ESA Chef Josef Aschbacher
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ESA-Chef: Konflikt im All würde allen schaden

Mit dem „Phi Lab“ betreibt die Europäische Weltraumorganisation (ESA) erstmals ein Forschungszentrum in Österreich. Die ESA erhofft sich davon Innovationen, denn durch den Krieg in der Ukraine steige auch das Konfliktpotential im All, sagt ESA-Chef Josef Aschbacher.

Im neuen Forschungs- und Entwicklungszentrum „Phi Lab“ der ESA am Flughafen Schwechat sollen heimische und internationale Start-ups aus der Weltraumbranche gezielt gefördert werden. Vergangene Woche wurde die Einrichtung offiziell eröffnet. Die ESA plant insgesamt zwölf ESA-„Phi Labs“ in den EU-Mitgliedsstaaten zu eröffnen, jenes in Schwechat ist das erste. Die „Phi Labs“ sollen eine bessere Zusammenarbeit der ESA mit Start-Ups der Weltraumbranche ermöglichen.

Im Gespräch mit noe.ORF.at erklärte ESA-Chef Josef Aschbacher, warum ein unabhängiger Zugang zum Weltall für Europa von großer Wichtigkeit ist. Ebenso äußerte er sich zu Bedenken eines möglichen Kalten Kriegs im Rennen um die Vorherrschaft im Weltall und warum der Weltraum im Interesse aller ist.

noe.ORF.at: Herr Aschbacher, es gibt in Europa viele exzellente Forschungsstandorte für Weltraumtechnologien. Warum genau Schwechat?

Josef Aschbacher: Schwechat, oder Österreich, hat als erstes Land dieses Phi-Lab eröffnet. Das Phi-Lab ist eine ganz eigene Konstruktion, wo wir Innovation vorantreiben und zusammenbringen. Niederösterreichische Technologieunternehmen sind sehr gut und sind sehr bekannt, wirklich exzellente Innovation zu bringen, nicht nur im Weltraumbereich, sondern auch in verschiedenen anderen Bereichen, die dazu beitragen – im Kommunikationsbereich, im Landwirtschaftsbereich, aber auch in der Materialforschung. Die Fachhochschule in Wiener Neustadt und einige Industrien, die hier angesiedelt sind, sind natürlich exzellent. Und das zu kombinieren ist genau die Idee des Phi Labs, dass wir hier verschiedene Expertisen zusammenbringen und hier ganz neue Produkte, ganz neue Ideen entwickeln. Und da ist Niederösterreich ein ausgezeichneter Platz.

noe.ORF.at: Sie haben einmal kritisiert, in Europa gebe es viele kluge Köpfe, aber zu wenig Kapital. Ist den europäischen Mitgliedstaaten die Weltraumforschung zu wenig wert?

Aschbacher: Das ist eine Kritik, die ich durchaus übe. Insofern, weil ich erkenne, wie wichtig der Weltraum für die Gesellschaft ist, nicht nur heute, sondern in der Zukunft. Bereits heute ist die Weltraumtechnologie in sehr vielen Sektoren eingegliedert. Man weiß das oft nicht, aber im Mobiltelefon gibt es Navigationsignale aus unseren Galileo-Satelliten – Telekommunikation natürlich. Aber auch die Erdbeobachtung wird mehr und mehr ein kommerzieller Sektor, der einfach ins tägliche Leben einfließt. Heute profitieren die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, das Gesundheitswesen, das Energie- und Transportwesen und viele andere Bereiche von Weltraumtechnologie. Und ich will natürlich, dass Europa hier vorne mit dabei bleibt und nicht aus dem Rennen fällt. Insofern ist es wichtig, auch hier von öffentlicher Seite zu investieren, damit private Firmen sich entwickeln können.

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Mit den ESA-Galileo und -Copernicus Satelliten werden geographische und meteorologische Ereignisse auf der Erdoberfläche präzise erfasst

noe.ORF.at: Schafft das nicht auch mitunter Abhängigkeiten von möglicherweise exzentrischen Unternehmern, wenn man Investitionen in den privaten Sektor auslagert?

Aschbacher: Das ist genau das, was ich natürlich ausgleichen will. Dass wir eben nicht abhängig sind von verschiedenen Investoren außerhalb Europas. Ich will, dass Europa die eigenständige Technologie hat, den Zugang zum Weltall durch unsere eigene Rakete – wir starten die Ariane sechs im Juni bzw. Juli, wir haben den Tag noch nicht festgelegt. Aber wir haben unseren eigenen Zugang zum Weltraum. Wir haben unsere eigene Autonomie und Technologie, natürlich oft in Kooperation mit anderen Partnern. Aber diese strategische Autonomie ist absolut wichtig, und die bauen wir auf.

noe.ORF.at: Europa besitzt ja derzeit keine eigene Trägerrakete, ist also de facto abgeschnitten vom Weltall. In Planung ist seit vielen Jahren die Trägerrakete Ariane 6. Zuletzt hat sich aber der Start immer wieder verschoben. Wie sind die konkreten Aussichten?

