100 Jahre NÖ Energie Kraftwerke Newag EVN
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„100 Jahre Niederösterreich“

Neue Kraftwerke beenden kuriose Monopole

Anfang der 1920er-Jahre stieg der Energiebedarf durch die Modernisierung des Landes stark an. Das Land setzte auf den Bau neuer Kraftwerke und beschloss die Elektrifizierung der Gebiete. Damit wurden auch kuriose „Mini-Monopole“ beendet.

Die Elektrifizierung Niederösterreichs begann mit der Mariazellerbahn. Für deren Versorgung war schließlich viel Strom notwendig. Deshalb wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wienerbruck (Bezirk Lilienfeld; siehe Karte) ein Wasserkraftwerk errichtet. Das damalige Landeselektrizitätswerk entstand als Abspaltung aus den Landesbahnen.

Die Kapazität des Speicherkraftwerks mit zwei Stauseen war aber größer, als es für die Stromversorgung der elektrischen Zugförderung erforderlich war. Deshalb erstreckte sich die Stromversorgung nicht nur auf das Gebiet entlang der Mariazeller Bahn, sondern bis in den Raum St. Pölten, „womit man den Aufstieg der Stadt als Industriestandort mitgefördert hat“, erzählt EVN-Unternehmenshistoriker Georg Rigele.

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Seit mehr als 110 Jahren versorgt das Kraftwerk Wienerbruck mittlerweile viele Haushalte mit Strom

Ortsnetze mit tückischen „Mini-Monopolen“

Immerhin siedelten sich hier im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts große Industriebetriebe an. Doch abgesehen von diesem Gebiet gab es in Niederösterreich damals vor allem viele kleine, sehr regionale Verbünde, etwa in einzelnen Orten oder Bezirken. Landesweit wurden im Jahr 1924 etwa 603 Ortsnetze mit elektrischem Strom versorgt, entweder über Wasserkraftwerke oder mit Dieselgeneratoren.

Ein Land braucht Energie

In der Praxis konnten die „Mini-Monopole“ aber so manche Tücken haben, weiß Rigele, etwa bei einem Wohnsitzwechsel in den Nachbarort: „Denn als Kunde eines E-Werks war man verpflichtet, Installationen, auch Glühbirnen, dieses Unternehmens zu verwenden.“ Im harmlosen Fall sei dort nur ein Stempel darauf gewesen, „aber wenn man besonderes Pech hatte, war sogar die Fassung speziell, sodass Sie Ihre Glühbirne woanders nicht einschrauben konnten.“

Ein Land wächst zusammen

Das Ziel der im Jahr 1922 gegründeten Niederösterreichischen Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft (NEWAG) – seit 1988 EVN – war es also, die verschiedenen Versorgungsgebiete zu verbinden. Zunächst betraf das den Großraum St. Pölten mit dem Wirtschaftsraum Wiener Neustadt, später folgten sukzessive die weiteren Landeszentren, etwa Richtung Amstetten oder Stockerau.

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Gleichzeitig wurden in dieser Zeit auch Gebiete nach und nach elektrifiziert, etwa das ganze Weinviertel. „Das wurde schon in den ersten zehn Jahren komplett elektrifiziert“, schildert Rigele. Wegen des steigenden Strombedarfs wurden in dieser Zeit auch neue Kraftwerke errichtet, etwa das Wasserkraftwerk Erlaufboden (Bezirk Lilienfeld), das noch heute Strom für etwa 4.000 Haushalte liefert, oder jenes in Oberndorf (Bezirk St. Pölten).

Mit diesen Investitionen wurde das Land auch weniger abhängig von teuren Rohstoffimporten. Denn nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg bzw. durch den Zerfall der Monarchie lagen die rohstoffreichen Gebiete – Erdöl aus Galizien oder Kohle aus Mähren und Schlesien – nun außerhalb der Landesgrenzen. „Deshalb war der Ausbau der Wasserkraft eine Priorität“, sagt EVN-Experte Rigele.

Die große Nachfrage nach Gas – für die EVN heute das zweite große Standbein – begann hingegen erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die ersten Gaskraftwerke wurden zwar schon früher – mit Kohle – betrieben. Ab den 1950er-Jahren erlebte jedoch Erdgas aus dem Weinviertel – als Nebenprodukt der Ölförderung – einen großen Aufschwung. Das Land und die NEWAG gründeten daraufhin die Erdgasvertriebsgesellschaft (Niogas).

Konflikte um Zentralraum Wien

Für Konflikte zwischen den ehemals vereinten Bundesländern Wien und Niederösterreich sorgte immer wieder, dass die Wiener E-Werke – aus historischen Gründen – auch Teile Niederösterreichs versorgten, etwa im Wiener Becken. Doch trotz der Trennung 1922 wollte Wien diese Gebiete nicht abtreten. Deren Argument: Wir haben das Gebiet elektrifiziert, somit ist das unser Gebiet. Niederösterreich bzw. die NEWAG wollte hingegen immer die Kontrolle über das gesamte Land.

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Das Stromversorgungsnetz der Wiener E-Werke im August 1969, weshalb es zwischen Niederösterreich und Wien Konflikte gab

Laut Rigele hatte das vor allem wirtschaftliche Gründe, denn der Wiener Zentralraum sei für Stromversorger das „perfekte Gebiet“: „Er hat einerseits topographisch sehr günstige Voraussetzungen, um ein Stromnetz zu betreiben, die Kosten sind geringer als im Alpenvorland, und andererseits ist die Fläche dicht besiedelt, mit Menschen und Betrieben.“

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 10.1.2022

Dieser Konflikt wurde nie gelöst, vielmehr löste er sich selbst in Luft auf. Denn seit der Privatisierung des Strommarkts rund um die 2000er-Jahre können die Kunden ihren Versorger frei wählen. Zudem arbeiten EVN und Wien Energie – im Rahmen der EnergieAllianz Austria – mittlerweile eng zusammen. Die „Pointe der Geschichte“ ist laut Rigele: Wien Energie ist heute – 100 Jahre nach der gemeinsamen Gründung – wieder ein Großaktionär der EVN.