Forscherin bei der Arbeit
Marjolein. D.Bosch/TechnoBeads-project
Marjolein. D.Bosch/TechnoBeads-project
WISSENSCHAFT

Steinzeit-Schmuck zeigt neun Kulturkreise

Anhand von Schmuckfunden aus der Steinzeit – unter anderem aus dem Raum Krems – haben Forscher analysiert, wie viele kulturell einander nahestehende Gruppen Europa einst bewohnt hatten. Sie identifizierten neun Kulturkreise aus der sogenannten Gravettienzeit.

Die Berechnungen stützen sich auf zahlreiche Objekte, die Menschen vor 34.000 bis 24.000 Jahren als Schmuckstücke trugen. Für ihre Studie im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ trugen die Forscher um Erstautor Jack Baker von der Universität Bordeaux (Frankreich) Informationen über insgesamt 134 Schmuckstücke zusammen, die an 112 Fundorten, die in dieser altsteinzeitlichen Epoche besiedelt waren, ausgegraben wurden. An 17 dieser Stätten wurden auch Gräber mit Überresten von 32 Individuen gefunden.

So auch am Wachtberg in Krems, wo österreichische Wissenschafter im Jahr 2005 unter mächtigen Löss-Schichten eine weltweit einzigartige Grabstätte fanden: Eine rund 31.000 Jahre alte Doppelbestattung zweier Säuglinge unter einem Mammut-Schulterblatt – mehr dazu in Älteste Zwillingsbestattung der Welt in Krems (noe.ORF.at; 6.1.2020). In der Gravettienzeit entstand auch die „Venus von Willendorf“, die Steinzeitjäger und -Sammler dort vor rund 30.000 Jahren zurückließen. Auch auf diesen Fundort in der heutigen Wachau nimmt die Studie Bezug. Die heutige Wachau lag demnach damals schon im Spannungsfeld zwischen Zentral- und Osteuropas Kulturräumen.

Forscherin: Schmuckstücke einst an Kleidung angebracht

Die Archäologin Marjolein Dorothea Bosch von der Österreichischen Akademie der Wissenschaft untersuchte beispielsweise organische Objekte am Kranawetberg in Grub aus dem prähistorischen Bereich. Im Gespräch mit noe.ORF.at betont sie, wie wichtig die Grabungen und Funde für die Forschung seien.

Anhand der gefundenen Schmuckstücke aus der Steinzeit könne man nun weitere Analysen machen. „Wir haben jetzt einen besseren Überblick, was in Europa stattgefunden hat. Die Schmuckstücke aus Niederösterreich, die wir in Grub-Kranawetberg gefunden haben, haben wir mit der Gebrauchsspurenanalyse angesehen. Wir haben gesehen, wie die Schmuckstücke gemacht und genutzt wurden und herausgefunden, dass diese nicht als Ketten oder Armbänder genutzt, sondern an der Kleidung angebracht wurden“, so Bosch.

Schmuckstücke als Erkennungsmerkmal für Zugehörigkeit

Für die Forscher eignen sich Schmuck-Gegenstände auch gut zur Analyse von kulturellen Bezügen der einstigen Gruppen zueinander – vor allem, da Analysen von DNA aus dieser Zeit rar sind. Der Wachtberg-Fund ist eine Ausnahme: So konnte anhand des Erbguts der vermeintlichen „Zwillinge“ etwa geklärt werden, dass es sich tatsächlich um männliche eineiige Zwillinge handelte. Baker und Kollegen bezogen auch Erbgut-Daten in ihre Studie mit ein, sehen aber in Schmuckstücken besonders lohnende Hinweise auf kulturelle Zugehörigkeit, da diese – anders als manche Grabbeigabe – vermutlich täglich getragen wurden.

Da in der Gravettienzeit die Praxis des Herstellens vielfältiger solcher Objekte aus Muschelschalen, allerlei Tierknochen, Zähnen, Geweihen, Bernstein oder anderen festen Materialien offenbar einen starken Aufschwung erlebte, könnten diese Dinge und ihre Beschaffenheit auch als eine Art Erkennungsmerkmal für die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen gedient haben, schreiben die Wissenschafter in ihrer Arbeit.

Die statistischen Analysen legen nun nahe, dass es über diesen langen Zeitraum hinweg neun Kulturkreise gegeben haben könnte. Sechs davon identifizierten sie auf Basis der Funde in einstigen Siedlungen, drei davon auf Basis der Grabstätten. Zwischen den „Clustern“ gibt es teilweise Überschneidungen.

Mehr kulturell verbundene Gruppen als vermutet

Demnach liegen die Funde aus dem heutigen Niederösterreich, die auch die früheren Siedlungen und nunmehrigen Grabungsstätten Grub/Kranawetberg und Ollersdorf/Heidenberg umfassen, wie etwa auch jene im Nahe der österreichischen Grenze gelegenen Dolní Vestonice (Tschechien) im zentraleuropäischen Kulturkreis, der sich vom heutigen Süddeutschland über weite Teile des Alpen- und Karpatenbogens erstreckt. Geht man aber von den genetischen Daten und den Informationen, die die Grabstätten in Niederösterreich und Tschechien beinhalten aus, seien diese eher in Richtung osteuropäischer Cluster zuzuordnen.

Laut den Autoren zeigt die neue Analyse, dass die vermuteten Zugehörigkeiten zu den verschiedenen Kulturkreisen nicht nur von geografischen Naheverhältnissen bestimmt wurden. Zudem finden sich Hinweise auf Kulturkreise, etwa im Osten Europas oder auf der Iberischen Halbinsel, die zuvor nicht im Blick der Wissenschaft waren, und zu denen es noch keine genetischen Daten gibt. Insgesamt scheint es in der Gravettienzeit bereits eine breitere Palette an kulturell verbundenen Gruppen in Europa gegeben zu haben als bisher vermutet, heißt es.