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„Menschen im Blickpunkt“

Mit Prothese auf der Überholspur

Der Weg in den Sport nach einem Unfall ist nicht einfach, aber Gerhard Jörg hat ihn geschafft – und gleich mehrmals: Als Jugendlicher verlor er ein Bein und wurde Weitspringer, Kugelstoßer, Fünfkämpfer und zuletzt Rennfahrer auf Weltspitzenniveau.

In wenigen Tagen feiert Gerhard Jörg seinen 70. Geburtstag. In seiner Werkstatt in Scharndorf (Bezirk Bruck an der Leitha) drängen sich Rennautos und Sportwägen. Schon als Kind träumte Jörg davon, Rennfahrer zu werden: „Mein Vater war Reifen-Probefahrer für Semperit, ich habe schon als kleiner Bub die Faszination für den Rennsport gehabt und als Sechsjähriger die Zeitschriften über die Formel 1 gelesen.“

Allerdings war das Schicksal vorerst dagegen: Als 15-Jähriger trennt eine Baggerschaufel Jörg den linken Unterschenkel ab, nur zwei Jahre später wird ihm bei einem Mopedunfall auch noch das Knie zertrümmert. Gerhard Jörg reagiert auf den Schicksalsschlag mit Sport. Er trainiert sich als Versehrtensportler bei den Paralympics 1980 and die Spitze, wird Olympiasieger im Standweitsprung und holt Silber im Fünfkampf.

Gerhard Jörg
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Fünf Weltrekorde im Kugelstoßen gehen in den 1980er Jahren auf das Konto von Gerhard Jörg

Bis 1989 stellt er fünfmal Weltrekorde im Kugelstoßen und viermal im Standweitsprung auf, der letzte Weltrekord im Kugelstoßen hielt zehn Jahre. Doch die intensive Sportkarriere hat Folgen: „Ein Titangelenk in der Schulter ist ein ‚Andenken‘ an die Zeit des Kugelstoßens“, erzählt Jörg.

Rennfahren als Kampf gegen das Trauma

Was ihn aber nicht daran hindert, noch heute in seinem privaten Fitnessstudio zu Hause täglich zu trainieren. Denn aufgegeben hat er den Sport nicht, stattdessen ist eine weitere Disziplin dazugekommen: Motorsport. Als Besitzer einer Autowerkstatt ließ sich die Basis für den Rennsport leicht schaffen. Der Sport auch eine Art Therapie: „Vom Unfall hast du ein Trauma im Kopf. Das Rennfahren fördert die Überwindung der Angst, du musst dich überwinden, ans Limit gehen. Natürlich schüttest du Adrenalin aus, das ist dann schon fast im Suchtbereich.“

Mit Prothese auf der Kupplung – für andere unvorstellbar, für Jörg selbstverständlich: „Ich habe mir das so angelernt, ich fahre auch Rad mit der Prothese, warum soll ich nicht Auto fahren können? Und für die Rennen trainiere ich. Das Kupplungspedal kann ich perfekt bedienen.“

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Der Reiz der Geschwindigkeit – eine Art Therapie für Jörg

„Ich habe viel Glück gehabt im Leben“

Von Daytona über Dubai, von Spa bis nach Monza: Lange Zeit war Jörg auf den wichtigen Strecken der Welt unterwegs. „Es gibt wenige große Rennstrecken, auf denen ich nicht gefahren bin.“ Heute bäckt er die Brötchen etwas kleiner, Jörg fährt im sogenannten „Histo Cup“ für vor 1982 gebaute Rennautos und auf großen Rundkursen in und rund um Österreich.

„Der Körper sagt zwar ab und zu, es wäre Zeit aufzuhören, aber so lange die Rundenzeiten noch passen und ich vorne mitfahren kann, mach ich weiter.“ Das Resümee seines Lebens klingt heute durchwegs positiv: „Ich dachte immer, ich bin ein Pechvogel mit den beiden unverschuldeten Unfällen. Aber wenn ich es mir genau überlege, hatte ich sehr viel Glück im Leben.“ Quasi für sein Lebenswerk erhielt Jörg zuletzt von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) den „Back to Life Award“, der sein außergewöhnliches Sportlerleben würdigt.