100 Jahre NÖ Erölfunde Zisterdorf
Karl Aumann
Karl Aumann
„100 Jahre NÖ“

Als Zistersdorf zum neuen „Öldorado“ wurde

Es ist das „Schwarze Gold“, das Zistersdorf (Bezirk Gänserndorf) ab 1930 weltweit bekannt macht. Zum ersten Mal wurde in Österreich Öl entdeckt. In Zeitungen wurde die Region mit dem ölreichen Pennsylvania verglichen. Der Region brachte es einen Aufschwung.

30. August 1930: Bei einem Schöpfversuch in einer Tiefe von 729 Metern strömen bei einer Gaseruption mit großer Heftigkeit Kohlenwasserstoffgase aus dem Bohrloch und geringe Mengen Öl, etwa fünf Tonnen – zum ersten Mal wurde in Österreich Öl nachgewiesen.

„Petroleum quillt aus österreichischer Erde“, titelte damals das „Kleine Blatt“. Das Abendblatt verglich die Region gar mit den ölreichen Gebieten der USA und schrieb: „Das österreichische Pennsylvanien.“ Zeitungen schickten daraufhin Sonderberichterstatter nach Zistersdorf und berichteten aus dem neuen „Öleldorado“.

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Der Abend

Österreich als drittgrößter Ölproduzent

Dabei spielte Öl in Österreich lange Zeit keine Rolle. Zu groß waren die Vorkommen aus Galizien oder der Ukraine, die die Donaumonarchie bis zum Ersten Weltkrieg zum drittgrößten Ölproduzenten der Welt machten – hinter den USA und Russland. „Es gab einfach keinen Bedarf, im Inland danach zu suchen“, erklärt Gerhard Ruthammer, ehemaliger Mitarbeiter der Österreichischen Mineralölverwaltung (OMV) und Leiter des Lehrstuhls für Tiefbohrtechnik an der Montanuniversität Leoben.

Das sollte sich nach dem Zerfall der Monarchie ab 1918 mit einem Schlag ändern. Die ölreichen Gebiete waren verloren. Aufgrund eines Zufallsfundes 1914 im slowakischen Grenzgebiet wusste man aber, dass es auch im heutigen Bezirk Gänserndorf Vorräte geben könnte. Ab den 1920er Jahren wurden erste Freischürfrechte vergeben, in Summe etwa 100 – und „waghalsige Abenteurer“ versuchten ihr Glück, so Ruthammer.

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OMV
1934 gelang der EPG (Erdöl-Produktions-Gesellschaft) mit der Bohrung Gösting II der erste wirtschaftlich lohnende Ölfund
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Heinz Romann
Damit war der Startschuss für die systematische Erschließung der österreichischen Ölvorkommen gelegt, Gösting II, gebohrt Ende August 1934, 926 m Tiefe
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Karl Aumann
Die Erdölproduktion nahm einen steilen Aufschwung.
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Stadtmuseum Zistersdorf
Zistersdorf erlangte in den 30er Jahren durch seine Erdölfunde Weltberühmtheit
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Stadtmuseum Zistersdorf
So war es auch nicht verwunderlich, dass sogar eine Delegation aus China die Ölfelder besichtigte
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Stadtmuseum Zistersdorf
Der erste Erdöltransport wird am Bahnhof Zistersdorf feierlich verabschiedet
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Karl Aumann
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Rupert Mandl
Die Bohrtürme Gösting 2 und Gösting 4 am Steinbergbruch.
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Franz Strahammer
Hartmann Karl an der Messwinde (Sohlemessungen, div. Messarbeiten und Probenahmen)
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Stadtmuseum Zistersdorf
Eine Rekonstruktion der Bohrtürme im Raum Zistersdorf
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Stadtmuseum Zistersdorf
Das Stadtmuseum Zistersdorf hat zur Geschichte des Eröls eine eigene Ausstellung eingerichtet
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Stadtmuseum Zistersdorf

Technisches und finanzielles Abenteuer

Der Aufwand war groß. Pro Tag konnten die Maschinen nur 50 bis 70 Zentimeter tief bohren, eine Bohrung zog sich deshalb leicht über ein Jahr. „Es war sowohl ein technisches als auch ein finanzielles Abenteuer“, sagt Ruthammer, „bei dem die Firmen teilweise allein bei einer Bohrung pleite gegangen sind“.

