Ilse Helbich 2013
APA/Georg Hochmuth
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KULTUR

Die spät Berufene: Ilse Helbich ist 100

Erst als 65-Jährige begann sie, Prosa zu schreiben. Ihren ersten Roman brachte Ilse Helbich mit 80 heraus, ihr Lyrikdebüt „Im Gehen“ erschien mit 94 Jahren. Am Sonntag feiert die in Schönberg am Kamp (Bezirk Horn) lebende Schriftstellerin ihren 100. Geburtstag.

Geboren wurde Ilse Helbich am 22. Oktober 1923 in Wien, wo sie später Germanistik studierte und promovierte. Sie arbeitete publizistisch etwa zur Biografie Ludwig Wittgensteins, schrieb zahlreiche Radiocollagen für den ORF sowie Kolumnen für „Die Presse“. Ihre späte Autorinnenkarriere schlug sich u.a. in den Büchern „Schwalbenschrift“ (2003), „Die alten Tage“ (2004), „Iststand. Sieben Erzählungen aus dem späten Leben“ (2007) und „Fremde. Erzählungen“ (2010) nieder.

Erinnerungen an Veränderungen im Leben

In ihrem Roman „Das Haus“ (2009) verarbeitete sie die Geschichte eines von ihr 1985 im Ortszentrum von Schönberg am Kamp erworbenen alten Hauses, das sie renovieren ließ. 2012 erschien der Band „Grenzland Zwischenland. Erkundungen“, vorsichtige Erfahrungsberichte von den einschneidenden Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, vom Leben mit zunehmender Erblindung, vom Kampf um die Hoheit über das eigene Wort und die eigene Erinnerung.

In „Vineta“ (2013) erinnerte sie sich in vielen kurzen Kapiteln an ihre Kindheit in Wien. In Prosaminiaturen werden Bilder, Klänge und Gerüche von einst heraufbeschworen, vom Kreischen der Tramwaybremsen bis zum Teppichklopfen.

Ilse Helbich
Literaturverlag Droschl
„Wir müssen uns nur an die Bücher von Ilse Helbich halten, um zu erfahren, dass der Teppich nicht dazu da ist, um Unerfreuliches darunter verschwinden zu lassen, sondern dass er sich im besten Fall zum Fliegen eignet“, so der Literaturkritiker Anton Thuswaldner

2017 erschien ihre Sammlung früher und später Gedichte „Im Gehen“, in dem auch die zunehmende Immobilität und andere Veränderungen im hohen Alter thematisiert werden. Darin hieß es: „Es ist gesagt, was zu sagen war. Das Andere, das jetzt ist, entzieht sich den Worten. Tief innen ist jetzt eine Melodie, die sich dem Nachsingen versagt.“ Doch das war nicht ihr letztes Wort: 2020 versammelte in dem Band „Diesseits. Gesammelte Erzählungen“ einen Rückblick auf ihr Prosaschaffen, in dem sie auch noch unveröffentlichtes Material fand.

Mit 97 schreibt sie über ihre Gelassenheit

Im Alter von 97 Jahren legte sie schließlich „Gedankenspiele über die Gelassenheit“, in der sie teils hochdramatische Erinnerungen ans Tageslicht holte: von der schweren Lungenentzündung als Vierjährige bis zum Aufgespießtwerden durch einen großen Holzspan als Dreizehnjährige.

„Und ich selbst weiß noch immer nicht, ob ich eine gelassene alte Frau geworden bin“, schreibt sie dort. „Und dennoch. Ich werde zuhause bleiben in meiner Gelassenheit, zuhause in diesem Lebensvertrauen, dem ich mich anvertraue.“ Im Vorjahr folgte schließlich der Band „Anderswohin. Vom Träumen, Suchen und Finden“, in dem sie Erinnerungen, Selbstreflexionen, philosophische Sequenzen sowie eingestreute „Protokolle“ von Gedanken verband.

Buchcover Ilse Helbich Wie das Leben so spielt
APA/Georg Hochmuth
„Helbichs Erzählungen zeugen von Einfühlungsvermögen und von Lebenserfahrung. Das sind Qualitäten, die gar nicht hoch genug zu schätzen sind“, so Christoph Schröder vom Sender SWR2.

2018 erhielt sie den Würdigungspreis für Literatur des Kulturpreises des Landes Niederösterreich, und sie überließ ihren literarischen Vorlass der Dokumentationsstelle für Literatur in St. Pölten, aus dessen Fundus der 2019 erschienene Band „Ich möchte noch einmal irgendwo fremd sein. Ilse Helbich – Schreiben im Gegenwartszustand“ stammt.

„Kein Wort ist hier zu viel“

Kurz vor ihrem 100. Geburtstag erschien im Droschl Verlag ein neues Buch von Ilse Helbich: „Wie das Leben so spielt“ versammelt drei literarische Dorfgeschichten, in denen ab und zu „Krimi-Elemente aufblitzen, sich Abgründe auftun und die Zugereisten als Störenfriede, Wunden-Aufreißer oder Außenseiter in Erscheinung treten“.

Die Darmstädter Jury wählte „Wie das Leben so spielt“ zum „Buch des Monats“. „Verknappung und Verdichtung, Schnörkellosigkeit und Gelassenheit charakterisieren ihre Erzählungen. Sie kommen geradezu ‚cool‘ daher. Kein Wort ist hier zu viel. Die Sprache glasklar. Poetischer Überschuss? Mitnichten! Verklärung? Gott bewahre!“, heißt es seitens der Jury über Helbichs neue Dorfgeschichten.

Drei Geschichten, „die, eine nach der anderen, trotz ihrer Kürze, einen weiten Zeit- und Spannungsbogen aufbauen und dem Leser in kürzester Lesezeit das Glücksgefühl bescheren, keine Storys, sondern Romane von über hundert Seiten gelesen zu haben. Sie handeln von Aufbrüchen und vom Aufbäumen, eher als von Abbrüchen und Einknicken.“

Auf www.literaturkanal.tv ist ein 69-minütiger, vom Literaturhaus Berlin in Auftrag gegebener Film über Ilse Helbich abrufbar: In „Besuch der alten Dame“ spricht die Autorin mit der Literaturkritikerin Sieglinde Geisel und der Kulturwissenschafterin Simone Schröder. Am 16. November (19.00 Uhr) würdigt die Österreichische Gesellschaft für Literatur in Wien (Herrengasse 5) die Jubilarin mit einer hochkarätig besetzten Veranstaltung: Burgschauspielerin Dörte Lyssewski liest, Franz Schuh moderiert.