Es sind zunächst Gerüchte bzw. Aussagen einzelner Politiker, wonach in der Wachau ein Kraftwerk gebaut werden soll. „Das habe ich schon als junger Mann immer wieder gehört, aber das wird noch lange dauern, hat es geheißen, niemand hat es wirklich geglaubt“, erinnert sich Franz Machhörndl, 1971 Gemeindesekretär in Spitz an der Donau (Bezirk Krems).
„Die Pläne hat es schon lange gegeben, aber sie sind nie wirklich zur Diskussion gestanden oder öffentlich gewesen“, ergänzt Winzer Franz Hirtzberger, ebenfalls aus Spitz an der Donau, der damals gute 20 Jahre alt war. „Und dann ist es ernst geworden“, betont Machhörndl im Gespräch mit noe.ORF.at.
Weinorte hinter Dämmen
Ende 1971 wurden schließlich konkrete Pläne für ein Kraftwerk zwischen Dürnstein und Weißenkirchen, auf der Höhe von Rossatz-Rührsdorf (alle Bezirk Krems), vorgestellt. Die Kosten: 3,5 Milliarden Schilling. Der damalige Wasserspiegel sollte um etwa sechs Meter angehoben werden, hieß es zunächst. Der Rückstau sollte 25 Kilometer stromaufwärts Richtung Melk reichen.
Orte wie Weißenkirchen, Spitz oder Wösendorf (Bezirk Krems) wären damit hinter meterhohen Dämmen verschwunden, die entlang der Wachaustraße geplant waren – die Anrainergemeinden betrachteten das als eklatanten Bruch der Schutzbestimmungen. „Der Kraftwerksbau, ich nenne dieses Kraftwerk ‚Die Teufelsmauer von Dürnstein‘ würde die Stromlandschaft zerstören“, kritisierte Franz Hirtzberger (ÖVP), damals Bürgermeister von Spitz an der Donau.
Eine Region wehrt sich
Innerhalb kurzer Zeit formierte sich in der Wachau Widerstand. Die Gegner des Kraftwerks beriefen sich auf den Fremdenverkehr als lebenswichtige Einnahmequelle und erklärten, dass eine landschaftliche Störung der Wachau auch vom Standpunkt des Umweltschutzes zu verurteilen sei. Die Wachau steht als eines der schönsten Stromtäler Europas unter Landschaftsschutz.
Franz Hirtzberger lehnt die Kraftwerkspläne ab
Anfang 1972 gründete sich der Arbeitskreis zum Schutz der Wachau. Hirtzberger, der damals auch zu dessen Sprecher wird, ließ nach den Plänen der Donaukraftwerke Holzkonstruktionen in den betroffenen Ortschaften errichten. „Damit konnte man genau sehen, wie hoch die Dämme werden sollen“, erklärt sein Sohn, der ebenfalls Franz heißt. „Da waren alle plötzlich hell auf“, ergänzt Machhörndl. „Wir haben gewusst, es muss etwas passieren.“
„Schmeißen wir ihn wieder hinaus“
Hirtzbergers Sohn erinnert sich im Gespräch mit noe.ORF.at an eine hitzige Informations-Veranstaltung in Spitz mit Landeshauptmann Andreas Maurer (ÖVP), der zugleich Präsident der Donaukraftwerke war. „Maurer war damals Befürworter – wie auch die gesamte ÖVP hinter dem Projekt gestanden ist, und da hat es Stimmen gegeben: ‚Schmeißen wir ihn (Bürgermeister Hirtzberger, Anm.) wieder hinaus‘. Also es hat damals richtig gebrodelt.“
Das Kraftwerk in der Wachau sollte ein Glied in einer Kette von 13 Staustufen sein, mit denen die Donau – unabhängig vom jeweiligen Wasserstand – für den sogenannte Europakahn schiffbar gemacht werden sollte. Dazu war die Republik durch die Donaukonvention verpflichtet, die Arbeiten mussten bis 1990 beendet sein.
Der Donauausbau hing damals mit dem Rhein-Main-Donau-Kanal zusammen. Auf dieser Wasserstraße sollte quer durch Europa – vom Schwarzen Meer bis zur Nordsee – eben der Europakahn fahren. Doch für dieses Containerschiff musste die Donau mindestens 2,70 Meter tief sein. Die damaligen Wasserschwankungen im Bereich der Wachau lagen hingegen im Durchschnitt zwischen 1,20 und vier Metern.
