Franz Viehböck nach der Landung 1991
APA/Wolfgang Wagner
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„100 Jahre NÖ“

Ein Weltraum-Pionier hält das Land in Atem

Am 2. Oktober 1991 startet Franz Viehböck zu seiner größten Reise. Der Niederösterreicher flog im Zuge des österreichisch-russischen Weltraumprojekts „Austromir“ als erster und bisher einziger Österreicher ins All. Nur Stunden danach kam seine Tochter zur Welt.

Five, four, tree, two, one – am 2. Oktober 1991 um 6.59 MEZ hob eine Rakete des Typs Sojus-TM 13 mit Franz Viehböck an Bord vom russischen Weltraumbahnhof in Baikonur (Kasachstan) ab. Der Start verlief problemlos, Viehböck beschreibt den Augenblick als "immens aufregenden Moment – vor allem die Sekunden vor dem Zünden der Triebwerke, wo noch alles relativ ruhig ist. Da spürt man das Herz schlagen.“

Am Anfang vibriert alles, manches scheppert. Die Belastung, die einen in den Sitz drückt, erreicht schließlich 5-g-Kräfte. Man wiegt in diesem Moment das Fünffache seines Körpergewichts und es wird sehr anstrengend, die Arme zu bewegen. Im Gesicht wird die Haut nach hinten gezogen. Im Orbit umkreist man die Erde mit 28.000 Kilometern pro Stunde – „und dann schwebt man“.

Angst oder Sorgen habe er in diesem Moment nicht gehabt, „da ist man voll fokussiert.“ Allerdings gab es vier Tage vor dem Start eine Phase, „wo kurzzeitig solche Gedanken gekommen sind“, erzählt Viehböck im Gespräch mit noe.ORF.at, „denn wenn etwas schiefgeht, würde ich meine Tochter nicht sehen. Ich bin dann schnell hinaus aus dem Zimmer und zu den Kollegen gegangen.“

Start für gemeinsames Projekt

Der Startschuss für diese internationale Zusammenarbeit fiel 1987. Bei einem Besuch in Österreich machte der sowjetische Ministerpräsident Nikolai Ryschkow das Angebot, dass sich Österreich an einem bemannten sowjetischen Raumprojekt samt Flug eines Österreichers zur Raumstation Mir beteilige. Am 5. April 1988 beschloss die Bundesregierung den Flug eines Österreichers zur Mir.

BILD ZU APA-TEXT VON HEUTE – ª5 Jahre Austromirª Sowjetische Soldaten beobachten das Aufstellen der Sojus TM13Rakete am 30. September 1991.
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Mit dieser Sojus-TM 13 flog Franz Viehböck am 2. Oktober 1991 ins Weltall

Auf ein Inserat in den Medien meldeten sich mehr als 220 Bewerber, darunter 20 Frauen, für die historische Mission. 198 Personen erfüllten die nötigen Voraussetzungen, darunter eine ausgezeichnete Gesundheit, eine naturwissenschaftliche, technische oder medizinische Ausbildung, ein Alter zwischen 30 und 40 Jahren, die Bereitschaft zu einer intensiven 18-monatigen Ausbildung und nach Möglichkeit Kenntnisse der russischen Sprache.

„Ich habe es am Anfang gar nicht so ernst genommen“, sagt Viehböck, der 1969 – als Achtjähriger – die Mondlandung miterlebt hatte. „Und dann will man natürlich auch so etwas machen. Es war ein Traum und dann hat sich die Gelegenheit ergeben.“ Kurz vor dem Ende der Anmeldephase reichte er bei der Austrian Space Agency seine Bewerbung ein.

Hartes Auswahlverfahren

Anhand von ärztlichen Attesten wurde die Zahl der Bewerber von 200 auf zunächst etwa 50, später auf 30 reduziert. Die Tests fanden beim Bundesheer in Wiener Neustadt bzw. in Langenlebarn (Bezirk Tulln) statt. Danach waren es noch 13 Personen, die im Juni 1989 im Heeresspital in Wien eine zweiwöchige, „intensive Untersuchung – von jeder Körperzelle, psychisch und physisch – machen mussten“.

2.10.1991: Der erste Österreicher fliegt ins All

Am Ende standen sieben Männer und Frauen, die laut Kommission als geeignet empfunden wurden. Für diese Gruppe ging es Ende September 1989 nach Moskau. „Dort haben wir weltraumspezifische Tests gemacht, die in Österreich nicht möglich waren, etwa eine Zentrifuge, Unterdruckkammer oder einen Drehsesseltest“, erinnert sich Viehböck, der seine Kindheit und Jugend in Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling) und Mödling verbrachte.

