Daniel (links) und Reinhard K. im Edelhof in Rohrbach an der Gölsen
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Chronik

Misshandlung in Kinderheim: Brüder klagen an

Drei Brüder sollen als Kinder in einem Heim in Rohrbach an der Gölsen (Bezirk Lilienfeld) von Nonnen schwer misshandelt worden sein. Sie fordern jetzt Schadenersatz vom Orden, von der Diözese St. Pölten und von der Stadt Wien. Die Beklagten streiten die Vorwürfe ab.

Wegen Vernachlässigung waren die drei Brüder, heute 34, 35 und 37 Jahre alt, Anfang der 1990er Jahre von der Stadt Wien ihren Eltern abgenommen und im Edelhof in Niederösterreich untergebracht worden. Das Kinderheim in Rohrbach an der Gölsen wurde damals vom Orden der Schwestern vom armen Kinde Jesus betrieben. Mit diesen Nonnen verbinden die drei jedoch Demütigungen und Bestrafungen, wie Recherchen von Christoph Feurstein von der „Thema“-Redaktion des ORF zeigen.

Sendungshinweis

„Thema“, 10.7.2023, ORF2.

So berichtet einer der drei, Reinhard, etwa von einem Schweinestall, mit dem er schlimme Erinnerungen verbinde: „Wenn ich nicht brav war, wurde ich zu den Schweinen gesperrt. Es wurde gesagt, wenn du dich nicht benehmen kannst, gehörst du eh dorthin.“ Sein Bruder Daniel erzählte von Demütigungen, die „nie aufgehört“ hätten: „Ich bin bestraft worden und habe deshalb ins Bett gemacht, daraufhin bin ich wieder bestraft worden. Ich musste am nächsten Tag im großen Raum stehen mit dem angemachten Leintuch über dem Kopf. Und weil das nicht Demütigung genug war, wurden die anderen Kinder von den Schwestern aufgefordert, mich auszulachen.“

„Zehn Jahre lang Schläge, Erniedrigung, Demütigung“

Von 1991 bis 2001 sollen die drei Buben durch Nonnen schwer körperlich und psychisch misshandelt worden sein. Die Männer, die heute keiner Arbeit mehr nachgehen können, klagen über tiefschürfende Schäden und einschneidende Dauerfolgen für ihre Gesundheit. Sie fordern jetzt Schadenersatz vom Orden, von der Diözese St. Pölten und von der Stadt Wien. „Wir wollen in erster Linie eine Entschädigung für das Leid, das uns angetan wurde. Für zehn Jahre lang Schläge, Erniedrigung, Demütigung und andere Dinge. Deswegen klagen wir“, sagte Reinhard.

Die Brüder werden im laufenden Verfahren von Rechtsanwältin Christine Kolbitsch vertreten, die sich seit mehr als 30 Jahren um Opfer von Missbrauch und Gewalt kümmert. „Es ging immer um Bestrafungen. Es ging immer um Sanktionen, die in einer wirklich menschenverachtenden und demütigenden Weise ausgeübt worden sind", so Kolbitsch. Die Anwältin fordert für ihre Mandanten Schmerzensgeld in der Höhe zwischen 130.000 und 280.000 Euro. „Ich denke, dass das relativ bescheiden ist, in Anbetracht dessen, was man ihnen angetan hat.“

Nonnenorden: „Stets um das Wohl der Kinder besorgt“

Die Kongregation der Schwestern vom armen Kinde Jesus war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. In der Klagebeantwortung bestreitet man jedoch, „dass der Kläger im Heim gequält wurde (…) Die Schwestern waren stets um das Wohl der Kinder besorgt.“

Das ehemalige Kinderheim Edelhof in Rohrbach an der Gölsen
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2014 wurde das Kinderheim aus Rohrbach abgesiedelt, die neuen Besitzerinnen erlaubten „Thema“, zur Aufarbeitung der Geschichte dort zu filmen

Auch die Diözese St. Pölten wollte mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht Stellung nehmen. Sie weist in der Klagebeantwortung jede Verantwortung von sich – mit dem Argument, dass der Orden autonom sei: „Die Befugnis zum Einschreiten ist nur dann gegeben, wenn dem Diözesanbischof schwere Verstöße gegen kirchenrechtliche Normen bekanntwerden. Das war nicht der Fall. Der Diözese St. Pölten ist daher jedenfalls keine Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen.“

Allerdings hatten sich schon 2019 die Brüder an die unabhängige Opferschutzkommission der katholischen Kirche, die Klasnic-Kommission, gewandt. Alle drei wurden damals entschädigt.

Kontrollen waren laut Stadt Wien stets unauffällig

Der Stadt Wien wirft Rechtsanwältin Kolbitsch vor, „dass sie es gewusst haben“, denn es seien immer wieder Beschwerden an die Stadt herangetragen worden. Anders sieht man das bei der zuständigen MA 11, der Kinder- und Jugendhilfe. Eine Sozialarbeiterin und eine Psychologin der MA 11 seien monatlich im Edelhof gewesen, sagte Pressesprecherin Ingrid Pöschmann gegenüber „Thema“. Niemals sei ihnen gegenüber von Gewalt die Rede gewesen.

Falls das Gericht im aktuellen Fall bei der Stadt Wien eine Mitschuld sieht, kündigte diese übrigens bereits an, Regressforderungen an das Land Niederösterreich zu stellen. Man habe schon darauf vertraut, dass das Heim den niederösterreichischen Rechtsvorschriften entsprach, heißt es.

Daniel (links) und Reinhard K. im Edelhof in Rohrbach an der Gölsen
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Im Gespräch mit „Thema“-Reporter Christoph Feurstein erzählten Daniel und Reinhard K. ihre Geschichte und kehrten auch noch einmal in das ehemalige Heim zurück

Beim Land Niederösterreich wollte man ebenfalls wegen des laufenden Verfahrens keine Stellung nehmen. In der Klagebeantwortung argumentiert man wiederum, dass bei den Kontrollen mindestens einmal im Jahr keine Missstände festgestellt worden seien.

Heute hoffen Reinhard und Daniel, dass sie doch noch zu ihrem Recht kommen – doch abgesehen davon, dass alle beklagten Parteien die Vorwürfe bestreiten, sind diese auch der Meinung, die Vorwürfe seien verjährt. Das Gericht kündigte bereits an, in einem ersten Schritt zu entscheiden, ob und in welchem Fall das tatsächlich zutrifft.