Péter Nádas
Erhard Hois
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kultur

Nadas: „Möchte von allen Zwängen frei bleiben“

In Heidenreichstein im Waldviertel findet gerade wieder das Festival Literatur im Nebel statt – dieses Mal mit Lesungen, Vorträgen und Gesprächen rund um das Werk des ungarischen Autors Peter Nadas.

Lange Zeit hat die Zensur im kommunistischen Ungarn es nicht zugelassen, dass Peter Nadas’ Bücher gelesen werden. Spätestens nachdem 1991 sein Roman „Buch der Erinnerung“ auf Deutsch erschien, wird er als einer der größten zeitgenössischen Autoren Osteuropas gehandelt. Bei der heurigen Ausgabe des Festivals Literatur im Nebel in Heidenreichstein (Bezirk Gmünd) wurde Nadas’ Werk u.a. von Schauspielgrößen wie Elisabeth Orth und Nicole Heesters vorgetragen.

Der Holocaust und der Kommunismus bilden den historischen Rahmen, auf dem Nadas seine Figuren und Erzählungen miteinander verwebt – beides hat erlebt bzw. überlebt. Als politisch engagiert will Nadas seine Literatur aber nicht verstehen, wie er im Gespräch mit noe.ORF.at sagt. Peter Nadas lebt in Ungarn und feierte im Vorjahr seinen 80. Geburtstag.

noe.ORF.at: Sie meinten vorhin, es sei scheußlich für Sie gewesen, Ihre eigenen Texte zu hören. Warum?

Peter Nadas: Scheußlich war nur meine Rolle. Ich habe die Schauspieler unglaublich genossen und ich war sehr dankbar, wie sie meine Texte vortrugen. Das war großartig. Aber diese Großartigkeit zu erdulden – das ist hart.

noe.ORF.at: Weil es auch Ihre eigenen Texte groß macht?

Nadas: Nein. Ich will von meinen Texten nicht mitgenommen werden. Und je besser die Schauspieler sind, desto besser nehmen sie mich mit. Und dann bin ich in einem unbekannten Raum.

Elisabeth Orth
Erhard Hois
Schauspielgrößen wie Elisabeth Orth lasen die Texte von Peter Nadas

noe.ORF.at: Aber andere Menschen wollen Sie schon mitnehmen mit Ihren Texten, nehme ich an?

Nadas: Nein, das ist auch nicht mein Anliegen. Das würde ich nicht sagen. Das Schreiben und die Konzentration darauf ist meine Arbeit. Wenn ich die Leser vor meinen Augen habe, dann bin ich verloren. Ich kenne meine Leser nicht.

noe.ORF.at: Also würden Sie auch Bücher schreiben, wenn keiner sie lesen würde?

Nadas: Wahrscheinlich. Es gab eine Zeit in der Diktatur, als ich schrieb, aber nicht veröffentlichen durfte, mehr als zehn, zwölf Jahre. Keine Zeile ist durchgekommen – das war sehr schwierig. Ich sage nicht, dass ich nicht möchte, dass meine Bücher gelesen werden. Es freut mich, das ist großartig. Aber an Leser zu denken gehört nicht zu meinem Beruf. Anders als ein Schauspieler spiele ich nicht für ein Publikum, sondern ich konzentriere mich. Und diese Konzentration hat verschiedene Gegenstände und die sind mir wichtig.

noe.ORF.at: Worauf konzentrieren Sie sich denn? Können Sie sagen, was diese Gegenstände sind?

Nadas: Das ist sehr vielfältig: von Handlung über Rhythmus bis zum Sprachgebrauch. Das ist eine Menge von Entscheidungen, die ich beim Schreiben treffe. Das ist meine Materie, ohne eine richtige Materie zu haben.

Festival „Literatur im Nebel“

In Heidenreichstein findet am Wochenende wieder das Festival „Literatur im Nebel“ statt.

noe.ORF.at: Da geht es also um die Sprache als Werkzeug.

Nadas: Sprache ist kein Werkzeug, sondern das einzige Mittel zur Kommunikation. Man erfindet die Sprache nicht, man erfindet vielleicht den Sprachgebrauch. Aber dann betreibt man einen Stil und ich bin kein Stilist, sondern ich diene meinen Figuren und lasse sie sprechen. Das ist unpersönlich.

Allgemeiner Sprachgebrauch, gesellschaftliche Erscheinungen, Bewusstes und Unbewusstes, Assoziationsketten und Naturgesetze – das ist die Materie, das ist mein Anliegen, damit befasse ich mich. Und das ist eine einsame Arbeit. Niemand kann hineinblicken. Ein befreundeter, junger Filmemacher wollte einmal eine Kamera in meinem Arbeitszimmer aufstellen und nach zwei Monaten wieder abholen. Ich sagte ihm: Das ist eine gute Idee, aber du wirst nichts sehen. Das ist nicht einsehbar.

noe.ORF.at: Und haben Sie mitgemacht?

Nadas: Nein, ich will nicht von dem „Großen Bruder“ beobachtet werden. (lacht)

noe.ORF.at: Sie hätten eine Performance wie Marina Abramovic daraus machen können.

Nadas: So exhibitionistisch bin ich nicht. (lacht)

noe.ORF.at: Jetzt haben wir über Ihre Beziehung zum Schreiben gesprochen. Hat die Literatur eine Aufgabe in der Gesellschaft?

Nadas: Nein. Fantasie spielt eine große Rolle. Ohne Fantasie würde die Gesellschaft zugrunde gehen. Dichter und auch Prosaschriftsteller feilen an Fantasie, sie lassen sie nicht los. Sie geben Lesefutter. Und das enthält verschiedene Fantasien und die werden gebraucht in einer gesunden Gesellschaft.

noe.ORF.at: Also wird die Literatur doch gebraucht in der Gesellschaft.

Nadas: Ohne Dichtung kommt eine Gesellschaft nicht aus. Also ohne Dichter, die eigentlich ungewöhnliche Sätze nacheinander aufschreiben mit ungewöhnlicher Rhythmik, kommt eine Gesellschaft nicht aus, weil die Sprache stirbt und die Fantasie der Sprache stirbt und wir können die Sprache nicht sterben lassen.

Bühne mit Publikum
Erhard Hois
Das Festival Literatur im Nebel drehte sich heuer um den ungarischen Autor Péter Nádas

noe.ORF.at: Das heißt Sie sind nicht für engagierte Literatur?

Nadas: Engagierte Literatur ist sehr interessant und ist wichtig, aber wenn ich mich zu etwas bekenne, ist mir das eine Grenze. Und wenn ich Grenzen erkenne und anerkenne, dann bin ich auch begrenzt und ich will nicht begrenzt werden.

Mir ist meine Freiheit unglaublich wichtig, das war schon in meiner Kindheit wichtig, meine Eltern wussten das. Und ich bin dabei geblieben. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und ich möchte von allen Zwängen frei bleiben.