Männer- oder Frauenduo

Im Mittelpunkt der gesamten Auswahl ging es vor allem um medizinische Voraussetzungen, „ob man für Weltraumflug geeignet ist“. Zurück in Österreich waren es noch vier Bewerber: zwei Männer und zwei Frauen. Die österreichische Kommission musste nun zwei Kandidaten auswählen – mit der Einschränkung, entweder „zwei Burschen oder zwei Mädchen zu nehmen“.

100 Jahre NÖ 1991 Franz Viehböck Weltall Austromir Clemens Lothaller
Archiv Lothaller
Franz Viehböck und sein „Backup“ Clemens Lothaller

Am 6. Oktober 1989 fiel in Moskau die Entscheidung: Der Arzt Clemens Lothaller und der Techniker Franz Viehböck wurden dazu ausgewählt, die Kosmonautenausbildung im Sternenstädtchen zu machen. Damit begann für Viehböck, der nach der Matura ein Elektrotechnik-Studium an der Technischen Universität Wien begonnen und dort auch eine Assistenzstelle angetreten hatte, die Intensivphase.

Training für den Notfall

Zunächst hieß es vor allem, Russisch zu lernen, erst nach vier Monaten starteten erste Vorlesungen. Im ersten Jahr ging es laut Viehböck darum, die Grundlagen zu lernen – von der Sprache bis zur Flugtheorie und allen Systemen, „wie sie theoretisch und praktisch funktionieren“. In Notsituationen hätte „jeder an Bord wissen müssen, was zu tun ist“.

Im August 1991 standen die Kosmonautenteams fest: Viehböck galt als Favorit, Lothaller als Ersatzmann. Mit dem Österreicher sollten als Kommandant der Russe Alexander Wolkow und als dritter in der Sojus-Mission der Kasache Tachtar Aubakirow ins All fliegen. Einen Monat später entschied die russische Raumfahrtkommission, dass Viehböck ins All fliegen soll. Er habe „keine Angst“, gab Viehböck kurz vor dem Start zu Protokoll.

Donauwalzer und Experimente

Am 4. Oktober – also zwei Tage nach dem Start – dockte die Rakete an der Raumstation Mir an. Viehböck stieg mit seinem Team unter den Klängen des Donauwalzers als Begrüßungsmelodie in die Raumstation um. Während seines einwöchigen Aufenthalts musste er 14 wissenschaftliche Experimente im Bereich Medizin, Physik und Umwelt durchführen, etwa neurologische Tests oder Untersuchungen zur Kreislauf- und Hormonforschung.

4.10.1991: Franz Viehböck dockt an die Raumstation Mir an

Ein Experiment ist dem heute 62-Jährigen noch gut in Erinnerung. Erstmals sollten damals im All Ionen-Transmitter getestet werden, die u.a. aus dem Forschungszentrum in Seibersdorf (Bezirk Baden) stammten. Aus der damaligen Grundlagenforschung entwickelte sich Jahre später das Unternehmen Enpulsion aus Wiener Neustadt, „das heute erfolgreich Ionentriebwerke für Satelliten verkauft“.

Eine überraschende Nachricht

Während des Aufenthalts im All wurde Viehböck auch Vater, denn nur achteinhalb Stunden nach dem Start brachte seine Frau im Krankenhaus Wiener Neustadt ein gesundes Mädchen – Carina Marie – zur Welt. „Das war nicht so geplant“, die Tochter sei drei Wochen zu früh dran gewesen. Während die Zeit im Bild noch am gleichen Abend darüber berichtete, erfuhr Viehböck selbst davon erst einen Tag später, „als ich aufgeweckt wurde“. Diese Ehre teilt sich Viehböck bisher übrigens mit drei weiteren Astronauten.

Nach sieben Tagen, 22 Stunden und zwölf Minuten war das Abenteuer vorbei. Am 10. Oktober 1991 landete die Sojus-Landekapsel um 5.12 Uhr bei Arkalyk in Kasachstan, etwa 900 Kilometer von Baikonur entfernt. Viehböcks erste Worte nach der Landung: „Mir geht es gut – alles in Ordnung. Es war aber eine harte Landung. Wenn ich dafür nicht so viel trainiert hätte, wäre mir das Herz in die Hose gerutscht.“

Franz Viehböck kehrt nach Österreich zurück

Seine intensivste Erinnerung an die Zeit im All? „Der ganze Raumflug ist ein einschneidendes Erlebnis gewesen“ – die Geburt seiner Tochter, die Schwerelosigkeit, die Beschleunigung am Start, der Flug im All, das An- und Abdocken, der Eintritt in die Atmosphäre mit voriger Bremsung, die Fallschirmlandung, die Technik dahinter mitzuerleben und der Ausblick, sowohl auf die Erde als auch ins Weltall hinaus. „Das sind unvergessliche Momente.“