Deshalb sollte der bereits 1954 von den Donaukraftwerken ausgearbeitete Stufenplan der Donau nun gesetzlich verankert werden, die Anlagen sollten nicht nur als Staustufe dienen, sondern auch elektrische Energie erzeugen. Auf Grund dieses Stufenplans wurden bis 1972 die Kraftwerke Jochenstein, Aschach, Wallsee-Mitterkirchen (alle Oberösterreich) und Ybbs-Persenbeug (Bezirk Melk) errichtet. Das Kraftwerk Ottensheim (Oberösterreich) war im Bau.
Bis 1990 sollten zudem die Kraftwerke Mauthausen (Oberösterreich), Melk, Rossatz-Rührsdorf, Altenwörth (Bezirk Tulln), Greifenstein (Bezirk Tulln), Wien, Regelsbrunn (Bezirk Bruck/Leitha) und – gemeinsam mit der ČSSR – Wolfsthal (Bezirk Bruck /Leitha) gebaut werden.
Nobelpreisträger warnt vor „Kloake“
Die Ökologen schlossen sich den Bedenken der demonstrierenden Bevölkerung an. Nobelpreisträger Konrad Lorenz sprach von unabsehbaren Folgen für die Donau und warnte gar vor einer „Kloake“. „Denn es ist nicht vorauszusehen, was biologisch mit der Donau passiert, wenn sie in Staustufen gelegt wird, wenn sie ein Fünftel ihrer Stromgeschwindigkeit nur noch hat und wenn sie außerdem noch in Zwentendorf durch ein Atomkraftwerk aufgeheizt wird.“
Konrad Lorenz spricht sich für Umtextung der Bundeshymne aus
Eine solche Gefahr über das gesamte Volk von Österreich herbeizuführen, „ist meiner Ansicht nach von niemandem zu verantworten“, betonte Lorenz. Zudem würde die Donau mit dem Bau der Staustufen seinen Charakter als Strom verlieren. „Das heißt, wir müssen die Bundeshymne umdichten und nicht mehr Land am Strome singen, sondern – wenn Sie mich als Biologen fragen – Land am Kanale.“
Laut Wasserbiologen seien Organismen im Gewässer zwar im Interesse der Selbstreinigungskraft, also des Abbaus von Abwässern notwendig und erwünscht. Allerdings wird durch Staue, wie sie in der Donau errichtet werden, der Organismengehalte außerordentlich stark erhöht, darüber hinaus verändert die Aufstauung die Temperatur im Wasser, und dadurch werden Zuleitungen von warmen Abwässern im Flussstau besonders gefährlich.
Weinbau in Gefahr
Und auch der Weinbau hätte nachhaltig gelitten, betont Franz Hirtzberger. Denn der Weinbau sei in der Wachau von besonderen klimatischen Bedingungen geprägt: Eine große Erwärmung am Tag, und in der Nacht kalte Luft, die vom Waldviertel ins Donautal strömt. „Diese Temperaturunterschiede bringen für die Trauben große Vorteile.“ Durch die Dämme wäre die kalte Luft aber in den Weingärten liegen geblieben, „Weinbau wäre dort nicht mehr möglich gewesen.“
Dadurch hätten indirekt auch die bekannten Weinterrassen gelitten. Denn deren Bewirtschaftung sei nur auf Grund der Weingärten in der Ebene möglich. „Jeder Weinbauer hat auch Terrassen, wo die Produktion aber das Drei- bis Fünffache gegenüber Weingärten in der Ebene beträgt.“ Deren Erhaltung sei nur mit einem Mischsystem möglich.
Die Wirtschaft sah in der Donau hingegen den Umschlagplatz von morgen. Denn bis 1981 wird die Donau nach Fertigstellung des Rhein-Main-Donau-Kanals mit der Nordsee, nach der Schaffung des Rhein-Rom- und des Donau-Oder-Kanals auch mit dem Mittelmeer und der Ostsee verbunden sein.
