Kinderarmut Kinder und Jugendliche
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Soziales

Kinderarmut wird der Kampf angesagt

Jedes fünfte Kind, Jugendlicher oder junger Erwachsener ist in Niederösterreich von Armut oder Ausgrenzung bedroht, das sind 68.000 Menschen. Die Folgen wollen Hilfsorganisationen abfedern, etwa durch Gratis-Nachhilfe oder kostenlose Freizeitkurse.

Jedes vierte Schulkind benötigte im Vorjahr Nachhilfe. Doch vor allem Wenig- oder Einzelverdiener konnten sich die Kosten dafür nicht leisten. „Bildung stärkt den einzelnen Menschen und die Gesellschaft“, so Hannes Buxbaum, Landesdirektor für Gesundheits- und Soziale Dienste beim Roten Kreuz Niederösterreich. „Leider haben selbst in Österreich nicht alle Kinder die gleichen Chancen, denn Kinder aus bildungsferneren Familien mit niedrigem Einkommen sind unter den leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern überproportional vertreten.“

Rotes Kreuz bietet Hilfe in Lernhäusern und Lerntreffs

Das Rote Kreuz Niederösterreich setzt hier mit seinen Lernförderprogrammen an. „Wir haben bereits ein breites Angebot sowohl niederschwelliger Lese- und Lernunterstützung als auch regelmäßiger Hilfe im Rahmen unserer Lernhäuser und Lerntreffs“, erklärt Buxbaum. „Jungen Menschen Begleitung im schulischen Lernprozess bieten zu können, ist etwas ganz Besonderes – hier entscheiden sich vielfach die Zukunft, die Möglichkeiten, die diesen Kindern künftig offenstehen.“

Von 2013 bis 2022 wurden 10.100 Kinder durch ein kostenloses Lernförderangebot des Roten Kreuzes unterstützt. Zu Schulbeginn startete das Rote Kreuz Niederösterreich zudem die Initiative eines Netzwerkes für LernLesepatinnen und -paten, wo vor allem Informationen sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden.

Jungschar: „Gemeinschaft ohne Leistungsdruck“

Ein kostenloses Freizeitangebot für junge Menschen ermöglicht die Katholische Jungschar. „In den Gruppenstunden, in den Pfarren und bei Sommerlagern können Kinder ohne Leistungsdruck Gemeinschaft und Zusammenhalt erleben. Eltern nehmen diese Angebote wahr in der Sicherheit, dass ihre Kinder ungeachtet der finanziellen Mittel in der Gruppe willkommen sind. Dies stellt eine Entlastung für die gesamte Familie dar“, sagt Michelle Hauer, Vorsitzende der Katholischen Jungschar der Erzdiözese Wien.

Pressekonferenz gegen Kinderarmut mit Michelle Hauer, hannes Buxbaum und barbara Bühler (v.l.)
RK NÖ/H. Kellner
Aktiv tätig gegen Kinderarmut (v.r.): Barbara Bühler (Armutsnetzwerk), Hannes Buxbaum (Rotes Kreuz) und Michelle Hauer (Katholische Jungschar)

Kinder, die in armutsgefährdeten Haushalten aufwachsen, hätten ungünstigere Entwicklungsbedingungen, so Hauer. Diese können zu Belastungen und Beeinträchtigungen des emotionalen, sozialen, psychischen und physischen Wohlbefindens führen. Die Katholische Jungschar fordert daher die Aufstockung der kostenlosen Therapieplätze für Kinder und Jugendliche.

„Armut bedeutet das Erleben von Scham“

„Die nackten Zahlen hinsichtlich jener Menschen, die in Niederösterreich auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind, verdeutlichen das Ausmaß, in dem Kinder- und Jugendliche betroffen sind ganz besonders drastisch“, sagt Barbara Bühler, Obfrau des Niederösterreichischen Armutsnetzwerks. Diese Plattform ist ein unabhängiger, überparteilicher und überkonfessioneller Zusammenschluss von 32 Organisationen – auch die Katholische Jungschar und das Rote Kreuz sind Mitglieder – und 42 Personen und als regionales Netzwerk Teil der Österreichischen Armutskonferenz.

Deutlich mehr als ein Drittel (35,2 Prozent) aller Menschen, die in Niederösterreich auf Leistungen der Sozialhilfe, also dem letzten sozialen Netz, in Niederösterreich angewiesen sind, sind jünger als 18 Jahre. Barbara Bühler: „Ein bekanntes Goethe-Zitat besagt, dass Kinder von ihren Eltern Wurzeln und Flügel bekommen sollten: Armut jedoch stutzt die Flügel, denn es bedeutet das Erleben von Scham und Entbehrungen in einer Lebensphase, die prägend für das ganze weitere Leben ist.“

Ergebnisse der Erhebung „So geht’s uns heute“ der Statistik Austria zeigen laut Bühler, was für viele Menschen schon lange spürbar sei: Die Teuerung ist für viele Menschen finanziell belastend. Besonders Haushalte mit mehreren Kindern (31 Prozent im vierten Quartal des Jahres 2022) gaben an, mit „dem verfügbaren Einkommen nur mit (großen) Schwierigkeiten die Lebenshaltungskosten decken zu können“. Die hohen Preise „betreffen alle, Menschen mit wenig Einkommen treffen sie aber ganz besonders“, so das Armutsnetzwerk.

Armutsnetzwerk: Vorschläge für „soziale Sicherheit“

Die Plattform hat drei Vorschläge für die Gestaltung von Richtsätzen und Beihilfen, „die tatsächlich soziale Sicherheit geben“:

  • Reform der Sozialhilfe (Wiedereinführung von Mindestsätzen, Berücksichtigung der faktischen Kosten für Wohnen- und Leben).
  • Verlässliche und stabile Unterstützungsleistungen in den Bereichen Wohnen und Energie: denn ein sicheres, warmes Zuhause ist die Basis für einen guten Start.
  • Einführung einer Kindergrundsicherung als eigene Form der sozialen Sicherheit für Kinder und Jugendliche.

Kinder- und Jugendliche seien derzeit mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert, die Pandemie wirkte als „Brennglas für strukturelle Mängel“. Es brauche eine gute soziale Infrastruktur, konkret:

  • Flächendeckende Angebote niederschwelliger Beratung und (Psycho)Therapie für Kinder- und Jugendliche sowie deren Familien.
  • Teilhabe sichern durch kostenlose, hochwertige Freizeitangebote.