Anna Kornfeld Jahrgang 1934 aus Hochwolkersdorf Zeitzeugin zu 75 Jahre Ende 2. Weltkrieg
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1945/2020

Anna Kornfeld: „Haben’s schießen g’hört“

Vor 75 Jahren ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Viele Menschen haben wie Anna Kornfeld, Jahrgang 1934, in Hochwolkersdorf (Bezirk Wr. Neustadt) die letzten Tage der NS-Herrschaft miterlebt: „Wir haben die Russen schießen gehört.“

Hochwolkersdorf, Ende März 1945: Sowjetische Truppen überschritten zunächst im Burgenland die frühere österreichische Grenze, wenig später drangen die Soldaten der Roten Armee in die Bucklige Welt vor. Anna Kornfeld war damals elf Jahre alt: „Vom Burgenland her haben wir die schweren Geschütze gehört. In der Nacht hat alles geleuchtet, es war ein Blitzen und ein Donnern, das waren die Geschosse. Es war so schirch. Und dann sehen wir am Karsamstag in der Früh, dass die Annakirche gebrannt hat. Die wurde von den Russen beschossen, weil‘s glaubt haben, weil die Kichhe auf einer Anhöhe steht, dass von dort ein Angriff kommt.“

„Wir haben nicht gewusst, wie es weitergeht“

Obwohl sich die Front bald in Richtung Westen verlagerte, kam es immer wieder zu Plünderungen. „Der Hammerwirt hat einen großen Weinkeller gehabt. Das muss den Russen jemand verraten haben. Sie haben das Schloss von der Kellertür aufgeschossen, dann haben sie auf die Weinfässer geschossen, und zum Schluss waren sie alle besoffen. Das muss man sagen, den kleinen Kindern, überhaupt Kindern, haben sie nichts getan. Nur Frauen und Mädchen waren in Gefahr.“

Anna Kornfeld Jahrgang 1934 aus Hochwolkersdorf Zeitzeugin zu 75 Jahre Ende 2. Weltkrieg
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Anna Kornfeld aus Hochwolkersdorf war zu Kriegsende elf Jahre alt

Bis Kriegsende waren auf dem Bauernhof in Hochwolkersdorf bis zu 100 Menschen untergebracht, teils Flüchtlinge aus dem Osten, aber auch Familien aus den Städten, die am Land Schutz suchten. Anna Kornfeld über das Kriegsende Anfang Mai: „Wir haben kein Radio gehabt und daher auch nichts gewusst, wie es weitergeht. Zu uns sind keine Russen gekommen, wir haben sie immer nur in Wiesmath und Hochwolkersdorf schießen gehört. Als dann die Hochwolkersdorfer wieder ins Dorf gekommen sind, haben’s zuerst einmal die Kirche reinigen müssen. Furchtbar! Aber als dann alles wieder schön war, hat es Anfang Mai die erste heilige Messe gegeben.“

Die Chronologie des Kampfes in der Buckligen Welt

Die Historikerin Elisabeth Vavra schreibt im MuseumsBLOG auf der Website des Museum Niederösterreich über Gründonnerstag, den 29. März 1945: „Gegen Abend drangen erste Aufklärungspanzer bis Lembach bei Kirchschlag in der Buckligen Welt vor. In der Nacht ratterten zwischen Köszeg und Oberpullendorf ununterbrochen sowjetische Panzer und Laster mit Nachschub Richtung Niederösterreich.

Karfreitag, 30. März 1945: Sowjetische Panzer- und Schützenverbände drangen weiter in das Oberpullendorfer Becken vor. Der Widerstand der zahlenmäßig weit unterlegenen Einheiten der Deutschen Wehrmacht hatte ihnen nur wenig entgegenzusetzen. […] Wiener Neustädter ‚Kriegsschüler‘ wurde zur Verteidigung der Linie Wiesmath – Zöbern – Krumbach – Ponholz eingesetzt. Sie sollten den Zugang nach Aspang Markt sowie nach Grimmenstein sperren. Abends setzte Gefechtstätigkeit ein. Bis zum Anbruch der Nacht war nahezu der gesamte Bezirk Oberpullendorf in sowjetischer Hand.

75 Jahre Ende 2. Weltkrieg
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Die Familie Kornfeld vor ihrem Bauernhof in Hochwolkersdorf

Karsamstag, 30. März 1945: Während der gesamten Nacht hatten die Kämpfe angedauert. Sowjetische Artillerie beschoss Wiesmath. Die Kriegsschüler, die die Gegend dort verteidigt hatten, mussten sich zurückziehen. Um 13 Uhr 15 erreichte ein sowjetischer Vorstoß Krumbach; dann zogen sie weiter die Bundesstraße 55 entlang; auf leichten Widerstand stießen sie nur in Thomasberg und Edlitz. Dann fiel Grimmenstein. Bis zum Abend war das Pittental von Scheiblingkirchen bis Grimmenstein in sowjetischer Hand.

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 4.5.2020

Ostersonntag, 1. April 1945: Das Pittental war nachts von Bränden taghell erleuchtet, aber es waren diesmal nicht die Freudenfeuer der Osternacht. Weitere sowjetische Panzerkolonnen drangen kampflos nach Aspang, Feistritz und Kirchberg am Wechsel vor. Mittags standen Panzer vor Gloggnitz; es kam zu Schießereien und Bränden. Aus einem Luftschutzbunker holten die Sowjets Dr. Karl Renner. Panzereinheiten fuhren weiter nach Süden Richtung Semmering und trafen dort auf Widerstand. Östlich des Rosaliengebirges stießen weitere sowjetische Panzereinheiten vor – ihr Ziel war das Wiener Becken, um von Süden Wien anzugreifen. Um 14 Uhr fiel Pöttelsdorf."

Zeitzeugin Anna Kornfeld aus Hochwolkersdorf im Jahr ?? 75 Jahre Ende 2. Weltkrieg
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Anna Kornfeld in den 1950er Jahren in Hochwolkersdorf

Der Programmschwerpunkt des ORF Niederösterreich

Eine Serie in „Niederösterreich heute“ geht bis 6. Mai auf die historischen Hintergründe ein und beleuchtet die Ereignisse vor 75 Jahren in Niederösterreich. Zeitzeugen erinnern sich an die entscheidenden Momente des Frühjahrs 1945. Johann Hagenhofer (Jahrgang 1941) und Anna Kornfeld (Jahrgang 1934), beide aus Hochwolkersdorf (Bezirk Wiener Neustadt), sowie Gerlinde Stecker (Jahrgang 1929) aus Neunkirchen schildern die Kämpfe der letzten Märztage 1945 sowie die Ereignisse bis zum Kriegsende am 8. Mai.

Auch auf Radio Niederösterreich berichten bis 6. Mai Zeitzeugen über ihre persönlichen Erlebnisse vor 75 Jahren, jeweils nach 12.00 Uhr im „Radio Niederösterreich Mittagsmagazin“. In noe.ORF.at gibt es bis 8. Mai ausführliche Beiträge über das Kriegsende in Niederösterreich, Zeitzeugenberichte und Rückblicke auf die historischen Hintergründe der damaligen Schicksalstage Anfang Mai 1945.