Die Argumente der Donaukraftwerke
Das Kraftwerk Wachau sei „eine unbedingte Notwendigkeit, weil nur so die Wassertiefen, die die Schifffahrt auch bei Niederwasser braucht, sichergestellt werden können.“ Die Donaukraftwerke verwiesen zudem auf die bereits vom Ausbau betroffenen Stromabschnitte oberhalb von Ybbs-Persenbeug. Dort sei die „Qualität des Donauwassers einwandfrei besser nachgewiesen worden als im Bereich unterhalb Ybbs“, betonte Direktor Robert Fenz.
Die Ursache die Verschlechterung der Wasserqualität sei dort vielmehr die zunehmende Belastung des Flusses durch industrielle Abwässer und Siedlungsabwässer. „Es gibt in Dürnstein keine Kläranlage, es gibt in sämtlichen Orten flussabwärts keine Kläranlagen. Städte wie Krems, einschließlich der Industrie, leiten ungeklärt in die Donau ein“, ergänzte Fenz damals in einem ORF-Interview.
Hirtzberger konterte: „Die Donau hat als wasserfließender Strom die Römer und die Awaren überlebt. Es besteht aber die Gefahr, dass sie die Technokraten der heutigen Zeit nicht mehr überlebt“, wenn der Fluss "in einer stehenden Kette zum langsamen, trägen Dahinfließen verurteilt ist. Die Gegner forderten deshalb vom Bund, dass die Wachau vom Kraftwerksausbau ausgeklammert werden soll.
Dass die Wachau unter Landschaftsschutz steht, brachten die Vertreter des Arbeitskreises damals auch bei einer Vorsprache bei Landeshauptmann Maurer vor, der damals eine Enquete mit Experten und Anrainern versprach. „Es ist unbestritten, dass ein Donauausbaugesetz notwendig ist, ebenso unbestritten ist, dass die landschaftliche Schönheit der Wachau erhalten werden muss“, meinte Maurer.
St. Pölten statt Wachau
Gleichzeitig wurden einige Alternativlösungen diskutiert. Das Einengen der Donau und das Ausbaggern von Fahrtrinnen, wie von Naturschützern gefordert, lehnten Strombaufachleute jedoch ab, weil es das Niederwasserproblem nicht löse. Der Vorschlag zur Rettung der Wachau einen Schifffahrtskanal über St. Pölten zu graben, galt zwar als fachlich begründet, war aber wegen der Milliardenkosten unrealistisch.
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Wachauer Gemeinden ließen sich aber nicht aufhalten und initiierten Unterschriftenaktionen. Über Wochen hinweg wurden in allen Gemeindeämtern, Hotels, Bankinstituten, Gaststätten, Geschäften und Privatquartieren Unterschriften für die Erhaltung einer der berühmtesten europäischen Stromlandschaften gesammelt. Ziel war es, 150.000 Unterschriften zu sammeln.
Mit der „Weichen Welle“ wirbt die Wachau in Wien um Unterschriften gegen das Kraftwerk
Mit der „Weichen Welle“ – einer Sympathie-Kundgebung mit Trachtenkapellen in Wachauer Tracht und einer Unterschriftenaktion – machten die Gemeinden im Herbst 1972 auch am Wiener Graben demonstrativ auf ihre Forderungen aufmerksam. „Das war damals schon sehr beeindruckend“, erzählt Machhörndl. „Es hat sich damals so eine Stimmung entwickelt – nicht nur von uns, sondern auch von Ausflüglern und Touristen.“
Wichtige Stützen
Entscheidend sei damals auch das Engagement von Winzer und Gastronom Josef Jamek in Joching gewesen, sagt Hirtzberger – „bei dem damals viele Politiker und wichtige Personen ein- und ausgegangen sind.“ Zudem hatte sich auch ein Flussbautechniker der technischen Anstalt in Zürich (Schweiz) gemeldet, „der ganz wesentlich mitgeholfen hat, Pläne zu erarbeiten, wie die Schifffahrt auch in der Zukunft gesichert werden kann.“
Josef Jamek erinnert sich an den Widerstand gegen die Kraftwerkspläne
Als im Herbst 1973 der 50.000. Österreicher mit seiner Unterschrift gegen die Errichtung protestiert hatte, lenkte die Bundesregierung ein. Bundeskanzler Kreisky (SPÖ) kündigte an, dass das Kraftwerk nicht gebaut werde. Damit überraschte er auch die Donaukraftwerke. Direktor Fenz warnte vor einem volkswirtschaftlichen Schaden: „Wir glauben nicht, dass man in einer derart großen Wasserstraße Rhein-Main-Donau-Verbindung einen Flaschenhals – eine Engstelle – schaffen sollte.“
Wachau erreicht erstes Etappenziel
„Es hat daraufhin zwar noch viele Gespräche und Interventionen gegeben, aber es war fix, dass es nicht gebaut wird“, erinnert sich Machhörndl. Zeitgleich wurde mit Unterstützung der Bundesregierung auch um das europäische Naturschutzdiplom angesucht. „Zum Schutz der Wachau“, ergänzt Hirtzberger, dessen Bruder Hannes damals die Aufgaben des Vaters übernommen hatte.
