Eröffnung des Hochstrahlbrunnens Wien
Technisches Museum Wien
Technisches Museum Wien
Chronik

Frisches Gebirgswasser fürs darbende Wien

Am 24. Oktober 1873 wurde der Hochstrahlbrunnen am Wiener Schwarzenbergplatz feierlich eröffnet. Es war der offizielle Start der Nutzung der Ersten Wiener Hochquellenleitung. Wien verfügte nun über bestes Gebirgswasser. Davor gab es nur verunreinigtes Wasser aus der Donau.

Lange hatte der Wiener Gemeinderat in den 1860er-Jahren herumüberlegt, Gremien und Ausschüsse beauftragt und Ausschreibungen in die Wege geleitet, um die Trinkwassermisere der stetig wachsenden Metropole in den Griff zu bekommen. Die Einwohnerzahl hatte damals die Halbmillionen-Grenze überschritten. Der Donaukanal war extrem mit Fäkalien und anderen Abwässern kontaminiert und zu Recht als krankheitsauslösend erachtet. Auch andere Grundwasserquellen boten kein befriedigendes Ergebnis bei der Wasserqualität.

Bürgermeister Andreas Zelinka war sehr irritiert, dass Wien an einem großen Fluss liegt und dennoch über kein sauberes Trinkwasser verfügt. Verschiedene Pläne wurden geprüft, wie etwa Wasser aus der Traisen oder aus dem Wiener Neustädter Raum nach Wien zu leiten. Sie wurden aber letztlich verworfen, weil sie im Betrieb zu teuer gewesen wären oder zu unsicher in der verfügbaren Menge.

Bau des Speichers im 10. Wiener Gemeindebezirks
Technisches Museum Wien
Errichtung des Wasserspeichers im 10. Wiener Gemeindebezirk

„Sueß, Sie sind ein Narr!“ – Die Worte des Bürgermeisters

Cajetan Felder, der damalige erste Stellvertreter von Bürgermeister Zelinka, bevorzugte offenbar große Lösungen und agierte laut dem Historiker Peter Payer fortschrittsoptimistisch. Felder fand im Geologen und Paläontologen Eduard Sueß einen kongenialen wie mutigen Kompagnon. „Wasser mit einem Millionenaufwand vom Schneeberg herbeizuführen, während dasselbe in der Donau an uns vorüber fließt, Sueß, Sie sind ein Narr“, zeigte sich Zelinka skeptisch.

Im Jahr 1866 kam es im Wiener Gemeinderat zur Abstimmung über das Hochquellenprojekt. Nach stundenlanger Debatte zeigte sich ein deutliches Ergebnis: 65 Prozent der Abgeordneten entschieden sich dafür. Am längsten dauerte die Planung. Vorbild war die Hochquellenleitung von Paris, die Mitte der 1860er-Jahre in Betrieb genommen wurde und das Wasser aus 130 Kilometer Entfernung in die „Hauptstadt Europas“ transportierte.

Stollen wird im Höllental errichtet
Technisches Museum Wien
Stollenbau im Höllental im südlichen Niederösterreich

Das teuerste Kommunalprojekt der Habsburgerzeit

„Die 95 Kilometer lange Wiener Hochquellenleitung, die Wasser im freien Gefälle aus dem alpinen Gebiet in die Großstadt transportieren sollte, war – so gesehen – ein kleiner Bruder des Pariser Mammutprojekts. Wenngleich: Für Wiener Verhältnisse stellte das durch Anleihen finanzierte Kommunalprojekt eine neue Dimension dar. Mit 17 Millionen Gulden (heute 221 Millionen Euro; Anm.) sollte es letztlich das teuerste Infrastrukturprojekt dieser Ära werden“, schreibt Peter Payer in seinem aktuellen Buch „Gebirgswasser für die Stadt“, das im Falter Verlag erschienen ist. Die Bilder steuerte der Fotograf Johannes Hloch bei.

Am 7. Dezember 1869 wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Unglaubliche vier Jahre später wurde der Hochstrahlbrunnen in Wien in Betrieb genommen. Ein immenses Heer an niederösterreichischen, steirischen und italienischen Arbeitern, Mineuren und Ingenieuren war am Werk. Es sollte eine Wasserleitung werden, die ohne Pumpen, rein durch das Gefälle von drei Promille, das Wasser nach Wien leitet. Der Höhenunterschied zwischen dem Höllental und dem ersten Auffangbecken am Wiener Rosenhügel beträgt nur 254 Meter.

Bau des Viaduktes in Baden
Technisches Museum Wien
Das Viadukt bei Baden entsteht

Eine technische Meisterleistung bis heute

Es mussten bereits in den Quellgebieten, dem Kaiserbrunnen im Höllental und der Stixensteinquelle bei Sieding (Bezirk Neunkirchen) lange Stollen in den Berg gesprengt werden. Es galt bis Wien elf Kilometer Stollen zu bauen und viele überwölbte Kanäle zu errichten, die sich heute im Schnitt zwei Meter unter der Erde befinden. Die spektakulärsten Bauwerke der Wasserleitung bildeten die Viadukte. Das längste befindet sich auf der Höhe von Leobersdorf (Bezirk Baden) mit einer Ausdehnung von etwas mehr als einem Kilometer, Baden folgt mit 788 Metern und Liesing mit 794 Metern Länge.

Die Erste Hochquellenleitung ist bis heute eine technische Meisterleistung, bedenkt man vor allem die technische Ausrüstung und Messgeräte der berechnenden Ingenieure der damaligen Zeit. Bis heute braucht das Wasser bis nach Wien rund 24 Stunden ohne zusätzliche Energie. Im Gegenteil: In Wien wird in den großen Becken das Gefälle noch ausgenutzt, um Trinkwasserkraftwerke zu betreiben. 17 derartige Anlagen gibt es. Damit werden rechnerisch 50.000 Menschen, das entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Wiener Neustadt, mit elektrischem Strom versorgt.

Ein Stadion voller Wasser pro Tag

In den 1860er-Jahren hatte Wien die 500.000-Einwohner-Marke überschritten. Vor zwei Wochen wurden in der Bundeshauptstadt zwei Millionen Bewohner erreicht. Die kommunale Einrichtung „Wiener Wasser“ habe mit den mittlerweile beiden Hochquellenleitungen die Grenze der Möglichkeiten erreicht, erläutert Paul Hellmeier im Gespräch. Nun werden – für die kommenden 200.000 Bewohner der Stadt – die Grundwasserbrunnen forciert. Die Qualität des Wassers der Donaubegleitströme im Raum Wien sei mit der von 1860 in keiner Weise vergleichbar, betont Hellmeier.

Rund 380 Millionen Liter Wasser verbraucht Wien pro Tag, das entspricht in etwa einem voll gefüllten Ernst-Happel-Stadion. 3.000 Kilometer lang ist das Leitungsnetz in der Stadt, von den Speichern bis zu den einzelnen Haushalten. Den Spitzenverbrauch verzeichnet Wien in einem heißen Juni-Monat, den geringsten Verbrauch am 25. Dezember und am 1. Jänner, wenn die Wiener und Wienerinnen sich noch im Ruhemodus befinden.