Nadine Wagner und Lina
ORF/Thomas Koppensteiner
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Soziales

Kinderhospiz: Ehrenamtliche gesucht

Am 1. Juni ist österreichweiter Kinderhospiz- und Palliativtag. In Niederösterreich haben rund 50 Kinder und Jugendliche eine Erkrankung, die als nicht heilbar gilt. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer werden dringend gesucht.

Lina (im Bild oben) aus Vösendorf (Bezirk Mödling) ist acht Jahre alt und wirkt auf den ersten Blick wie andere Mädchen im Volksschulalter: Sie trägt einen rosa Haarreifen mit Glitzer, einige Milchzähne sind ausgefallen. Sie geht in Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling) zur Schule, ihre Lieblingsfächer sind Religion und Sport. In der Freizeit betreibt sie Cheerleading, zuhause spielt sie gerne Gesellschafts- und Rollenspiele mit ihren Schwestern Laura (elf Jahre) und Mia (zwei Jahre).

Die Achtjährige hat das Mitochondriale DNA-Depletionssyndrom, eine seltene Erkrankung, die die sogenannten „Kraftwerke der Zellen“ betrifft. Die Diagnose bekam die Familie vor vier Jahren. Derzeit hat Lina Probleme mit dem Blutzucker und ist kleiner als andere Mädchen in ihrem Alter. Wie sich die Krankheit weiterentwickelt, ist offen.

Service

Am 1. Juni 2023 von 10.00 bis 17.00 Uhr kann man sich in der SCS in Vösendorf (Waterplaza) über Hospiz- und Palliativangebote informieren – hier geht es zum Programm.

„Unser Alltag ist halbwegs normal“

„Am Anfang war es hart, seit der Diagnose ist aber etwas Zeit vergangen und unser Alltag ist halbwegs normal. Lina ist augenscheinlich gesund, man sieht ihr nicht an, dass sie schwerkrank ist. Aber wenn sie Ausbrüche hat, dann ist es gut, wenn man Leute um sich hat, die wissen was zu tun ist. Wir sind gut aufgehoben“, sagt Linas Mutter, Nadine Wagner, im Gespräch mit noe.ORF.at.

Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die eine nicht heilbare Erkrankung haben, ist in Niederösterreich dreistufig aufgebaut. Im Landesklinikum Mödling gibt es drei Palliativbetten, in denen im Vorjahr 78 Kinder und Jugendliche betreut wurden. Ein mobiles Palliativteam führt medizinische Arbeiten vor Ort bei den Familien durch und versucht damit, die Zahl der Krankenhausaufenthalte für die Familien so gering wie möglich zu halten. Zusätzlich gibt es die Ehrenamtlichen des sogenannten HoKi-Teams, die sich um Geschwisterkinder kümmern, den Eltern etwas Auszeit verschaffen oder bei Behördengängen helfen.

Lina mit Helferinnen und Helfern am Tisch
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Viele Helferinnen und Helfer an einem Tisch: Lina und ihre Mutter mit Vertreterinnen und Vertretern des mobilen Palliativteams und des ehrenamtlichen HoKi-Teams

Bei Lina und ihrer Familie greifen all diese Angebote ineinander. Einmal pro Woche bekommen sie Unterstützung von einem Ehrenamtlichen des HoKi-Teams. Helmut Burgstaller aus Pottendorf (Bezirk Baden) war früher im Handel tätig, Interesse an der Hospizarbeit hatte er „schon immer“, wie er erzählt. Der bald 68-Jährige kümmert sich vor allem um Linas elfjährige Schwester. „Ich hole sie einmal pro Woche von der Schule ab und wir verbringen zwei, drei Stunden zusammen.“ Egal ob Spielplatz oder ein Snack im Fast-Food-Lokal – „Sie genießt es richtig, dass ich nur für sie Zeit habe“, sagt Burgstaller.

Lebens-, Sterbe- und Trauerkurs als Voraussetzung

Ehrenamtliche werden jedoch dringend gesucht. In ganz Niederösterreich sind es nur 25 freiwillige Helferinnen und Helfer, die sich im Vorjahr um 26 Kinder sowie zusätzlich fast 100 Personen aus der Familie – wie Eltern oder Geschwister – gekümmert haben. Zum Vergleich: Im Bereich der Erwachsenenhospiz sind es rund 700 Ehrenamtliche. Medizinische Vorkenntnisse sind nicht notwendig, Voraussetzung ist ein Grundkurs in Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung im Ausmaß von 132 Stunden plus 40 Praxisstunden.

