Baustelle an einem Einfamilienhaus
ORF.at/Lukas Krummholz
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Umwelt

Bodenschutz: Begriffschaos im Politpoker

Bis 2030 will der Bund den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag senken. Die Verhandlungen mit Ländern und Gemeinden über eine Bodenschutzstrategie brachten bisher keine Einigung, auch Niederösterreich zögert. Experten beklagen, dass die Begriffe oft vermischt werden.

Marillenbaum an Marillenbaum reiht sich in einem Garten in Pulkau (Bezirk Hollabrunn). „Das ist ein wunderschöner Garten, aber in der Statistik ist er erfasst als versiegelte Fläche“, sagt Bürgermeister Leo Ramharter (ÖVP) in einem Video, das der Gemeindebund Niederösterreich unter dem Titel „Bodenverbrauch – Ehrliche Debatte statt Horrorzahlen“ u. a. auf einer Videoplattform gepostet hat.

Der Bürgermeister erklärt weiter: „In Niederösterreich wird ein Baugrundstück, sobald es verbaut ist, zur Gänze als versiegelte Fläche ausgewiesen.“ Auch der Präsident des Gemeindebundes Niederösterreich, Hannes Pressl, steht in dem Video „mitten in einem Naturgarten – und ich frage mich dann immer: Ist die Gartenfläche jetzt versiegelte Fläche, ist das verbrauchter Boden oder nicht?“

Eine Grafik zeigt den Bodenverbrauch in Österreich nach Bundesländern
Grafik: APA/ORF; Quelle: WWF/Umweltbundesamt/BEV

Verbaut, versiegelt, in Anspruch genommen, zubetoniert oder verbraucht – in der Diskussion über den Bodenschutz gehören all diese Begriffe zum gewohnten Wortschatz und werden oft auch synonym verwendet. Tatsächlich werden die Begriffe in der Wissenschaft unterschieden und beschreiben verschiedene Grade der Bodennutzung.

Verbrauch oder Versiegelung

Laut Umweltbundesamt, das die Daten jedes Jahr berechnet, muss man zwischen zwei Begriffen unterscheiden: zum einen die Flächeninanspruchnahme, oft auch als Bodenverbrauch bezeichnet. „Darunter verstehen wir den Verlust biologisch gesunden und produktiven Bodens, der sonst für land- und forstwirtschaftliche Zwecke oder für Naturschutz zur Verfügung stehen würde“, erklärt der fachliche Leiter Helmut Gaugitsch.

Konkret betrifft das sämtliche Gebäude, Shoppingcenter und Verkehrsanlagen genauso wie Camping- und Golfplätze, die grüne Wiese im Garten, Fußballfelder und auch Deponien. Hier verbraucht Niederösterreich pro Tag etwa 2,3 Hektar. Darauf beziehen sich auch die 2,5 Hektar pro Tag, die der Bund in der Bodenschutzstrategie als Zielwert bis 2030 für ganz Österreich ausgegeben hat.

Der zweite Begriff ist die Bodenversiegelung. Als versiegelt gelten nur jene Flächen, die durch „eine wasser- und luftundurchlässige Schicht abgedeckt“ sind, erklärt Gaugitsch, etwa durch Beton oder Asphalt. Das betrifft die Grundfläche von Häusern, Straßen, Industrie- und Gewerbegebiete, Parkplätze, zubetonierte Garteneinfahrten und Carports. Hier versiegelt Niederösterreich pro Tag etwa einen Hektar.

Weder zum Verbrauch noch zur Versiegelung zählen laut Umweltbundesamt landwirtschaftlich genutzte Flächen wie Felder und Almen, Wälder, Weingärten, Gewässer, Forststraßen, Skipisten, Hochwasserschutz- und Retentionsbecken.

Kursschwenk der Grünen?

