Windmühle Retz
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Kultur

Vergessenes Handwerk: Alte Mühlen öffnen ihre Türen

Am Samstag findet in Österreich der 1. Mühlentag statt. In Niederösterreich nehmen 23 Besitzerinnen und Besitzer teil und öffnen ihre historischen Gebäude. Das „Mühlensterben“ hatte vor 50 Jahren begonnen, das Handwerk ist mittlerweile immaterielles Kulturerbe.

Viele ehemaligen Mühlen in Niederösterreich sind im Kern so alt wie manche Burgen oder Schlösser im Land. Die historischen Gebäude werden mittlerweile als Wohnhäuser, Hotels, Reiterhöfe oder Kulturzentren genutzt. Beim 1. Österreichischen Mühlentag am Samstag kann beides erkundet werden: die neue wie die alte Nutzung. 23 Mühlen in Niederösterreich sind mit dabei, österreichweit nehmen 61 Mühlenbesitzerinnen und -besitzer teil.

In vielen Mühlen, die heute nicht mehr genutzt werden, sind die Maschinen, Säcke, Arbeitsgeräte und Holzkonstruktionen noch so erhalten, als hätten die Besitzerfamilien erst gestern die Türe zum ehemaligen Betrieb zugemacht und den Schlüssel an den Nagel gehängt. Keine Mühle gleicht der anderen. Die Mühlentischler haben in der Vergangenheit die Lifte, sogenannte Elevatoren, Mahlwerke und Abfüllstationen den jeweiligen Gegebenheiten angepasst. Eine historische Mühle ist ein faszinierender Organismus aus Holzleitungen, Bändern und Radübersetzungen von Maschinen.

Großes Aufzeigen einer vergessenen Branche

Viele Menschen fragen sich heute: Wo kommt mein Strom her? Wer produziert meine Milch? Was steckt in meinem Brot? Gerade in Zeiten der Pandemie hat durch das Selberbacken das Mehl eine stärkere Bedeutung im Bewusstsein der Konsumenten und Konsumentinnen erhalten. Hier setzt diese Initiative des 1. Mühlentages an.

Wie Mühlen heute genutzt werden

Vor 50 Jahren, mit dem Aufkommen der großen Industriemühlen, hat in Niederösterreich ein regelrechtes Mühlen-Sterben eingesetzt. Heute werden die historischen Gebäude anders genützt – etwa als Hotels, Wohnhäuser oder Kulturzentren. Der erste österreichische Mühlen-Tag am Samstag will beides zeigen: die neue wie die alte Nutzung.

Der Mühlentag am Samstag, dem 14. Oktober, will wieder mehr Bewusstsein für ein historisches Handwerk schaffen, das immer mehr verloren zu gehen scheint. Mittlerweile zählt das Können der Müller und Müllerinnen zum immateriellen Kulturerbe des Landes. Auch wenn die Zukunftsaussichten nicht besonders rosig aussehen, Müllerlehrlinge werden gebraucht. Thomas Wolf, der junge Betreiber der historischen Windmühle in Retz, hat sein Handwerk in Holland gelernt. Er wünscht sich, dass viele Jugendliche seinem Beispiel folgen und und „von der Mühle einen Klaps bekommen“, also vom Müller-Handwerk fasziniert werden.

„Mühlensterben“ nimmt kein Ende

Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein schleichendes „Mühlensterben“ ein. Ein harter Wettbewerb zwischen den Mühlenbetreibern war die Folge, viele Betriebe drohten zerrieben zu werden. Das 1960 unter Leopold Figl geschaffene Mühlengesetz schuf eine neue Marktordnung. 35 Jahre hindurch berieten und entschieden im Mühlenfonds die Sozialpartner. Der Preis für Mehl war geregelt.

In den 1970er-Jahren wurden die Zügel stark gelockert, viele Familienbetriebe, die mit traditionellen Maschinen und Mahlwerken arbeiteten, konnten mit den Preisen großer industrieller Mühlen und deren modernen Mahlmethoden nicht mehr mithalten. Die Preisspirale nach unten wirkt bis heute.

Mühle in Altenmarkt im Thale
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In Altenmarkt im Thale (Bezirk Hollabrunn) wurde eine baufällige Mühle renoviert und zu neuem Leben erweckt

Ortsnamen erinnern noch an Mühlen

„In Österreich hat Mehl 1995 durchschnittlich einen Euro gekostet. Der Müller erhielt damals rund 80 Cent pro Kilo, jetzt sind es nur noch 50 Cent. Heute kauft man im Supermarkt ein Kilo Mehl (von woher auch immer) um rund 1,40 Euro. Also fast zum gleichen Preis wie vor 30 Jahren“, erklärte Nicole Langer von der Langer-Mühle in Atzenbrugg (Bezirk Tulln) im Vorjahr im Gespräch mit einem Journalisten.

Anfang der 90er-Jahre gab es in Österreich noch rund 150 Mühlen, heute sind es nur noch 80. Dabei machen die zehn größten Betriebe circa 95 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Vielerorts gibt es noch Adressen wie die Mühlgasse, Mühlenhof, Mühlberg oder gar Kaisermühlen. Die namensgebenden Gebäude dazu sind verschwunden.