Thomas Salzer
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„INTERVIEW AM SAMSTAG“

„Europa erlebt industriellen Wandel“

Acht Jahre war der St. Pöltner Industrielle Thomas Salzer Präsident der niederösterreichischen Industriellenvereinigung. Ende November gibt er sein Amt ab – in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Europa sieht er „im industriellen Wandel“.

Die Coronavirus-Pandemie, der Ukrainekrieg und hohe Energiekosten – es waren schwierige Zeiten für die Industrie in den vergangenen Jahren. Thomas Salzer sieht im Interview mit noe.ORF.at auch in naher Zukunft keine Entspannung für die Industrie. Über seine mögliche Nachfolge hält er sich noch bedeckt.

noe.ORF.at: Ende November endet Ihre Periode als Präsident der Industriellenvereinigung in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Es ist aber kein Rückzug, die Statuten sehen das so vor.

Thomas Salzer: Die Statuten sehen vor, dass man maximal acht Jahre das Amt ausüben darf. Das habe ich jetzt hinter mir und daher wird jemand anderer diese Funktion übernehmen.

noe.ORF.at: Die Prognosen, was die Wirtschaft betrifft, sind nicht besonders rosig. Es gibt wenig Optimismus, auch bei den Industriebetrieben. Niederösterreichs Wirtschaftskammerpräsident Wolfgang Ecker hat vor Kurzem gesagt, dass jeder zehnte Betrieb von der Schließung bedroht ist. Gilt das auch für die Industrie?

Salzer: Momentan hat vor allem die Industrie eine echte Rezession, es ist in Niederösterreich zum Beispiel eine Papiermaschine geschlossen worden. Wir haben momentan eine schwere Konjunkturdelle. Das zweite große Thema ist, dass wir in Europa in einem industriellen Wandel sind und die EU-Kommission mit immer mehr Bürokratie und Wettbewerbshemmnissen sowie mit einer deutlichen Verteuerung der Energiekosten darauf reagiert. Wir bekommen damit langfristig das Problem, global nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein.

noe.ORF.at: Eine der größten Belastungen sind die Energiekosten, die hohen Energiepreise. Die Regierung hat nun die baldige Auszahlung des Energiekostenzuschusses beschlossen. Ist das für die Industrie zu wenig?

Salzer: Die Auszahlung erfolgt frühestens im nächsten Jahr. Heuer gibt es kein Geld mehr. Jetzt muss man ansuchen und ich bin sehr skeptisch, ob viele Industriebetriebe da irgendetwas davon sehen.

Robert Friess und  Thomas Salzer
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ORF-NÖ-Redakteur Robert Friess (l.) traf Thomas Salzer zum „Interview am Samstag“

noe.ORF.at: Gerade die Industrie ist auf Erdgas angewiesen. Erdgas, das aus Russland kommt. Nun hat die Ukraine angekündigt, dass kein Erdgas aus Russland mehr im nächsten Jahr nach Europa transportiert wird. Bedeutet das einen Engpass für die Industrie?

Salzer: Die Ukraine hat angekündigt, dass der Vertrag Ende 2024 ausläuft, damit ist für 2025 die Situation unklar. Natürlich ist das eine unangenehme Situation für die Industrie. Ich bin aber optimistisch, dass vielleicht der Krieg mit der Ukraine bis dahin beendet ist und der russische Angriffskrieg kein Problem mehr darstellt, damit man sich dann auch auf die Frage der weiteren Durchleitung von Gas einigen wird.

„Da ist die Atomkraft langfristig ein Thema“

noe.ORF.at: Sie haben immer auch Alternativen angesprochen, etwa das umstrittene Fracking, die Erdgasgewinnung im Weinviertel. Aber Sie haben auch immer wieder von der Atomkraft als mögliche Alternative gesprochen. Nun ist es genau 45 Jahre her, dass sich Österreich knapp gegen die Atomkraft ausgesprochen hat. Ist das überhaupt denkbar?

Salzer: Ich weiß nicht, ob es politisch momentan denkbar ist. Es ist der politische Konsens nicht da. Aber die Frage ist, wie wollen wir langfristig in unserem Energiesystem in Österreich haushalten, für die Industrie und für den gesamten produzierenden Sektor? Der macht in Niederösterreich doch deutlich über 50 Prozent der Wertschöpfung des Landes aus. In Österreich sind es deutlich über 30 Prozent. Die Frage der langfristigen Energieverfügbarkeit ist eine ganz gravierende.

