Die größere Hoffnung im Landestheater Niederösterreich mit Michael Scherff, Laura Laufenberg, Mira Lu Kovacs, Julia Kreusch, Lennart Preining, Bettina Kerl
Luiza Puiu
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Kultur

Aichinger auf der Bühne: gewagt, aber gelungen

Viel Premierenbeifall gab es am Freitagabend für die Uraufführung von „Die größere Hoffnung“ am Landestheater St. Pölten. Das Stück, das auf dem gleichnamigen Roman von Ilse Aichinger (1921-2016) basiert, wurde ein gelungenes Wagnis, urteilt APA-Kritiker Ewald Baringer.

Schon vor zwölf Jahren – also noch zu Lebzeiten Aichingers – wurde im Wiener Theater Akzent das Stück „Verschüttet oder Wer ist Ellen?“ als schulübergreifendes Jugendtheaterprojekt aufgeführt. Im Jahr 2016 hat Anne Bennent im Auftrag des ORF eine Hörspielfassung erarbeitet. Die nun zur Uraufführung gelangte Bühnenfassung des Nachkriegsklassikers wurde von Sara Ostertag und Julia Engelmayer erstellt – mehr dazu in Ilse-Achinger-Roman erstmals auf der Bühne (noe.ORF.at; 30.11.2023).

Ostertags Zugang zeichnet sich durch die der Regisseurin eigene Bildhaftigkeit und nicht zuletzt die musikalische Live-Gestaltung durch Mira Lu Kovacs aus. Gesangslinien über auf Gitarrensaiten gestrichenen Bordun-Tönen, chorische Passagen in wohlklingender Mehrstimmigkeit und choreografierte Szenen erwecken stellenweise beinahe den Eindruck eines Singspiels. Besonders schön kommt etwa die zentrale Stelle „Angst vor der Angst – das hebt sich auf“ zur Geltung.

Erwachsene spielen Kinder

Weitere wesentliche Elemente der Ostertag’schen Inszenierung bilden Verfremdung und Ironie. Wenn erwachsene Schauspieler Kinder darstellen, erzeugt das eine gewisse Komik. Umso mehr, wenn Michael Scherff, Doyen des Ensembles, den Youngster mit umgehängtem Teddybären verkörpert, aber auch fünf weitere Rollen übernimmt.

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Die größere Hoffnung im Landestheater Niederösterreich mit Laufenberg, Preining, Kreusch, Kerl, Baas, Artner
Luiza Puiu
Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung“ wird oft als „Jahrhundertwerk“ bezeichnet
Die größere Hoffnung im Landestheater Niederösterreich mit Laura Laufenberg, Lennart Preining, Julia Kreusch, Karoline Baas
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„Die größere Hoffnung“ ist die dritte Inszenierung Sara Ostertags in St. Pölten
Die größere Hoffnung im Landestheater Niederösterreich mit Michael Scherff, Bettina Kerl, Julia Kreusch
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Auf der Bühne: Michael Scherff, Bettina Kerl und Julia Kreusch
Die größere Hoffnung im Landestheater Niederösterreich mit Michael Scherff, Laura Laufenberg, Mira Lu Kovacs, Julia Kreusch, Lennart Preining, Bettina Kerl
Luiza Puiu
Die Musik zu „Die größere Hoffnung“ stammt von Mira Lu Kovacs
Die größere Hoffnung im Landestheater Niederösterreich mit Tobias Artner, Julia Kreusch, Karoline Baas, Laura Laufenberg, Bettina Kerl, Lennart Preining
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Hans Weigel schrieb über den Roman, dass damit die Wiedergeburt der österreichischen Literatur gefeiert wurde

Die Protagonistin Ellen, die als Halbjüdin miterlebt, wie ihre Spielgefährten nach und nach abgeholt werden, wird auf vier Darstellerinnen gesplittet (Laura Lauffenberg, Caroline Baas, Julia Kreusch, Bettina Kerl), die ihrerseits unterschiedliche weitere Rollen tragen. Die Herren Tobias Artner und Lennart Preining sind in jeweils vier Rollen zu sehen. Das klingt zwar verwirrend, ist es jedoch erstaunlicherweise nicht.

Roman auf der Bühne

Bevor Ellen von einer explodierenden Granate in Stücke gerissen wird, betritt Kovacs als schwarzgefiederter Todesengel die Bühne. Da wird geradezu barock dick aufgetragen. Aber das passt schon. Und natürlich stellt sich einmal mehr die grundsätzliche Frage, warum schon wieder ein Roman dramatisiert werden muss, bzw. ob es keine aufführenswerten Stücke von Theaterautoren mehr gibt.

Wenn man es macht, sollte man es aber können. Ostertag kann es. Detail am Rande: Die große Schiffschaukel, die im Bühnenbild Verwendung findet, stammt tatsächlich aus dem Jahr 1948 – als der Roman „Die größere Hoffnung“ erschienen ist. Man sollte ihn wohl (wieder) lesen.