Aschbacher: Die konkreten Aussichten sind wirklich gut. Ich habe letztes Jahr, Anfang 2023, die Krise ausgerufen und gesagt: Europa befindet sich in der Krise bezüglich des Zugangs zum Weltraum, weil wir eben nicht mehr einen eigenen Zugang hatten. Ich habe wirklich 60 Prozent meiner Zeit dafür aufgewandt mit vielen Partnern im Haus, aber auch mit Industriepartnern und unseren Mitgliedsländern, um sicherzustellen, dass wir die technologischen Hürden meistern, aber auch den Zeitplan stabilisieren.

Das haben wir geschafft. Wir hatten letztes Jahr enorm wichtige Tests der Triebwerke, sowohl der ersten Stufe als auch der zweiten Stufe. Alles sehr erfolgreich und wir sind jetzt auf einem guten Pfad zum Erststart der Ariane 6. Ich habe den Zeitrahmen 15. Juni bis 31. Juli angegeben als Periode. Das war im November letzten Jahres und wir sind immer noch auf dem Pfad, um innerhalb dieser Periode zu starten.

noe.ORF.at: Sprechen wir noch über das Thema Sicherheit. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat auch die Politik im Weltall verändert. Die Zusammenarbeit mit Russland wurde beendet. Können Sie sich vorstellen, dass es einen zweiten Kalten Krieg im Weltall geben könnte?

Aschbacher: Ja, das ist natürlich eine Befürchtung, die wir haben. Es ist absolut bedenkenswert, was derzeit auf dem Erdboden passiert. Und insofern ist natürlich, was am Erdboden an Anspannung und an Krieg ausgetragen wird, auch eine Reflexion dessen, was im Weltraum passieren kann. Der Weltraum ist ein enorm wichtiger Raum, wo wir unsere Satelliten haben, die ständig um die Erde kreisen.

Das Gute ist, dass wir alle gemeinsam den Weltraum nutzen, unabhängig von politischer Gesinnung oder Nationalität. Wir alle müssen denselben Weltraum nützen. Alle Beteiligten haben eigentlich ein Interesse, den Weltraum zu erhalten, das heißt nicht durch Abschüsse von Satelliten zum Beispiel zu stören oder zerstören, weil wir alle Schaden tragen würden, sowohl der Osten als auch der Westen oder welche Länder auch immer.

Josef Aschbacher, Tobias Mayr
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ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher im Gespräch mit ORF-NÖ-Wissenschaftsredakteur Tobias Mayr

noe.ORF.at: USA, China und auch die ESA, alle wollen wieder zum Mond. Warum eigentlich?

Aschbacher: Der Mond ist wirklich ein sehr wichtiges Objekt der Forschung. Im Kalten Krieg damals war es ja wirklich ein Rennen. Wer sendet den ersten Menschen auf den Mond? Wie das Rennen ausgegangen ist, das wissen wir. Aber dieses Mal ist es anders, weil erstens gibt es mehr Beteiligte – China, Russland, Amerika, Europa, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Japan und viele andere Länder, engagieren sich. Zweitens wird der Mond dieses Mal ganz sicher verwendet werden, nicht nur, um dort eine Flagge aufzustellen, sondern wirklich um sich aktiv wirtschaftlich zu betätigen, Ressourcen abzubauen und Forschung zu betreiben.

Es gibt da sehr viel zu entdecken. Der Mond ist ja, wie wir annehmen, ein Teil unseres Planeten Erde, der aufgrund eines Asteroiden oder Kometeneinschlags ausgebrochen ist. Das heißt, wir haben ein Stück Erde auf dem Mond und wir wollen natürlich sehen, wie sich dieses Stück Erde – anders als hier auf der Erdoberfläche – entwickelt hat. Seltene Erden werden vermutet auf dem Mond, es gibt Eis auf dem Südpol des Mondes. Dieses Eis kann verwendet werden, um Treibstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zu kreieren, was natürlich für den Aufbau von Infrastruktur wichtig ist. Dann wird sich auf dem Mond sicher Infrastruktur entwickeln, von der man aus dann weiter Richtung Mars Erkundungen vorantreibt.