Im Fokus der Öffentlichkeit

Doch spätestens mit seiner Rückkehr nach Österreich sollte ihn auch seine Popularität nachhaltig beschäftigen: „Es bedeutete für mich schon einen Lernprozess, damit umzugehen, dass man plötzlich im Mittelpunkt der Öffentlichkeit steht und einen jeder kennt“, sagt Viehböck. „Ich habe Gott sei Dank rechtzeitig die Handbremse gezogen und konnte verhindern, dass ich komplett abhebe.“

Auf den Flug folgte eine zweijährige Vortragstätigkeit über die Forschungstätigkeit im All im Auftrag der Bundesregierung. Für die Mission war Viehböck beim Wissenschaftsministerium angestellt, „mit einem Sondervertrag“. Das Gehalt waren damals 90.000 Schilling pro Monat, „plus eine Lebensversicherung“. Die Bekanntheit brachte ihm u.a. Werbeverträge und zahlreiche Autogrammwünsche ein.

Danach wechselte Viehböck in die USA ins Management des US-Raumfahrtkonzerns Rockwell, der von der Firma Boeing aufgekauft wurde. 1999 kam er als Europa-Bereichsleiter des Weltraum- und Kommunikationstechnikbereichs von Boeing mit Sitz Wien zurück in die Heimat. Bis dahin hatte sich auch der Rummel um seine Person auf ein „absolut erträgliches“ Niveau reduziert, so Viehböck.

230 Millionen Schilling

Die Kosten für das Projekt waren – verglichen mit den Beträgen, die heute für ein Weltraumticket bezahlt werden – günstig: Laut Technischem Museum Wien betrugen die Gesamtkosten etwa 230 Millionen Schilling, was inflationsbereinigt knapp 29 Millionen Euro entspricht. Der Flug und das Training von Viehböck und seinem „Backup“ Clemens Lothaller schlug dabei mit 85 Millionen Schilling (etwa elf Millionen Euro) zu Buche.

BILD ZU APA-TEXT VON HEUTE – ª5 Jahre Austromirª – Die russische Raumstation MIR. Mittlerweile docken auch US-Shuttles an.
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Die russische Weltraumstation Mir 1996

Trotzdem sei die Weltraumforschung zentral, auch angesichts des Klimawandels. „Die Umweltschäden sieht man natürlich auf der Erde auch, aber durch Satelliten können Messungen vorgenommen und genaue Vergleiche mit den Jahren davor gezogen werden. Das ist eine extreme Unterstützung für Umweltaktivitäten.“ Zudem waren zu Beginn der Coronavirus-Pandemie Video- und Telefonkonferenzen mehr oder weniger das einzige Kommunikationsmittel. „Ohne Weltraum und Satelliten wäre das so nicht machbar.“

Weiterhin einziger Österreicher

Warum er bis heute der einzige Österreicher im All ist? „Das scheitert an der Politik“, sagt der Raumfahrt-Experte. Österreich sei zwar Mitglied der Europäischen Weltraumagentur (ESA), allerdings nicht beim freiwilligen Programm der Raumstation. „Deshalb ist es sehr schwer bis unmöglich, mit der ESA Astronaut zu werden, weil Nationen, die dabei sind, auch ihre Kandidaten dabeihaben wollen.“

Franz Viehböck im persönlichen Gespräch

Dass in den vergangenen Jahren ein Wettlauf unter Milliardären entbrannte, wer als Erster ins Weltall fliege, und damit auch touristische Pläne verbunden sind, sieht Viehböck als „nicht schlecht“ an: „Ich finde es gut, wenn mehr Leute die Gelegenheit haben, die Erde von oben zu sehen. Damit bekommen die Botschaften, die man der Menschheit mitgeben will, noch mehr Gewicht und Bedeutung.“

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Vormittag“, 29.8.2022

Kritisch anzumerken sei bei all den touristischen Plänen aber der hohe Treibstoffverbrauch. „Wenn nicht mehr wie jetzt zwei Raketen im Quartal, sondern pro Tag starten, nimmt die Umweltbelastung eine Dimension an, die man ernst nehmen muss. Da muss sich die Raumfahrt etwas überlegen, um das in den Griff zu bekommen.“

Weltraumausstieg oder Flug zum Mond

Unabhängig von dieser Entwicklung würde es Viehböck eine erneute Reise reizen: „Auf alle Fälle, aber nicht nur, um ins All zu fliegen. Es müsste eine weitere Herausforderung dabei sein, etwa ein Weltraumausstieg oder ein Flug zum Mond.“ Die Chancen dazu seien aber nicht allzu realistisch. „Ich sehe, wie zäh es in Österreich ist, Dinge zu bewegen, und dann spielt auch die Biologie eine Rolle.“