Das war auch bei der ersten großen Bohrung am Steinberg der Fall, die bis auf eine Tiefe von 332 Metern kam, dann jedoch aus technischen und finanziellen Gründen eingestellt werden musste. Gleichzeitig begannen in Windisch-Baumgarten – heute eine Katastralgemeinde von Zistersdorf – erste Bohrungen, die nach zwei Jahren – ab August 1930 – die ersten Erdölvorräte zutage brachten, 14 Kubikmeter pro Tag.

Der große Durchbruch

Obwohl die Förderung damals „bei Weitem nicht wirtschaftlich“ war, ließen sich die Firmen trotzdem nicht abhalten. Der große Durchbruch gelang schließlich 1932 in Gösting, mit ein paar hundert Tonnen Öl. „Aber in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit ein Hoffnungsschimmer“, erklärt Ruthammer. In der Bevölkerung wurde gefeiert und sogar ein Gedicht verfasst, in dem es hieß, dass der Ölmagnat John D. Rockefeller in New York vor Neid nach Zistersdorf blicken würde.

Der damalige Bürgermeister von Zistersdorf, Martin Krammer, bezeichnete die ersten Funde als „von ungeahnter Bedeutung für unser wirtschaftlich schwach gewordenes, verarmtes Land“. Bis zum Bahnhof wurde daraufhin eine Leitung gebaut, der erste Öltransport mit dem Zug nach Wien feierlich verabschiedet. „Damit hat die Begeisterung begonnen“, erzählt Johann Hofstetter, ehemaliger Bürgermeister der Stadt.

Ölrausch führt zu Raubbau

In den folgenden Jahren sei ein wahrer „Ölrausch“ ausgebrochen. Eine zweite Bohrung in Gösting brachte ab 1934 bereits 30 Tonnen Reinöl pro Tag. Das war laut Ruthammer „eine weltweite Sensation“ und weckte auch das Interesse von vielen ausländischen Firmen. Immer mehr Firmen, wie die 1935 gegründete RAG (Rohöl-Aufsuchungs-Gesellschaft) oder Van Sickle, siedelten sich rund um den Steinbergbruch an.

Explosion Zistersdorf Erdöl
Bildarchiv Austria

1938 wurden sämtliche Anlagen vom Deutschen Reich übernommen. „Damit begann auch ein Raubbau an den Lagerstätten“, so der Experte, „das Deutsche Reich brauchte Öl, weil es selbst zu wenig hatte“. Fortan wurde die Förderung stark ausgeweitet, zudem mehrere kleinere Ölfelder erschlossen, etwa in Bernhardsthal (Bezirk Mistelbach), Hauskirchen, Hohenruppersdorf, Maustrenk und Aderklaa (alle Bezirk Gänserndorf).

Auch nach 1945 ging der Raubbau weiter, unter der sowjetischen Mineralölverwaltung, die alle Ölfelder übernahm. 1949 wurde zudem in Matzen, etwa 15 Kilometer von Zistersdorf entfernt, das bis dato größte zusammenhängende Ölfeld Europas entdeckt. „Das war die Geburt eines weiteren Ölbooms in Österreich, von dem die OMV bis heute zehrt“, erinnert sich Ruthammer.

„Es wurde auf Teufel komm raus gefördert“, so Hofstetter. Zwischen 1945 und 1955 wurden 200.000 Meter in die Tiefe gebohrt und 17,4 Millionen Tonnen Erdöl gefördert. Davon gingen elf Millionen Tonnen als Reparationszahlungen in die Sowjetunion, drei davon vom Bahnhof Zistersdorf aus. „Wenn wir das alles für uns gehabt hätten, wären der Reichtum und das Wohlergehen noch besser gewesen.“

Region mit Arbeitsplätzen sehr gut bestückt

In dieser Zeit fanden auch viele Leute wieder Arbeit. Allein bei der RAG waren weit mehr als 1.000 Menschen beschäftigt. „Jeder Zweite, Dritte in Zistersdorf hat dort gearbeitet, die Region war mit Arbeitsplätzen sehr gut bestückt“, sagt Hofstetter. Zudem errichteten die Sowjets Schulen, es gab gute Lohnabkommen und gleiche Bezahlung bzw. Möglichkeiten für Frauen. „Sozial ist vieles geschehen.“

