Dunkelblum
Franzi Kreis
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Kultur

„Dunkelblum“ zeigt kollektive Verdrängung

Am Landestheater Niederösterreich in St. Pölten wird am Donnerstag „Dunkelblum“ uraufgeführt, eine Dramatisierung des 2021 erschienenen Romans von Eva Menasse. Es geht um die Macht des kollektiven Verdrängens in der fiktiven Kleinstadt Dunkelblum im Jahr 1945.

„Die ganze Wahrheit wird von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis“, heißt es in dem Stück „Dunkelblum“, das am Landestheater Niederösterreich in einer Fassung von Anita Buchart und Julia Engelmayer unter der Regie von Sara Ostertag uraufgeführt wird.

200 Ermordete, und niemand kann sich erinnern

Ein Ereignis, das sich nicht mehr rekonstruieren lassen wolle, habe sich im burgenländischen Städtchen Dunkelblum – mit dem die Stadt Rechnitz gemeint ist – im März des Jahres 1945 zugetragen. Jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren dort inhaftiert, um den Südostwall zur Abwehr der Roten Armee zu errichten.

In der Nacht vor Ostern 1945 fand im Dunkelblumer Schloss „ein großes Fest der nationalsozialistischen Bevölkerung statt. Was Schreckliches in dieser Nacht passiert ist, darüber wurde sofort der Mantel des Schweigens gebreitet. Jahrzehnte später, im geschichtsträchtigen Sommer des Jahres 1989 vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, kommt ein seltsamer Fremder in den Ort und stellt Nachforschungen an …“, kann man auf der Website des Landestheaters Niederösterreich lesen.

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„Dunkelblum“ mit Bettina Kerl, Julian Tzschentke, Laura Laufenberg, Lennart Preining und Tim Breyvogel
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Lennart Preining
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Lennart Preining und Laura Laufenberg
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Bettina Kerl und Laura Laufenberg
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Michael Scherff und Laura Laufenberg
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Lennart Preining, Julian Tzschentke und Bettina Kerl
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Laura Laufenberg und Lennart Preining
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Michael Scherff und Lennart Preining

Er macht ähnliche Erfahrungen wie die Wiener Studierenden, die gegen den Willen der Einwohner den vernachlässigten jüdischen Friedhof instandsetzen wollen. „Mir ging es um die Darstellung der Gruppe und ihre Dynamik über die Jahrzehnte, nachdem so etwas geschehen ist“, sagt Eva Menasse, "mir geht es darum, was das mit einer Gemeinschaft macht, mit einer kleinen Stadt, wo jeder jeden kennt, wo jeder ungefähr weiß, wie der andere drauf ist, oder auf welcher Seite er stand im Zweiten Weltkrieg, ob er eher ein Nazi war oder ein Kommunist, oder ein Mitläufer oder vielleicht sogar ein Jude, wie der, der den kleinen Kaufmannsladen betreibt.“

Über die Macht des gemeinsamen Wegschauens

„Ich wollte keinen historischen Roman schreiben, sondern eine paradigmatische Menschheitsgeschichte“, sagte Eva Menasse 2021 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur. Die Ereignisse in Rechnitz sah sie in einem engen Zusammenhang von NS-Verbrechen und der Nachkriegs-Erinnerungskultur. In der burgenländischen Kleinstadt wurden im März 1945 etwa 200 jüdische Zwangsarbeiter getötet und in ein bis heute nicht lokalisiertes Massengrab geworfen.

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„Dunkelblum“ wird am 25. Mai uraufgeführt, drei Vorstellungen gibt es im Oktober, eine im Dezember

Der Schriftstellerin gelang mit „Dunkelblum“ ein Buch über die Macht des kollektiven Verdrängens. Am Beispiel der fiktiven Kleinstadt Dunkelblum erforscht sie die Funktionsweisen gemeinsamen Wegschauens, aufwühlend und gleichzeitig satirehaft komisch. „Ein Meisterwerk“ nannte „Die Zeit“ den Roman, der „mit Menasses brillantem Sprachstil und ihrer virtuosen Erzählkunst eine Kleinstadt zum Schauplatz von Weltpolitik werden lässt“, so das Landestheater. Und die Literaturkritikerin Sigrid Löffler bezeichnete „Dunkelblum“ als „bösen österreichischen Anti-Heimatroman“.

Geheimnisse der Vergangenheit, die wie Geschwüre sind

Die Regisseurin Sara Ostertag inszenierte zuletzt (2021) am Landestheater Niederösterreich „Der Zauberberg“, eine dramatisierte Fassung von Thomas Manns Roman. Sie arbeitet außerdem am Düsseldorfer Schauspielhaus und am Burgtheater Wien, 2023 wurde dort ihre Fassung des Raphaela-Edelbauer-Romans „Das flüssige Land“ gezeigt. 2018 erhielt sie den Nestroy-Preis in der Kategorie „Beste Off-Produktion“, im selben Jahr wurde sie in der Kategorie „Spezialpreis“ nominiert, 2020 gab es eine weitere Nominierung für Off-Produktionen.

Veranstaltungshinweis

„Dunkelblum“ wird im Landestheater Niederösterreich am 25.5. uraufgeführt, weitere Vorstellungen am 7., 8. und 20.10. sowie 9.12.2023. Inszenierung: Sara Ostertag, Bühne: Nanna Neudeck, Kostüme: Nina Ball, Musik: Jelena Poprzan, Dramaturgie: Julia Engelmayer. Mit Julian Tzschentke, Laura Laufenberg, Bettina Kerl, Lennart Preining, Michael Scherff, Tim Breyvogel und Jelena Poprzan.

Im Programmheft zum Stück sagt die Regisseurin auf die Frage, was das Besondere an der Erzählweise dieser Geschichte sei: „Eva Menasse öffnet viele verschiedene Perspektiven, wechselt zwischen Opfern und Tätern. ‚Dunkelblum‘ macht begreifbar, dass es nicht die eine richtige Erzählung über die Vergangenheit gibt. Menasses plastische Art des Erzählens, über den Ort und die Menschen, erzeugt viel Humor. Zugleich stellt der Text auch aus, wo durch Humor etwas verharmlost wird.“ Es sei nicht nur wichtig, worüber gesprochen wird, sondern ebenso, wie gesprochen wird, und was zugleich nicht gesagt wird. „Dabei kann alles Erzählte auch bezweifelt werden, keine Figur ist vollkommen zuverlässig, keine Erinnerung ganz gewiss.“

Was passiert mit einer Gesellschaft, welche die Vergangenheit nicht aufarbeitet? „Wenn die Geschichte nicht aufgearbeitet wird, konserviert sie. Die Geheimnisse der Vergangenheit bleiben wie Geschwüre an den Orten zurück.“ Die Menschen tragen die nicht aufgearbeitete Vergangenheit mit sich herum, meint die Regisseurin: „Wie im Fall des burgenländischen Rechnitz, wo bis heute die Erschießung von circa 200 jüdischen Zwangsarbeitern nicht aufgearbeitet wurde. Sacha Batthyany, Großneffe der Gräfin Batthyany-Thyssen, die in der Nacht des Massakers ein Fest im Schloss von Rechnitz veranstaltet hat, nennt das den ‚verfaulten Keim‘.“