Struktur des Pockenvirus-Kernproteins A10. Die drei Untereinheiten des Trimer (unterschiedlich gefärbt) als simulierte Kryo-EM-Oberflächen vor einer rohen Kryo-EM-Aufnahme dargestellt. Die Kryo-EM-Oberfläche ist mit jeder Untereinheit sichtbarer
Jesse Hansen
Jesse Hansen
Wissenschaft

Forscher lüften Geheimnis um Pockenviren

Ein Forschungsteam des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) Klosterneuburg (Bezirk Tulln) hat die Geheimnisse um die Kernarchitektur von Pockenviren gelüftet. Die Ergebnisse könnten der Grundstein für die Erforschung neuer Medikamente sein.

Der Ausbruch von Affenpockenviren vor ca. zwei Jahren brachte Pockenviren wieder mehr Aufmerksamkeit. Besonders über den Kern von Pockenviren war bisher wenig bekannt. Neue Erkenntnisse veröffentlichten Forscherinnen und Forscher des ISTA Klosterneuburg kürzlich im Journal „Nature Structural & Molecular Biology“.

„Wir wissen, dass Pockenviren nur dann infektiös sein können, wenn ihr viraler Kern vollständig geformt ist. Aber woraus besteht dieser ‚Pockenviruskern‘, der gemeinsame Kern der klinisch relevanten Pockenviren, und wie setzen sich seine einzelnen Komponenten zusammen und wie funktionieren sie?“, beschreibt Florian Schur, Assistenzprofessor am ISTA und leitender Autor der Studie, das Problem.

Protein A10 als zentraler in der Kernarchitektur

Schur und sein Team fanden nun das fehlende Bindeglied: ein Protein namens A10. Alle klinisch relevanten Pockenviren verfügen über dieses Protein. Darüber hinaus fand das ISTA-Team heraus, dass A10 als einer der Hauptbausteine des Pockenviruskerns fungiert. Es ist eines der zentralen Strukturelemente. Dieses Wissen könnte die künftige Erforschung von Medikamenten ermöglichen, die auf die Kerne von Pockenviren abzielen.

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Kryo-Elektronentomogramm eines ganzen Vacciniavirus. Oberansicht des Virus und des Kerns. Die innere Kernwand ist rosa gefärbt und die virale DNA grün.
Julia Datler
Kryo-Elektronentomogramm eines Vacciniavirus: Oberansicht des Virus und des Kerns. Die innere Kernwand ist rosa gefärbt und die virale DNA grün.
Struktur des Pockenvirus-Kernproteins A10. Die drei Untereinheiten des Trimer (unterschiedlich gefärbt) als simulierte Kryo-EM-Oberflächen vor einer rohen Kryo-EM-Aufnahme dargestellt. Die Kryo-EM-Oberfläche ist mit jeder Untereinheit sichtbarer
Jesse Hansen
Struktur des Pockenvirus-Kernproteins A10. Die drei Untereinheiten (unterschiedlich gefärbt) als simulierte Kryo-EM-Oberflächen vor einer rohen Kryo-EM-Aufnahme dargestellt. Die Kryo-EM-Oberfläche ist mit jeder Untereinheit sichtbarer.

„Frühere Experimente in der Virologie, Biochemie und Genetik legten mehrere mögliche Pockenviruskernproteine nahe, aber es waren keine experimentell abgeleiteten Strukturen verfügbar“, sagt Julia Datler, PhD-Studentin am ISTA und eine der Autorinnen der Studie. Das Team modellierte deswegen die Strukturen der wichtigsten Kernproteinkandidaten am Computer. Dafür wurde auch künstliche Intelligenz verwendet.

Kryogene Elektronenmikroskopie

Es handelt sich um ein Bildgebungsverfahren, das Elektronen als Beleuchtungsquelle sowie sehr niedrige Temperaturen bis unter minus 180 Grad Celsius nutzt. Diese niedrige Temperatur macht biologische Proben und Moleküle unbeweglich, während ihre Strukturen intakt bleiben.

„CT-Bilder“ eines Virus

Parallel dazu wurde auch mit kryogener Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) gearbeitet. „Wir haben viele der fortschrittlichsten verfügbaren Kryo-EM-Techniken mit der strukturellen Modellierung kombiniert. Dadurch erhielten wir zum ersten Mal einen detaillierten Überblick über den Pockenviruskern – den ‚Bioreaktor‘ im Inneren des Virus, der das virale Genom umschließt und es in infizierten Zellen freisetzt“, sagt Schur. Aus allen Blickwinkeln habe man die Viruskerne mit der Methode der Kryo-EM analysieren können. Aufnahmen des gesamten Virus, seines Kerns und des Inneren sind damit im Nanometerbereich möglich.

Der Weg zu diesen Erkenntnissen war kein leichtes Unterfangen. „Wir mussten von Anfang an unseren eigenen Weg finden“, sagt Datler. Sie isolierte, vermehrte und reinigte Proben des Vacciniavirus (gehört zu den Pockenviren), erstellte die Protokolle zur Aufreinigung des gesamten Viruskerns, während sie gleichzeitig diese Proben für strukturelle Untersuchungen optimierte. „Strukturell war es extrem schwierig, diese Viruskerne zu untersuchen. Aber zum Glück haben sich unsere Beharrlichkeit und unser Optimismus ausgezahlt“, sagt Jesse Hansen, Postdoktorand und Koautor der Studie.

Wie können diese Informationen nun verwendet werden? Möglich seien u. a. Medikamente, die den Pockenviruskern daran hindern, sich zusammenzusetzen, oder sogar dazu bringen, sich zu zerlegen und die virale DNA während der Infektion nicht freizusetzen. „Letztlich erlaubt uns die hier betriebene grundlegende Virusforschung, besser auf mögliche zukünftige Virusausbrüche vorbereitet zu sein“, so Florian Schur.

ISTA Assistant Professor Florian Schur and co-first authors Julia Datler and Jesse Hansen
ISTA
Florian Schur, Julia Datler und Jesse Hansen (v. l.)

Das Pockenvirus

Das Variolavirus, der Verursacher von Pocken und eines der tödlichsten Viren, die den Menschen befallen haben, hat bis zu seiner Ausrottung 1980 verheerende Schäden angerichtet. Die Überwindung gelang dank einer umfassenden Impfkampagne mit dem Vacciniavirus, einem anderen Angehörigen der Pockenvirenfamilie. Das Wiederauftauchen und der Ausbruch des Affenpockenvirus 2022/2023 zeigte wieder einmal, dass Viren immer wieder eine Bedrohung für die Gesundheit sein können. Am ISTA wird für die Forschung mit ungefährlichen Vacciniaviren gearbeitet.