Diesen Aufschwung ließen die Stadtbürger offenbar auch die Nachbargemeinden spüren. „Wir von auswärts haben gespürt, dass sich die Zistersdorfer als etwas Besseres empfinden, weil dort mehr Reichtum vorhanden war als bei uns“, schildert Hofstetter, der damals noch im Nachbarort Jedenspeigen wohnte. Sogar in der Schule bezeichneten Lehrer Kinder als „Auswärtige“. „Es war immer das Gefühl, Zistersdorf sei durch das Öl etwas Besseres geworden“, so Hofstetter.

Das Erdöl-Inferno

Auf deren Hilfe war man aber im Jahr 1951 angewiesen, als ein mit 3.000 Tonnen Erdöl befüllter Vorratstank in Flammen aufging. „Es gab eine riesige Stichflamme und dann schwarze Wolken, das brennende Öl hat sich durch das ganze Gelände gewälzt“, erinnert sich Hofstetter. Ströme des brennenden Öls flossen Richtung Bahnhof. 800 Feuerwehrleute, sogar aus Wien und Wiener Neustadt, waren damals im Einsatz.

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Explosion Zistersdorf Erdöl
FF Zistersdorf
Großbrand im Tanklager Zistersdorf
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Stadtmuseum Zistersdorf
Explosion Zistersdorf Erdöl
FF Zistersdorf
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Stadtmuseum Zistersdorf
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Wiener Illustrierte
Explosion Zistersdorf Erdöl
FF Zistersdorf
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Karl Gass
Explosion Zistersdorf Erdöl
FF Zistersdorf

Auf das Gelände des Tanklagers durften nur Feuerwehrmänner. Die Freiwilligen wurden mit Wasser besprüht, weil die Hitze so unerträglich war. Von der Bevölkerung wurden unterdessen Dämme ausgehoben, damit das auslaufende brennende Erdöl nicht die Stadt erreicht. Der Wind trieb die Flammen zwar weg, die Gefahr für Zistersdorf und die umliegenden Ortschaften war aber erst nach drei Tagen gebannt.

Die Ursache für die Explosion kam erst im Jahr 2012 ans Tageslicht. Einer der letzten Mitarbeiter, der damals dabei war, schilderte, dass das Öl in den Tanks auf Anweisung eines russischen Vorgesetzten zu stark erhitzt wurde. Als einer seiner Kollegen aus dem Tank eine Ölprobe nehmen wollte, fiel ihm der Deckel auf den Metallrand, und es kam zu einem Funken, der schließlich die Explosion auslöste.

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Stadtmuseum Zistersdorf
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Stadtmuseum Zistersdorf
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Stadtmuseum Zistersdorf

Herausfordernder Neustart

Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 gingen die Erdölfelder an die Republik zurück bzw. wurden in weiterer Folge von der OMV übernommen. Die Bohrlöcher waren zwar weiter intakt, „aber sehr viel Maschinen und Bohranlagen hatten die Sowjets demontiert und nach Russland gebracht“, sagt Ruthammer. Zudem wurden beim Abtransport viele Straßen zerstört, weil „sie die Bohranlagen einfach mit Raupenfahrzeugen durchgeschleppt hatten“.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 24.1.2022

Die fehlenden Maschinen konnten aber bald aus den USA erworben werden. Österreich förderte damals etwa 2,5 Millionen Tonnen Öl pro Jahr und konnte sich damit selbst versorgen bzw. sogar exportieren. Allerdings wurde die Fördermenge in den folgenden Jahren bewusst zurückgenommen und „auf ein lagerstättenschonendes Maß“ gebracht, fügt Ruthammer hinzu, womit fortan auch auf die Umwelt Rücksicht genommen wurde.

In Zistersdorf sind die Anlagen nach wie vor präsent. „Es sprudelt und zischt noch immer, mäßig, aber doch“, sagt Hofstetter. Auch wenn die wirtschaftliche Bedeutung heute nur noch „minimal“ sei, wird aus den Ölfeldern in Zistersdorf noch etwa 20 Jahre Öl austreten. Unabhängig davon wurden bereits die Weichen für die Zukunft gestellt, die die Stadt mit mehreren Windparks in der Windenergie sieht.