Im Alltag werden die Begriffe trotzdem oft vertauscht oder vermischt. Die Grünen in Niederösterreich forderten vergangene Woche in einer Aussendung etwa, „die Bodenversiegelung in der nationalen Bodenschutzstrategie auf einen Wert maximal 2,5 Hektar pro Tag bis 2030“ zu begrenzen. Ein plötzlicher Kursschwenk der Grünen? Auf Nachfrage heißt es, dass damit selbstverständlich nicht die Versiegelung, sondern der Bodenverbrauch gemeint gewesen sei.

Siedlung in Böheimkirchen (Bezirk St. Pölten)
ORF/Posch
Straßen und Hausflächen gelten laut Umweltbundesamt zur versiegelten Fläche, die grüne Wiese im Garten als verbrauchte Fläche

Politische Vertreter beklagen in der Debatte oft unklare Definitionen. Aus Sicht des Umweltbundesamtes ist die Bedeutung der Begriffe Flächeninanspruchnahme und Bodenversiegelung „klar, eindeutig und nachvollziehbar und (sie) werden auch in der Fachwelt geteilt“, sagt Gaugitsch. So manche Experten halten diese Definitionsdebatten auch für ein vorgeschobenes Argument, um fixe Zielwerte möglichst lange verzögern zu können.

Appell zu klarem Zielwert

Politisch umstritten war zuletzt, ob ein fixer Wert – also die bekannten 2,5 Hektar pro Tag – beschlossen werden muss: Laut dem Experten sind verbindliche Zielwerte „immer ein wichtiges Instrument, um darauf hinarbeiten zu können, einen Zielpfad zu entwickeln, um zu einem bestimmten Zeitpunkt diese Zielerreichung auch zu ermöglichen“. Deshalb sei es auf jeden Fall sinnvoll, einen Zielwert festzulegen.

Eine Grafik zeigt den Bodenverbrauch in Österreich im Jahresvergleich
Grafik: APA/ORF; Quelle: Umweltbundesamt/WWF

Um die Daten noch genauer erheben zu können, hat das Umweltbundesamt zuletzt auf Wunsch der Raumordnungskonferenz (ÖROK) eine neue Methode ausgearbeitet, die bis auf einen Quadratmeter genau und aktueller ist. Außerdem können die Daten damit für jede Gemeinde separat ausgewertet werden. Das sei den Verhandlern der Bodenstrategie seit Juni bekannt, sagt Gaugitsch.

Gemeindevertreter bleiben zurückhaltend

Trotzdem bleibt der Gemeindebund Niederösterreich zurückhaltend, was die Zustimmung zu einem konkreten Zielwert betrifft. In einer Stellungnahme verweist man auf das Positionspapier, das der Österreichische Gemeindebund im Vorjahr beschloss. Darin ist ein „klares Bekenntnis zum Schutz des Bodens“ enthalten, zugleich fordert man einheitliches Datenmaterial. Die Raumordnungs- und Flächenwidmungskompetenz müsse bei den Gemeinden bleiben. Vom SPÖ-Gemeindevertreterverband gab es dazu keine Rückmeldung.

Das Land Niederösterreich sieht die Bodenstrategie als „wichtige und richtige Maßnahme gegen unnötige Bodenversiegelung“, diese „hätte schon im Frühjahr beschlossen werden können“. Beklagt wurde in einer Umfrage von Greenpeace aber, dass Daten und eine Methodik zur Berechnung regionaler Flächenkontingente fehlen würden. So sei etwa noch nicht geklärt, wie viel Fläche jedes Bundesland bzw. jede Gemeinde in Zukunft verbrauchen darf.

Weil sich Bund, Länder und Gemeinden bisher nicht einigen konnten, verhandelt die Arbeitsgruppe der Raumordnungskonferenz (ÖROK) nun weiter, um eine Bodenschutzstrategie zu finden. Die letzte Sitzung fand am Mittwoch statt. Dabei soll es zwischen den Parteien auch eine Annäherung beim Thema Zielwert gegeben haben, sodass die Bodenschutzstrategie noch in diesem Herbst beschlossen werden könnte.