Aufgefallen war die Verunreinigung erstmals am Montag in den frühen Morgenstunden, wie auch die „Kronen Zeitung“ berichtete. Eine „braune, stinkende und schäumende Suppe“ habe den Anzbach bedeckt, beschreibt Feuerwehrkommandant Josef Ertl. Der Anzbach, der in Neulengbach (Bezirk St. Pölten) in die Große Tulln mündet, gilt als wichtiges Schongebiet für den Fischbestand im Wienerwald.
„Es ist eine Katastrophe epischen Ausmaßes“, sagt der Fischereiausübungsberechtigte an der Großen Tulln, Oswald Hicker, „der Anzbach ist von der Einleitung abwärts tot.“ Auch am dritten Tag nach dem Gülleaustritt ist das Wasser übersät mit toten Fischen, darunter besonders viele junge Forellen. Für die Wienerwald-Bachforelle war der Anzbach das „Kinderzimmer“, wie Hicker es nennt.
Jahrzehntelange Zuchtarbeit zerstört
Über Jahrtausende hat sich diese Bachforellenart an die besonderen klimatischen Gegebenheiten in den Wienerwald-Fließgewässern angepasst. Mit den hohen Temperaturen und dem häufig stark schwankenden Wasserstand kann sie umgehen. Weil im Anzbach seit 30 Jahren nicht mehr gefischt werden darf, wurde der Bachlauf zu einem wertvollen Laichorte für die Bachforelle. „30 Jahre Aufbauarbeit im Zuchtgebiet wurden in einer Nacht zerstört“, klagt Hicker.
Bis sich der Fischbestand wieder erholt, werde es fünf bis sechs Jahre dauern, schätzt der niederösterreichische Landesfischermeister Karl Gravogel. Überhaupt könne man erst in zwei oder drei Jahren mit einer Wiederansiedelung beginnen, weil die Schlammablagerungen der Gülle nur langsam abgebaut werden. Auch die wassernahen Insekten, die die Nahrungsgrundlage für die Fische darstellen, sind durch die Gülle vernichtet worden.
Wiederansiedelung kompliziert
Zur Wiederansiedelung eignen sich ausschließlich Wienerwald-Bachforellen. „Es macht keinen Sinn Gebirgsforellen zum Beispiel aus Ybbsitz auszusetzen, die ein ganz anderes Wasser gewohnt sind“, erklärt Hicker. Binnen kürzester Zeit wären sie tot.
Zumindest aber der Fischbestand der Großen Tulln konnte aller Voraussicht nach gerettet werden. Die Feuerwehr hatte dazu knapp 5.000 Kubikmeter Frischwasser zur Verdünnung in den Anzbach eingeleitet, damit die Fische mit ausreichend sauerstoffhaltigem Wasser versorgt sind, erklärt Feuerwehrkommandant Ertl. Zwischenzeitlich führte die Maßnahme Montagfrüh allerdings zu einem Wasserdruckabfall in Maria Anzbach.
Biberdamm als Hilfe
Insgesamt 18 Stunden stand die Feuerwehr mit 25 Hilfskräften im Einsatz. Dank eines Biberdamms konnte schließlich ein Teil der Gülle abgepumpt werden. Der Biberdamm sorgte für einen Rückstau, sodass die Feuerwehr die Feststoffe in der Gülle, hauptsächlich unverdautes Gras, abpumpen und in den Fäkalienkanal einleiten konnte. „Der Biberdamm hat sehr viel abgehalten“, sagt Ertl. Hätten sich auch Feststoffe im Anzbach verteilt, hätte sich die Verunreinigung durch Gärprozesse noch verschlimmert, meint Hicker.
In den Anzbach war die Gülle über den Waldhofbach, einen Zubringerbach einige hundert Meter flussaufwärts, gelangt, wie die Polizei gegenüber noe.ORF.at bestätigt. Als Verursacher gilt ein landwirtschaftlicher Betrieb, die genauen Hintergründe werden noch ermittelt.
Bis Jahresende keine Forellen verzehren
Unklar ist, wie der Gülleschieber der Güllegrube des Betriebs geöffnet worden ist. Bei der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten geht man eher nicht von einem technischen Versagen aus. „Ein Gülleschieber öffnet sich normalerweise nicht von selbst“, sagt Bezirkshauptmann Josef Kronister.
Obwohl der Fischbestand der Großen Tulln gerettet wurde, rät der Landesfischermeister vom Verzehr der Forellen in naher Zukunft ab. Der Geschmack der Bachforellen könnte durch die Gülle beeinträchtigt worden sein, so Gravogel: „Ich würde bis Ende des Jahres keine Forellen aus der Großen Tulln verzehren.“