Stimmungsgrafik in App
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Wissenschaft

Digitale Gefühlsmesser: Chance und Risiko

Immer mehr Menschen nutzen sogenannte Mood Tracking Apps als eine Art digitales Tagebuch. Die Apps versprechen emotionale Übersichtlichkeit, bergen jedoch auch Risiken, wie eine aktuelle Forschung der Bertha von Suttner Privatuniversität in St. Pölten zeigt.

Es genügen einige wenige Klicks auf dem Smartphone und schon ist der Gemütszustand dokumentiert. Das Handy fragt: „Wie geht’s dir?“ Die Möglichkeiten erstrecken sich von „super“ bis „lausig“. Auch die Tagesaktivitäten können mit ein paar Klicks ausgewählt werden, sodass die App am Ende der Woche oder des Monats eine Gefühlsbilanz präsentiert.

„Das große Versprechen ist, dass diese App eine Übersichtlichkeit verschafft. Ich habe zumindest gefühlt die Kontrolle über meine Emotionen und das spricht Menschen an in einer Welt, die unglaublich komplex und kompliziert ist“, erklärt Psychologe Moritz Meister von der Bertha von Suttner Privatuniversität in St. Pölten. Meister forscht als einer von wenigen Wissenschaftern weltweit zum Phänomen der digital dokumentierten Gefühle – in der Fachsprache „Mood Tracking“ genannt.

Pandemie hat Trend beschleunigt

Die Community, die sich für Mood Tracking begeistert, wächst stetig. Zehn Millionen Menschen weltweit nutzen derzeit die derzeit reichweitenstärkste Mood Tracking App Daylio. „Das Ganze ist ein globaler Trend und hat während der Pandemie enorm zugenommen“, sagt Meister: „Da haben sich die Downloads verdreifacht.“

Psychologe Moritz Meister
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Psychologe Moritz Meister (li.) ortet durchaus Vorteile in den Apps, allerdins sollten ihre Möglichkeiten nicht überschätzt werden

Den Grund sieht Meister im allgemeinem psychischen Stress, den die Pandemie bei vielen Menschen ausgelöst hat. „Mittels der Software hat man es quasi schwarz auf weiß, dass es einem gerade schlechter oder besser geht“, so der Psychologe. Das habe besonders in der Pandemie, als viele Menschen mehr Zeit am Handy verbracht haben als sonst, einen großen Reiz gehabt.

Reflexion kann verloren gehen

Für Meister spiegeln diese Apps aber auch eine Modernisierung des Tagebuchs wider. „Das Bedürfnis, Gefühle zu reflektieren, darüber nachzudenken, sich hinzusetzen, das ist Jahrtausende alt.“ Grundsätzlich sei jede Art der Bewusstmachung und der Reflexion über die eigenen Gefühle etwas Positives und Hilfreiches, so der Psychologe. Allerdings unterscheiden sich Mood Tracking Apps und Tagebücher in der Art der Dokumentation. Die Apps lassen nur eine Auswahl vorgefertigte Kategorien und Skalen zu, ein freier Ausdruck der Gefühle trete in den Hintergrund, so Meister.

Warum eigentlich?: Gefühle tracken

Nicht nur Fitness-Daten, auch Gefühle lassen sich mittlerweile digital dokumentieren. Tobias Mayr hat an der Bertha von Suttner Privatuni in St. Pölten mit einem Psychologen gesprochen, der sich weltweit als einer von wenigen Wissenschaftern mit digitalen Gefühlen beschäftigt.

Potenziell könne dadurch die Reflexion der eigenen Gefühle, das Hineinspüren in den eigenen Körper und der Austausch mit Mitmenschen verloren gehen, so Meister. Gefährlich werde es, wenn die Illusion aufkommt, dass sich der eigene Gefühlshaushalt über die App kontrollieren und optimieren lasse. „Das ist eigentlich ähnlich wie bei Fitness: Wenn es zu obsessiv, zu zwanghaft und zu viel wird, dann kann es kippen und potenziell selbstverletzend werden.“