Nebenbei wurde an Alternativlösungen gesucht, damit die Vorgaben der Donaukonvention umgesetzt werden können. Das Resultat war die Regulierung der Donau, indem eine Schiffrinne gegraben wurde. Weil durch die Strömung Schotter und Geröll immer weiter flussabwärts wandern, muss die Rinne jeden Winter ausgegraben und bei der oberen Kraftwerksmündung wieder abgeladen werden.
Damit kann die Schifffahrt bis heute sichergestellt werden – auch wenn bei ganz niedrigen Donauständen, wie in den vergangenen Jahren, die Schifffahrt teilweise schon eingestellt werden musste oder die Frachter zumindest mit weniger Ladung unterwegs sein mussten.
Unterstützer von Hainburg
In den Gemeinden der Wachau stört man sich daran aber nicht. „Wir sind alle dankbar, dass das Kraftwerk nicht gebaut wurde“, meint Franz Machhörndl. Aus diesem Grund wurden auch ein Jahrzehnt später die Anliegen der Aubesetzer in Hainburg (Bezirk Bruck/Leitha) unterstützt. „Wir waren selbst zwei Tage in der Au und haben dort mit Josef Jamek 300 Semmeln verteilt“, sagt Hirtzberger. „Wir waren nicht direkt Aubesetzter, aber wir haben sie verstanden.“
Sendungshinweis
„Radio NÖ am Nachmittag“, 20.6.2022
In der Wachau wurde in weiterer Folge mit Hilfe des Arbeitskreises auch ein Fahrverbot für den Durchzugs-Schwerverkehr umgesetzt. Denn für Lkw, die von Wien über Krems kamen, war bis in die 1980er die Wachau der kürzeste Weg bis zur Autobahnauffahrt in Melk. Seither habe der Arbeitskreis jedoch „seine damalige Stellung verloren“, meint Hirtzberger, „wobei man nach wie vor etwa um eine gemeinsame Baukultur ringt.“
UNESCO-Weltkulturerbe
Im Jahr 2000 folgte schließlich der Höhepunkt. Nach dem europäischen Naturschutzdiplom wurde die Wachau auch zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Sie war damit die sechste Weltkulturstätte in Österreich. Dieser kurze Abschnitt der Donau – 36 von insgesamt 2.800 Kilometern – sei einmalig, hieß es in der Begründung. Es werde eine großartige Kulturlandschaft bewahrt
Wachau wird zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt
Für die Region bedeutet das auch eine gewisse Absicherung, meint Hirtzberger: „Momentan wird zwar nicht an ein Kraftwerk gedacht, aber für alle Zeit würde ich das nicht so sehen, wenn wirklich alle Gletscher abschmelzen, gibt es viel weniger Wasser.“ Machhörndl ist hingegen überzeugt, „dass die Wachau so einen Namen hat, dass da niemand so schnell hin greift.“
Die Wachau sei vielmehr ein Nationalheiligtum, „das war sie schon immer und wird sie auch immer sein“, meint Machhörndl, der einst auch Obmann des Tourismusvereins war. „Wenn ich nur an die Wachaumaler und Steinmauern denke, die die Wachau prägen. Die Kloster Melk und Göttweig inmitten von Burgen und Ruinen. Das ist etwas ganz Besonderes für uns, aber auch für alle anderen.“