970er Jahre erinnert: „Da hat man schon immer wieder gehört, dass schlimme Dinge passiert sind, dass Leute verraten wurden, insbesondere Deserteure.“ Manche lebten drei, vier Wochen in einer Höhle und wurden trotzdem verraten. „Aber man hat nicht gewusst, wer es war.“

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Sabine Luger mit einem Bild ihrer Ausstellung vor dem Friedhof in Schwarzau, wo in den letzten Kriegswochen Gewaltverbrechen geschehen sind

„Da hat man überhaupt nicht darüber gesprochen“, erzählt Zeitzeugin Hanni in der „Thema“-Reportage von Andrea Poschmaier, Michaela Rädler und Fred Lindner. Zwar seien auch in Schwarzau viele Menschen gegen den Krieg und das Morden gewesen, „nur, die durften nichts sagen, denn da war die andere Gruppe. Und die mussten sich dann fürchten, in ein Lager abgeschoben zu werden. Es hat immer Menschen gegeben, die andere verurteilt haben.“

Wertvolle Impulse für Nachforschungen

In der Geschichtswissenschaft gelten Zeitzeugenberichte wie jene aus Schwarzau als wertvolle Impulse für weitere Nachforschungen, sagt Stephan Roth, Historiker und Experte für lokale Zeitgeschichte vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW): „Es gibt viele Geschichten, von denen wir gar nicht wissen, dass es sie gibt. Und wenn diese Geschichten aufbrechen, dann ist es unsere Aufgabe als Historiker zu versuchen, sie mit anderen Quellen gegenzuchecken, was da dran ist.“

Sabine Luger entschloss sich schließlich, eine Ausstellung zu organisieren. Sie wollte das Schweigen im Ort brechen, wollte, dass endlich über die Vergangenheit und die Morde gesprochen wird. „Ich wollte, dass das in unserer Familie aufhört und nicht an nachkommende Generationen weitergegeben wird.“

„Nie mehr wieder“

Auch Bürgermeister Streif war dadurch gezwungen, sich „einmal richtig Gedanken zu machen, was im und rund um den Zweiten Weltkrieg gewesen ist. Bei uns waren leider Täter und Opfer in der gleichen Gegend, und ich muss sagen, wenn man darüber nachdenkt, muss das eine sehr grausame Zeit gewesen sein.“ Vorstellen könne er sich diese Zeit nicht, doch gerade deshalb „muss man alles tun, damit diese Zeit nie mehr wiederkommt“.

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An der Linde auf der Wiese vor dem Elternhaus der Künstlerin wird jetzt der Opfer der NS-Standgerichtsfälle gedacht

Doch warum schwieg der Ort so lange? Luger erzählt von zwei Lagern: „Die einen waren dafür, die anderen waren dagegen. Und um eine Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, trennt man sich von dem, was dich trennt.“ Zeithistoriker Roth sagt, dass es nun einfacher wurde, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, „weil die Erlebnisgeneration entweder nicht mehr lebt oder am Ende ihres Lebens ist“.

Gedenken an die Opfer

Der Vater von Sabine Luger stellte an der Linde ein Gedenkkreuz auf – mit den Namen aller Opfer. Doch auch im Ort hat die Ausstellung etwas bewegt. „Da habe ich das erste Mal über Dinge reden können, über die man vorher nie gesprochen hat“, erzählt die 91-jährige Zeitzeugin. Mehrmals sei sie auch von anderen Bewohnerinnen und Bewohnern darauf angesprochen worden.

„Ob es für die anderen Leute viel verändert hat, weiß ich nicht“, sagt hingegen Luger. Für sie selbst habe diese Aufarbeitung aber sehr viel verändert, „wie ich heute die Welt sehe, Krieg und Kriegstrauma“. Auch dahingehend, dass das Kriegstrauma „nie bewusst angeschaut“, sondern „tabuisiert“ wurde und „dieses Problem nicht nur meine Gemeinde, sondern wahrscheinlich auch ganz Österreich und Deutschland und darüber hinausgehend betrifft.“