Kind mit Diabetes misst Blutzucker
Pexels/Pavel Danilyuk
Pexels/Pavel Danilyuk
Gesundheit

Diabetes bei Kindern: Dauerstress für die Psyche

Diabetes Typ 1 tritt meist bereits im Kindes- oder Jugendalter auf und ist für betroffene Familien eine dauerhafte Belastung. Das Kinder-Reha-Klinikum kokon in Bad Erlach (Bezirk Wr. Neustadt) hilft Betroffenen in Alltag und Umgang mit der Erkrankung.

Wenn die Jugendlichen des aktuellen Reha-Turnus des kokon in Bad Erlach in der Lehrküche zusammen das Mittagessen zubereiten, geht das nicht ohne Taschenrechner. Die Kohlenhydrate müssen möglichst genau bestimmt und der Blutzucker gemessen werden, um dann die richtige Dosis Insulin zuzuführen – entweder über eine Pumpe oder mit einem sogenannten Pen, mit dem Insulin injiziert wird. Denn bei Diabetes Typ 1 kann das lebenswichtige Hormon nicht selbst ausreichend produziert werden.

Das ist eine „Mordsaufgabe“, sagt Caroline Müllner, die die Jugendlichen als Pflegekraft und Diabetes-Beraterin betreut. „Sie müssen immer vorbereitet sein, sie können nie vogelfrei das Haus verlassen oder einfach Radfahren gehen, sondern es braucht immer Vorbereitung: Wie ist mein Blutzucker, was brauche ich, was tue ich?“

180 Entscheidungen am Tag

Das stellt eine enorme psychische Belastung dar, bestätigt Psychiaterin Dina Ghanim, die den Mental-Health-Bereich im kokon leitet: „Kinder und Jugendliche bzw. Personen, die von Diabetes Typ 1 betroffen sind, müssen laut einer Studie 180 Mal am Tag Entscheidungen treffen, die sich auf den Diabetes beziehen. Das heißt, es ist eine Erkrankung, die man kaum irgendwann mal außer Acht lassen kann. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.“

Jugendliche wiegen und berechnen Essen
ORF/Birgit Zrost
Gemeinsam bestimmen die Jugendlichen die Werte, damit anschließend die richtige Menge Insulin zugeführt werden kann

In der fünfwöchigen Reha werden die Kinder und Jugendlichen zu Experten und Expertinnen für ihre Erkrankung. Manche haben davor selbst nie Schulungen erhalten, schildert Diabetes-Beraterin Caroline Müllner, „weil sie beim Auftreten der Krankheit noch sehr klein waren und dann haben sie einfach alles von den Eltern übernommen.“

Einige Jugendliche sind nicht zum ersten Mal in Bad Erlach, wie etwa Janine aus Oberösterreich, die eine neue Insulinpumpe bekommen hat und hier den Umgang damit übt. Oder Nik, der bald 18 Jahre alt wird und das „langsam alleine schaffen“ will.

Mit Diabetes in Schule, Freizeit, Beziehung und Beruf

In der Reha nehme man auch Bezug auf Alltagssituationen, die je nach Alter unterschiedlich sind. Jutta Falger, Ärztliche Direktorin des kokon, nennt einige Beispiele: „Wie kann ich mit meinem Diabetes in der Schule gut umgehen? Wie kann ich trotz Diabetes an Freizeitaktivitäten teilnehmen? Wie kann ich am Abend weggehen, wie gehe ich auf einer Party mit meinem Diabetes um? Was bedeutet das für Beziehungen, für Sexualität?“ Auch Gedanken zur Berufswahl und dem Umgang mit künftigen Arbeitgebern sind Thema.

Diabetes Typ 1

Bei der Erkrankung produziert der Körper zu wenig oder gar kein Insulin, das benötigt wird, um Zucker aus der Nahrung richtig zu verwerten. Die Krankheit tritt meist schon in der Kindheit oder im Jugendalter auf. In Österreich sind rund 30.000 Menschen von Typ-1-Diabetes betroffen. Warum jemand Typ-1-Diabetes bekommt, ist nicht vollständig geklärt.

Quelle: gesundheit.gv.at

Das neue Wissen bringt Erfolgserlebnisse, der Austausch in der Gruppe das Gefühl, mit den eigenen Problemen nicht allein zu sein. Denn es sei nach wie vor schwer, die Krankheit zu akzeptieren, erzählt uns die 16-jährige Janine, „und hin und wieder vergesse ich auch darauf, dann erinnert mich die Mama.“

Von Verleugnung bis Überfürsorge

Die Familien werden in das Reha-Programm mit einbezogen, bei den jüngeren Teilnehmenden bleiben sie mit den kleinen Patientinnen und Patienten in Bad Erlach. Denn egal ob Kind, Elternteil oder Geschwisterkind – die Diagnose einer chronischen Erkrankung löst in allen heftige Gefühle aus, trotzdem muss der Alltag in der Familie irgendwie gestemmt werden.

„Es kann sein, dass die Eltern von Angst und Sorge geplagt sind oder, dass sie auch ganz unterschiedlich regieren“, erklärt Psychiaterin Dina Ghanim, „dass ein Elternteil mehr in der Verleugnung ist und das nicht wahrhaben will, sich nicht damit auseinandersetzen kann, weil es so bedrohlich ist. Der andere Elternteil kommt vielleicht mehr in eine Überfürsorglichkeit.“

Jugendliche wiegen und berechnen Essen
ORF/Birgit Zrost
Das Wissen durch die Schulungen und die Erfahrungen in der Gruppe sind (auch) für die psychische Gesundheit wichtig

Der Schwerpunkt liegt im kokon auf der mentalen Gesundheit. Denn das Risiko mit Diabetes später eine psychische Erkrankung zu entwickeln, ist laut Studien doppelt so hoch wie ohne. Das kann von Angsterkrankungen über Essstörungen bis hin zu ADHS reichen, erklärt Dina Ghanim. Die Erlebnisse in der Gruppe sowie die Betreuung durch ein multiprofessionelles Team seien hier eine wichtige Hilfe bzw. Prävention, so Ghanim.