Chronik

Gedenkdiener in Israel: „Ich habe gezittert“

Simon Eminger aus Sulz im Weinviertel (Bezirk Gänserndorf) hat als Gedenkdiener im Norden Israels gearbeitet, als es zu den Angriffen der Terrororganisation Hamas kam. Am Dienstag gelang ihm die Ausreise. „Die Erleichterung ist groß“, sagt er im Interview.

Eminger war als Gedenkdiener vor knapp zwei Monaten in einen kleinen Ort im Norden Israels gekommen, etwas nördlich der Stadt Haifa. Er arbeitete in einer Bibliothek und in einem Archiv und kümmerte sich um Dokumente von Deutsch- und Anderssprachigen in Israel, die im Zusammenhang mit dem Holocaust stehen. Konkret ging es darum, Bücher, Postkarten, Tagebucheinträge oder Ähnliches zu digitalisieren, nachzuprüfen und der Öffentlichkeit in einem Museum zur Verfügung zu stellen.

Nach dem Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel gelang dem Niederösterreicher am Dienstag die Ausreise. Am Flughafen in Istanbul blickte er im Videogespräch mit ORF-NÖ-Reporter Werner Fetz auf die Augenblicke zurück, als sich auch im Norden Israels die Lage verschärft hatte.

„Ich war am Morgen in Haifa, weil es das Wochenende der jüdischen Feiertage war. Ich war am Freitag noch relativ lange auf einem Filmfestival und bin dann am Samstag von einer SMS des Festivals aufgeweckt worden, dass alle Veranstaltungen abgesagt sind. Ich habe das zunächst gar nicht verstanden und begriffen“, so Eminger. Nach und nach verschaffte er sich Informationen über das aktuelle Geschehen im Land, zahlreiche Nachrichten trafen ein, ebenso wie Ratschläge, aus dem Land auszureisen.

„Leute wurden am Sonntag immer nervöser“

„Ich habe dann erst einmal versucht, allen Leuten zuhause zu sagen, dass ich in Sicherheit bin. Dann habe ich Kontakt mit meinen Kolleginnen aufgenommen, die Israelis sind, um an Infos zu gelangen, was zu tun ist und wie es ihnen geht.“ Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass die Angriffe auf den Süden begrenzt sind, sei die Stimmung am Samstag noch „relativ ruhig“ gewesen, so der Niederösterreicher. „Die Cafes waren im Wesentlichen noch alle offen. Am Samstag hat alles noch nicht so dramatisch gewirkt.“

Bundesheer fliegt Österreicher aus

Gebannt blickt die Welt in diesen Tagen nach Israel. Die Region kommt seit dem Angriff der Hamas auf Israel am Samstag nicht zur Ruhe. Die Zahl der Toten steigt. Wie es weitergeht ist unklar. Das Bundesheer wird rund 200 Österreicherinnen und Österreicher, die Israel verlassen wollen, nach Zypern fliegen.

Am Sonntag seien die Leute jedoch „immer nervöser und aufgeregter“ geworden, so der Gedenkdiener aus Niederösterreich, „weil jeder einen Verwandten oder eine Verwandte im Süden hat, die bedroht ist“, zudem habe man im Fernsehen und auf Social Media die furchtbaren Videos gesehen. „Man hat gemerkt, dass eine große Nervosität und Traurigkeit in der Bevölkerung herrscht, weil man plötzlich spürt, dass es doch so viele Opfer gibt, mehr als man jemals erwartet hätte. In den Medien wird der Anschlag auch ‚9/11 von Israel‘ genannt. Das ist in gewisser Weise fast eine Untertreibung, weil man wirklich auf eine symbolische Art und Weise an diesem Feiertag getroffen wurde.“

Letzte Nacht am Flughafen verbracht

Am Montag intensivierten sich die Meldungen über Luftalarme auch auf den Golanhöhen – dem Grenzgebiet zwischen Israel und Syrien, auf dem es immer wieder zu Kampfhandlungen kommt. Eine große Panik sei ausgebrochen. „Ich habe dann Anrufe aus Österreich bekommen, auch von der österreichischen Botschaft und vom Verein, der mich entsendet hat. Das Thema war so schnell wie möglich raus, wenn es nur irgendwie möglich ist.“ Eminger gelang es, für Dienstagfrüh einen Flug zu buchen. „Das war eine Erleichterung. Die Panik war riesig, die Panik war da. Ich habe mich auch physisch schon gefürchtet, ich war auch nicht mehr ruhig.“

Die Nacht auf Dienstag verbrachte er bereits am Flughafen, mit etwas Verspätung hob der Flieger aus Israel mit dem jungen Niederösterreicher an Bord in der Früh schließlich ab. Die Ereignisse haben bei Eminger tiefe Spuren hinterlassen. „Ich habe gezittert, ich habe geschwitzt, ich war physisch sehr nahe an den Tränen. Als kurz vor meiner Abreise die letzte Eskalation ausgebrochen ist, war ich rational zu nichts mehr handlungsfähig.“

Rückholaktion aus Israel geplant

Die Österreicherinnen und Österreicher, die derzeit in Israel auf die Ausreise warten, sollen nun aus dem Krisengebiet geholt werden. Das Bundesheer schickt eine Hercules-Transportmaschine nach Tel Aviv.

Österreich bereitet Evakuierungsflüge vor

Nachdem wegen der Kriegslage zahlreiche Fluglinien ihre Flüge in Israel bis auf weiteres eingestellt haben, hat die österreichische Bundesregierung beschlossen, mehrere Evakuierungsflüge mit dem Bundesheer durchzuführen. Das Außenministerium ruft alle Österreicherinnen und Österreicher, die das Angebot in Anspruch nehmen möchten, auf, sich per E-Mail mit der Österreichischen Botschaft in Tel Aviv in Verbindung zu setzen und die Kontaktdaten an tel-aviv-ob@bmeia.gv.at bekannt zu geben.

150 Österreicherinnen und Österreicher warteten am Dienstag in Israel auf einen Evakuierungsflug, berichtete Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) Dienstagnachmittag im Fliegerhorst Hörsching. Das Transportflugzeug werde die Ausreisewilligen nach Zypern bringen, von dort sollen sie mit Linienflügen weiterreisen. Die Hercules-Maschine hat Kapazität für rund 60 Passagiere – mehr dazu in Hercules aus Hörsching fliegt Österreicher aus (ooe.ORF.at; 10.10.2023).