Altlandeshauptmann Erwin Pröll
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Pröll: „Vertrauen ist Kitt der Gesellschaft“

Das Vertrauen in Politik und staatliche Institutionen schwindet, das belegen auch Umfragen Altlandeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) hat Persönlichkeiten aus Kultur, Medien und Wissenschaft eingeladen, ihre Gedanken dazu in einem Buch niederzuschreiben.

„Vertrauensfragen – Ansichten und Aussichten“ lautet der Titel des neuen Buches, das im Vermes-Verlag erschienen ist. Es widmet sich dem Thema Vertrauen aus verschiedenen Blickwinkeln. Schriftstellerin und Schauspielerin Erika Pluhar, Autor und Regisseur Felix Breisach, Mediziner und Theologe Johannes Huber, Historiker Oliver Rathkolb, Ex-Grünen-Politikerin Monika Langthaler, Diözesanbischof Alois Schwarz oder Schriftsteller Peter Turrini – es sind nur einige der klingenden Namen, die sich mit dem Thema „Vertrauen“ auseinandergesetzt haben.

Altlandeshauptmann Erwin Pröll ist Herausgeber des Buches und warnte bei der Präsentation davor, dass das Misstrauen in demokratische Institutionen totalitäre Strukturen forciere. „Wo das Vertrauen verloren geht, fällt eine Gesellschaft auseinander“, sagt er im Interview mit der stellvertretenden Chefredakteurin des ORF Niederösterreich, Claudia Schubert, und appelliert daran, das Vertrauen wieder aufzubauen.

noe.ORF.at: Vertrauen – warum ist dieses Thema ein Anliegen für Sie?

Pröll: Weil ich davon überzeugt bin, dass das Vertrauen der Kitt einer Gesellschaft ist. Dort, wo Vertrauen verloren geht, fällt auch eine Gesellschaft auseinander. Dort sind in erster Linie die Egoisten am Werk und nicht mehr diejenigen, die das Miteinander in den Vordergrund stellen. Das kann auf Dauer einfach nicht gut gehen. Daher haben wir jetzt die große Aufgabe, mit all den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, zu versuchen, Vertrauen aufzubauen, weil gerade in den letzten Jahren oder Jahrzehnten das Vertrauen aus verschiedensten Gründen unglaublich gelitten hat.

noe.ORF.at: Was ist Ihre Analyse? Warum ist das Vertrauen in vielen Bereichen verloren gegangen?

Pröll: Mein Gott, es gibt viele Ursachen dafür. Auf der einen Seite, weil der Egoismus durch den Materialismus den Gemeinschaftssinn überwuchert hat. Auf der zweiten Seite haben wir verlernt, von Mensch zu Mensch miteinander zu leben und zu kommunizieren. Wir reden mittlerweile im Laufe eines Tages mehr mit der Technik als von Mensch zu Mensch. Und das führt dazu, dass sich die Menschen selber voneinander wegbewegen.

Vertrauen kann nur zwischen Menschen aufgebaut werden. Daher ist es so wichtig, dass wir zumindest das Bewusstsein wieder schaffen, dass wir im Alltagsleben unsere Zutaten neu orientieren müssen: einander zuhören, aufeinander zubewegen, einander wieder Glauben zu schenken. Alles menschliche Dimensionen, die früher einmal selbstverständlich waren und die mittlerweile verloren gegangen sind.

Wir haben auch durch die Pandemie, glaube ich, schon sehr große Enttäuschungen in der Gesellschaft erleben müssen. Und Enttäuschung ist der Nährboden für Misstrauen. Daher ist es so wichtig, dass wir wieder Vertrauen in Institutionen bekommen, dass wir Vertrauen in die demokratischen Strukturen bekommen. Denn es sollte niemand vergessen: Dort, wo demokratische Strukturen verloren gehen, dort haben die totalitären Strukturen eine Chance. Und das kann doch niemand wollen.

Buch „Vertrauensfragen“
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In dem Buch widmen sich Persönlichkeiten aus Kultur, Medien und Wissenschaft dem Thema Vertrauen aus verschiedensten Blickwinkeln

noe.ORF.at: Es ist ja oft die Rede vom Vertrauensverlust in die Politik, der auch zunimmt, wie man in Umfragen sieht. Politikerinnen und Politiker versprechen oder sagen Dinge, die sie nicht so einhalten. Wenn wir den niederösterreichischen Wahlkampf hernehmen: Da sind erbitterte Gegner in einer Zusammenarbeit zusammengekommen. Führt so etwas nicht dazu, dass Menschen Vertrauen verlieren?

Pröll: Ja, überhaupt keine Frage. Das Vertrauen von den Menschen zur Politik lebt von der Glaubwürdigkeit. Da gibt es einen einfachen Spruch, den ich mir immer vor Augen gehalten habe: „Sag, was du denkst und tu, was du sagst.“ Wenn man sich daran hält, dann kann eigentlich nicht viel schiefgehen. Das Fürchterlichste in einer Demokratie im Verhältnis zwischen Politiker und Bevölkerung besteht darin, dass Dinge gesagt werden, die dann nicht mehr gehalten werden. Und das ist natürlich eine Herausforderung für die Politik im Allgemeinen.

noe.ORF.at: Oft wird dann gesagt, es muss eben auch ein Kompromiss her. Wie kann man den Menschen vermitteln, dass Kompromisse geschlossen werden müssen, ohne dass die Menschen dann das Vertrauen verlieren?

Pröll: Kompromissfähigkeit ist etwas ganz, ganz Wichtiges in einem staatlichen Gefüge. Es ist auch eines der schwierigsten Dinge, das muss ich schon sagen. Und zwar deswegen, weil der Kompromiss zwar ein Ergebnis zustande bringt, aber am Weg zum Kompromiss muss jeder Gesprächspartner ein wenig Wasser in den Wein gießen. Dann muss man auch die Kraft und die Überzeugung haben, dass das, was der Kompromiss letztendlich bringt, den Menschen glaubwürdig kommuniziert wird. Wenn das zusammenstimmt, dann ist der Kompromiss in Wahrheit das Wichtigste am Weg in einer Demokratie.