Wir haben zwei Prämissen: Die eine Prämisse ist, wir wollen in Europa ab 2050 kein CO2 mehr emittieren. Die andere Prämisse ist die kurzfristige, kein russisches Gas zu verwenden. Wenn wir das beides erfüllen wollen, dann müssen wir Wege aufzeigen, wie das geht. Momentan fehlen die Leitungsnetze dafür. Momentan gibt es in Europa keine Bestrebungen, die eigenen europäischen Gasvorhaben dafür zu heben.

Da ist die Atomkraft langfristig ein Thema, die wir möglicherweise nutzen müssen – auch in Hinblick darauf, dass die Kernfusion sich immer schneller entwickelt und es durchaus realistische Hoffnungen gibt, dass in 20 Jahren dort, wo heute Atomkraftwerke klassischer Bauart stehen, Fusionsreaktoren stehen und wir damit eine sichere Energiequelle haben.

noe.ORF.at: Ein Thema, das auch die Industrie sehr lange begleitet, ist der Facharbeitermangel. Was ist da in der Vergangenheit falsch gemacht worden, dass es nun den Mangel gibt?

Salzer: Es ist nichts falsch gemacht worden. Wir haben ein Pensionssystem, das immer noch sehr viel Anreize setzt, dass man sehr früh in Pension geht. Österreich hat in Europa im Durchschnitt die jüngsten Pensionisten. Damit nehmen wir Leute aus dem Arbeitsmarkt, die eigentlich noch tätig sein könnten.

Das zweite große Thema ist, dass wir das Potenzial der Frauen in Österreich nicht stark genug nutzen und viel zu viele Teilzeitkräfte unter Frauen haben. Wenn man sich jetzt die letzten zehn Jahre ansieht, ist die Beschäftigung insgesamt gewachsen, aber die Beschäftigung im Vollzeitdienstverhältnis nicht. Das ist eine zweite Quelle, die wir heben müssen.

Dann gibt es noch die dritte Quelle. Wir haben viele Menschen, die aus Asylgründen nach Österreich kommen. Wir müssen schauen, dass wir diese Menschen besser integrieren, ihnen Jobchancen geben und damit alle Menschen, die in Österreich leben, ins Erwerbsleben integrieren.

Mengen in der Papierindustrie sinken

noe.ORF.at: Sie selbst kommen aus einem traditionsreichen Papierunternehmen, eine Sparte der Industrie, die die Krise auch sehr stark gespürt hat.

Salzer: Die Papierindustrie ist von der Krise ganz massiv betroffen, wir haben Corona sehr gut überstanden, bis vor einem Jahr. Aber seither sind die Aufträge in der Industrie massiv eingebrochen, europaweit und in Österreich noch schlimmer. Das hängt nicht mit der Produktionsstruktur zusammen, sondern einfach mit der Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen.

Ich bin überzeugt, dass sich das in einigen Bereichen wiederholen wird. Durch die energiebedingt hohen Preise ist es zu einem anderen Nutzerverhalten gekommen. Es wird weniger gedruckt, insbesondere im Bereich der Werbung, aber auch im Bereich der Verpackung. Wir werden uns als Branche darauf einstellen müssen, dass es die Mengen, die wir noch vor zwei Jahren produziert haben, in Europa nicht mehr geben wird.

noe.ORF.at: Ende November wird Ihr Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin gewählt. Zwei Namen sind immer wieder im Gespräch: Thomas Welser (Geschäftsführer von Welser Profile) und Geberit-Chef Helmut Schwarzl. Wer wäre Ihr idealer Nachfolger?

Salzer: Es ist sehr positiv, dass wir in der Industrie einige haben, die in der Lage und willens sind, so eine Funktion zu übernehmen. Die Funktion wird vom Vorstand am 21. November gewählt und ich kann dem weder vorgreifen noch eine Auskunft geben.

noe.ORF.at: Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?

Salzer: Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er ein gut gehendes Unternehmen hat und in dem Unternehmen die Zeit findet, um sich um die Interessensvertretung der Industrie zu kümmern. Er muss einen guten Draht zur Politik aufbauen, um unsere Interessen im täglichen Gespräch gut vertreten zu können.