„Ich habe mittlerweile aufgehört nach dem Warum zu fragen. Es ist eine Laune der Natur“, sagt Mutter Nadine Wagner gegenüber noe.ORF.at über die Erkrankung ihrer Tochter. „Es gab ganz arge Phasen, in denen ich nicht mehr wusste, wohin mit mir. Das war schon hart. Wir haben jetzt aber einen Alltag gefunden. Uns geht es gut, wenn wir zusammen sind. Das ist das Wichtigste.“

Kinderhospiztag

Am 1. Juni ist österreichweiter Kinderhospiz- und Palliativtag. Österreichweit wird an diesem Tag auf die Situation von Familien mit unheilbar kranken Kindern aufmerksam gemacht.

„Wo sind unsere Kinder?“

Der Blick auf die Statistik zeigt: Niederösterreich ist zwar nach Wien das Bundesland mit den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern, hat aber relativ wenige Kinder und Jugendliche, die die Betreuung von mobilen Palliativteams in Anspruch nehmen. Auf eine Bevölkerung von rund 1,7 Mio. Menschen kamen im Jahr 2020 47 betreute Patientinnen und Patienten. Zum Vergleich: In Wien (1,9 Mio.) waren es 200, in der Steiermark (1,2 Mio.) 157, in Oberösterreich (1,5 Mio.) 96 betreute Kinder und Jugendliche.

Die Geschäftsführerin des Landesverbandes Hospiz, Petra Kozisnik, geht von einer hohen Dunkelziffer aus. „Wo sind unsere Kinder?“, fragt sie. Viele betroffene Familien dürften offenbar keine Hilfe in Anspruch nehmen, die Betreuung der schwererkrankten Kinder als „Familiensache“ deklarieren. Kozisnik rät im Interview mit noe.ORF.at jedoch dazu, sich frühzeitig Hilfe zu suchen, „nicht erst, wenn man überlastet ist“.

noe.ORF.at: Niederösterreich hat im Vergleich zu anderen Bundesländern nur wenige Kinder und Jugendliche in der Hospizbetreuung. Warum ist das so?

Petra Kozisnik: Eine Hypothese ist, dass sich in Niederösterreich die Familien für die Versorgung zuständig fühlen, dass das eine gesellschaftliche Erwartungshaltung ist und sie deswegen keine Unterstützungsleistungen aufsuchen. Ebenso gibt es einen finanziellen Aspekt. Früher hat man eine Pflegeleistung erst bekommen, wenn ein überbordender Pflegebedarf bestanden hat, jetzt gibt es schon Unterstützung vorab. Es ist noch immer in den Köpfen, dass man selbst verantwortlich ist.

Petra Kozisnik, Geschäftsführerin Landesverband Hospiz Niederösterreich
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Petra Kozisnik, Geschäftsführerin des Landesverbands Hospiz Niederösterreich

noe.ORF.at: Vermutet wird eine große Dunkelziffer an Familien, die keine Unterstützung in Anspruch nehmen. Welche Arten von Hilfe gibt es für Betroffene?

Kozisnik: Wir vermuten, dass die Dunkelziffer hoch ist. Wichtig ist, vorab zu gehen, nicht erst wenn man das Gefühl hat, dass man überlastet ist. Es gibt das mobile Hospizteam für Kinder und Jugendliche, das nach Hause kommt und das Familiensystem entlastet. Das sind Ehrenamtliche, die eine spezielle Schulung in der Lebens-, Trauer- und Sterbebegleitung auch für Kinder haben, und die dort unterstützen, wo Hilfe gebraucht wird. Manchmal sind sie für die Geschwisterkinder da, manchmal aber auch für die Eltern, damit diese eine Auszeit nehmen können. Die mobilen Palliativteams unterstützen ebenfalls im System zuhause, übernehmen die Pflege und Betreuung, mit dem Ziel, so lange wie möglich stabile Phasen zu erzeugen. Diese Hilfsleistung kann über den Landesverband Hospiz Niederösterreich angefragt werden.

noe.ORF.at: Warum gibt es vor allem im Kinderhospizbereich zu wenige Ehrenamtliche?

Kozisnik: Wir vermuten, dass das mit den Anforderungen zu tun hat, dass es doch oft abschreckend ist, wenn Kinder so schwer betroffen sind. Wir versuchen die Ehrenamtlichen mit der Ausbildung gut darauf vorzubereiten und auch während der Tätigkeit mit Supervisionen und Fortbildungen zu begleiten. Wir brauchen aber dringend Ehrenamtliche, weil die Betreuungsprozesse oft sehr lange gehen. Man ist oft über Jahre hinweg in der Begleitung von Familien.