Schon vor zwölf Jahren – also noch zu Lebzeiten Aichingers – wurde im Wiener Theater Akzent das Stück „Verschüttet oder Wer ist Ellen?“ als schulübergreifendes Jugendtheaterprojekt aufgeführt. Im Jahr 2016 hat Anne Bennent im Auftrag des ORF eine Hörspielfassung erarbeitet. Die nun zur Uraufführung gelangte Bühnenfassung des Nachkriegsklassikers wurde von Sara Ostertag und Julia Engelmayer erstellt – mehr dazu in Ilse-Achinger-Roman erstmals auf der Bühne (noe.ORF.at; 30.11.2023).
Ostertags Zugang zeichnet sich durch die der Regisseurin eigene Bildhaftigkeit und nicht zuletzt die musikalische Live-Gestaltung durch Mira Lu Kovacs aus. Gesangslinien über auf Gitarrensaiten gestrichenen Bordun-Tönen, chorische Passagen in wohlklingender Mehrstimmigkeit und choreografierte Szenen erwecken stellenweise beinahe den Eindruck eines Singspiels. Besonders schön kommt etwa die zentrale Stelle „Angst vor der Angst – das hebt sich auf“ zur Geltung.
Erwachsene spielen Kinder
Weitere wesentliche Elemente der Ostertag’schen Inszenierung bilden Verfremdung und Ironie. Wenn erwachsene Schauspieler Kinder darstellen, erzeugt das eine gewisse Komik. Umso mehr, wenn Michael Scherff, Doyen des Ensembles, den Youngster mit umgehängtem Teddybären verkörpert, aber auch fünf weitere Rollen übernimmt.
Die Protagonistin Ellen, die als Halbjüdin miterlebt, wie ihre Spielgefährten nach und nach abgeholt werden, wird auf vier Darstellerinnen gesplittet (Laura Lauffenberg, Caroline Baas, Julia Kreusch, Bettina Kerl), die ihrerseits unterschiedliche weitere Rollen tragen. Die Herren Tobias Artner und Lennart Preining sind in jeweils vier Rollen zu sehen. Das klingt zwar verwirrend, ist es jedoch erstaunlicherweise nicht.
Roman auf der Bühne
Bevor Ellen von einer explodierenden Granate in Stücke gerissen wird, betritt Kovacs als schwarzgefiederter Todesengel die Bühne. Da wird geradezu barock dick aufgetragen. Aber das passt schon. Und natürlich stellt sich einmal mehr die grundsätzliche Frage, warum schon wieder ein Roman dramatisiert werden muss, bzw. ob es keine aufführenswerten Stücke von Theaterautoren mehr gibt.
Wenn man es macht, sollte man es aber können. Ostertag kann es. Detail am Rande: Die große Schiffschaukel, die im Bühnenbild Verwendung findet, stammt tatsächlich aus dem Jahr 1948 – als der Roman „Die größere Hoffnung“ erschienen ist. Man sollte ihn wohl (wieder) lesen.